Schnäppli jagen jenseits der Landesgrenzen
Sie jammern und jammern was das Zeug hält, unsere Grossverteiler, denn die Tellensöhne und -töchter haben gemerkt, dass das Schweinsfilet ennet der Grenze umgerechnet bloss 8 Franken 40 Rappen kostet anstatt zwanzig Franken, wie hierzulande. Und so treten die Konsumierenden ein paar Mal mehr in die Pedale, sitzen fünf Minuten länger im Auto oder Tram, und kaufen dort ein, wo's billiger ist. Ich meine: Was der Messe Basel Recht ist – nämlich billige Handwerker mitnichten einheimischer Herkunft –, das darf dem Bodenpersonal doch billig sein. Und so isst es friedlich Schweinsfilet mitnichten einheimischer Herkunft. Und Migros und Coop ereilt das grosse Zittern.
Drehen wir das Rad der Zeit doch etwa fünfunddreissig Jahre zurück. Da wohnte ich als Studentin an der General Guisan-Strasse, gleich beim Wielandplatz. Unglaublich praktisch, denn da hatte es eine Bäckerei, einen Lebensmittelladen, eine Metzgerei, eine Kaffeerösterei, noch weitere Läden und einen Polizeiposten. Dann kam der ACV, wie der heutige Coop einst hiess, vielleicht war es auch die Migros, und installierte sich Ecke Wanderstrasse/Herrengrabenweg. Dank steuergünstigem Genossenschaftsstatut und Selbstbedienung kostete in diesem neuen Laden alles, vom Waschpulver bis zum Kaffee, sehr viel weniger, als in den kleinen Läden. Und da die Kundschaft der preislichen Talsohle ebenso zufliesst, wie das Wasser dem Meer, fehlten den andern Läden bald die Kunden und sie verschwanden. So erging es nicht bloss dem Wielandplatz, sondern vielen andern Plätzen dieser Stadt.
War endlich kein anderer Laden mehr da, verschwand allerdings auch Migros/Coop, denn hatten die Grossverteiler damals die Konkurrenz ausgeschaltet, machten auch sie den Abgang und dirigierten die Kundschaft in grössere Filialen. Die einstigen Quartier-Mttelpunkte verwaisten und die sozialen Kontakte verarmten. Die täglichen Einkäufe wurden zu Wocheneinkäufen, mit Einkaufswagen, Veloanhänger und Auto. Aus der wirtschaftlichen Sicht der Grossverteiler war das Konzept überaus erfolgreich: Migros und Coop verfügen heute im Lebensmittelbereich über einen Marktanteil von zusammen über 80 Prozent. Damals aber standen unzählige Ladeninhaber vor dem Ruin, und unzählige Verkäuferinnen und Verkäufer auf der Strasse.
Und nun das: Familie Schweizer geht zum Einkaufen über die Grenze, und unsere stolzen Marktanteil-Inhaber schreien Zeter und Mordio. Mit Verlaub: Mein Mitleid hält sich schwer in Grenzen. Wenn heute behauptet wird, Arbeitsplätze bei Migros und Coop seien gefährdet, dann will ich gar nicht wissen, wie viele Arbeitsplätze Migros und Coop in den letzten dreissig Jahren zerstörten. Es sind diese Grossverteiler, die die Leute dazu erzogen, in weiter entfernte Einkaufscenters zu gehen, anstatt in den Laden um die Ecke, es waren sie, die die Preise drückten. Die Kundschaft hat's gelernt, ist mobil, und fährt nun ein Center weiter, über die Schweizer Grenze hinaus, weil's dort halt nochmals billiger ist.
Etwas anderes ist es aber, wenn Arbeiten für Projekte, die mit staatlicher finanzieller Unterstützung realisiert werden, ins Ausland vergeben werden oder in diesem Zusammenhang Ware im Ausland eingekauft wird. Das einheimische Handwerk und der kleine und mittelgrosse private Detailhandel, den es trotz allem noch gibt, zahlen satte Steuern. Und das muss wieder zurückfliessen. Es kann nicht sein, dass Unternehmen wie eine Messe Basel – egal, hinter wie vielen General- und Subunternehmern sie sich versteckt – dazu beitragen, dass dem einheimischen Gewerbe die Aufträge fehlen. Halbprivate und öffentliche Unternehmungen, die von Steuergeldern profitieren, haben das Geld primär dort auszugeben, wo sie es her haben, wenn dies zu vernünftigen Konditionen und qualitativ befriedigend machbar ist. Andernfalls würde der einheimische Steuerzahler seinen eigenen wirtschaftlichen Untergang selbst mitfinanzieren, und das kann ja wohl nicht sein.
Apropos: Ich lese gerade, dass die Migros schon wieder Zeter und Mordio schreit, diesmal wegen den hohen Zöllen für Import-Fleisch. Sollte sie etwa auch im Ausland einkaufen wollen, anstatt Schweinsfilet von Schweizer Söili zu verkaufen? Neiaberau.
12. November 2012
"Widersprüchliches Wirtschaftsverhalten"
Treffliches Aufzeigen des so widersprüchlichen Wirtschaftsverhalten! Die Maxime: Biliger und immer noch billiger bietet grosse Chancen für Volltreffer!!!….ins eigene Goal! oder: Der Ast auf dem wir sitzen und sägen.
Viktor Krummenacher, Bottmingen
"Ein weiteres Beispiel"
Gut kolumniert, liebe Frau Strahm! Ergänzend kann ich ein weiteres Beispiel für einen staatlichen Über-die-Grenze-Einkauf anführen: Die kürzliche Trambeschaffung der BVB!
Das ausschlaggebende Billigargument in diesem Fall relativiert Peter Spuhler von der Firma Stadler Rail, die den Kürzeren gezogen hat, auch mit der Nichtberücksichtigung von anfallenden Energie- und Wartungskosten bei der Angebotsbeurteilung. Die vom kanadischen Konzern Bombardier veranschlagten 220 Millionen Franken für die 60 Trams könne er überdies – bei seinem Angebot von 294 Millionen Franken – nur mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins billigere Ausland wettmachen. Wie die BVB bekanntgaben, war der Grund für den Entscheid der Preis; qualitative Differenzen habe es nicht gegeben. Ist das nicht exakt das gleiche Einkaufsverhalten wie von uns Normalkonsumenten? In einem Interview der TagesWoche vom 10.11.2011 zu diesem baslerischen Finanz-Schachzug sagte Spuhler: "Im eigenen Land zu verlieren, schmerzt sehr."
Fredy Heller, Basel
"Gut gebrüllt!"
Gut gebrüllt, Löwin!
PJ Wassermann, Hersberg