Herbstferien ade, jetzt folgt der Familien-Marathon
Mit etwas klagenden Einzeltönen fängt er an, der Boléro von Ravel, Harmlosigkeit vorspiegelnd, und endet nach dramatischem Tonwechsel im furiosen Finale mit der totalen Erschöpfung aller Beteiligter, egal, ob Bläser, Trommler oder Schlagzeuger. Genauso verläuft die Zeit zwischen Herbstferien und Weihnachten für Eltern von Kindergarten- oder Primarschulkindern.
Mit dem Herbstferienende, am heutigen Montag, schleicht sich der erste, leise Boléro-Ton heran: Die Kinder müssen wieder raus aus den Federn. Und dies um sieben Uhr früh, bei finsterer Nacht, denn wir haben noch Sommerzeit. Womit Heerscharen von Schulkindern nicht aus dem Bett zu bringen sind.
Bis in zwei Wochen klappt es, denn nun kann eine Stunde später geweckt werden. Dafür hat die Herbstmesse angefangen und die gewieften Eltern stehen sich stundenlang neben Rösslirytti, sich drehenden Kaffeetassen oder Wahnsinnsschleuderdingern die Beine in den Bauch. Bei letzteren übersteigt der Adrenalinstoss der wartenden Eltern regelmässig denjenigen der kreischenden Kids, die ihnen da so um die Ohren fliegen.
Ende Oktober folgt nahtlos Halloween. Natürlich ist das kein Schweizer Brauch, aber wen interessiert das schon, sicher nicht die Kinder. Schon im Vorfeld haben die liebenden Eltern Kürbisse ausgehöhlt, Gesichter in die Rinde geschnitzt, und das Ding mit Kerze bestückt auf den Sims gestellt. Nun wollen die Kinder als gruselige Monster verkleidet durch die schwarze Nacht ziehen und Süssigkeiten erbetteln. Also schminken die versierten Eltern ihre Brut, verkleiden sie, und schleichen hinterher, damit auch ja nichts passiert. Gleichzeitig stehen sie hinter der eigenen Haustüre und tun erschrocken, wenn andere Kindergruppen an der Türe läuten. Wer denkt, das ginge nicht, der täuscht sich.
Kaum überstanden, ist es Zeit für den Räbeliechtliumzug. Diesmal werden steinharte Rüben gleich ausgehöhlt, wie zuvor die weichen Kürbisse. Gedacht ist dies zwar als netter Bastelnachmittag mit den Kindern, wer aber Wert darauf legt, den Abend nicht im Spital, Abteilung Notfallchirurgie, zu verbringen, schnitzt heimlich und schneidet sich selber in die Finger. Ist das Werk vollbracht, müssen die lieben Eltern nur noch raus und in Eiseskälte und dunkler Nacht gefühlte tausend Mal den unwilligen Kindern den Stecken in die Hand drücken, das wackelige Kerzlein neu anzünden und den Anschluss an den Umzug nicht verpassen. Anderntags schwärmen die Medien dann von den leuchtenden Kinderaugen, wobei alle Augen leuchten, wenn eine Kerze davor gehalten wird, aber lassen wir das.
Es kommt die Zeit der elektrischen Aufrüstung und inzwischen läuft unser Boléro zu Höchstform auf. Es werden kilometerlange Kabel mit Lämpchen und Figürchen montiert und an Uhren angeschlossen. Der Sturz von der Leiter und die Ehekrise, weil sie im Gegensatz zu ihm einen blinkenden Elch im Vorgarten wollte, sind vergessen, der Tannenzweig mit Misteln hängt im Lot an der Haustüre. Der Adventskranz ist gebastelt, seine erste Kerze brennt.
Am 6. Dezember kommt St. Nikolaus, und so erstellen die aufmerksamen Eltern Listen mit Lob und Tadel, laden Gäste ein, kneten Grättimänner, lassen die Kinder Rosinenaugen drauf drücken, und kredenzen alles der geladenen Schar mit Kakao, was keiner mag, aber Sitte ist. Auch Weihnachtsgutzi wurden gebacken, zumindest nachdem die erste Portion Teig erfolgreich vom Sofa gekratzt worden war. Irgendwann bimmelt der Nigginäggi, liest die Leviten, und auch das wäre überstanden.
Es folgt die Zeit der Aufführungen und Weihnachtsfeiern in Kirche, Kindergarten, Musikstunde, Sportclub und Schule, eventuell ergänzt durch Weihnachtsliedersingen in Altersheimen und Spitälern, was ein sehr netter Brauch ist. Die perfekten Eltern nähen Kostüme, pauken Texte und gehen mit den müden Kindern abends dahin, wo sie müssen, die nicht betroffenen, noch müderen anderen Kinder im Schlepptau.
Endlich ist Weihnachten da, das dramatische Finale. Es wird gefeiert, gegessen und getrunken, endlich geht die Gästeschar, die Kinder sind längst in der Falle. Tot und kaputt sinkt es zu Bett, unser braves Elternpaar, und der dissonante Des-Dur-Akkord des furiosen Finale löst sich harmonisch nach C-Dur auf, ganz wie bei Ravels Boléro.
15. Oktober 2012
"Kein Stress, tief durchatmen"
Eine wunderschöne Beschreibung durch Andrea Strahm. Welch herrliche Zeiten darf Sie nun durchleben mit vielen anderen Eltern. Schön "eis nachem Angere", kein Stress, tief durchatmen. Geniessen Sie vorab die wunderschönen farbigen Wälder in der freien Natur, das Weitere kommt von selbst.
Yvonne Rueff-Bloch, Basel