Liebe Post, stoppe diesen Blödsinn!
"MISS Andrea Strahm" lese ich auf dem Briefumschlag, "MISS" mit Grossbuchstaben. Und das, wo wir doch den Rambazamba abgeschafft und eine "Miss Schweiz" in Festanstellung haben, für all die offenbar obligaten internationalen Miss-Schauen mit Abendkleidern, Bikinis und dämlichen Fragen. Wir haben die Anita, und die wünscht sich nun für ein paar Jahre den Weltfrieden, Thema erledigt. Dachte ich. Und da kommt also dieser Brief. Von der Schweizerischen Post, Kundendienst Virtueller Postschalter.
Nun ist die Post ja nicht mehr unsere liebe PTT, sondern ein marktschreierisches Ding in gelb-schwarz-weiss geworden, welches rentieren will, Gewinne einfährt und dem Detailhandel Konkurrenz macht, indem es die Leute Nümmerlein ziehen und ewig warten lässt, so dass sie merken, dass sie noch etwas brauchen und das dann im Schalterraum auch kaufen. Obwohl sie ohne Warterei nicht gemerkt hätten, dass sie etwas brauchen, und das dann nie vermisst hätten. Etwa ein "Millionenlos". Das mit der Warterei und Verführung zum Kauf klappt, weil die Leute ja an einen Schalter wollen. Liesse man die Leute in einem normalen Laden derart herumstehen, wären sie schnell wieder draussen und im nächsten Shop. So läuft das also mit der einstigen PTT.
Ich liess die Post nachsenden. Nicht DIE POST natürlich, sondern die an mich adressierten Briefe, und zwar für zwei Wochen an mein Feriendomizil. Dies erledigt bei der Post der Konzernbereich "Swiss Post Solutions". Die Kosten der Umleitung wurden umgehend mithilfe von "PostFinance" (ohne Leerschlag, so cool!) meinem Konto belastet. Und hätte ich ein Bettgestell oder so was nachsenden lassen, wäre wohl "PostLogistics" in Aktion getreten. Vielleicht sind die Aufgaben auch anders verteilt, ich durchblicke die Terminologie nicht ganz.
Und nun reden die mich noch mit "MISS" an, ein Schweizer Unternehmen mit hoheitlichen Aufgaben. Jetzt reicht's.
Zum einen der ganze Blödsinn mit den Anglizismen und der Übersetzung von Schweizer Begriffen in die englische Sprache, so dass keiner mehr versteht, was eigentlich gemeint ist. Die Schweizer nicht, weil deren Muttersprache nicht Englisch ist, die Engländer nicht, weil der Begriff völlig falsch verwendet wird. Wie im Falle eines Mannes, der als Marke für seine Ventilatoren WIND UP wählte. Er dachte dabei wohl an Marilyn Monroe auf dem Schacht. Der Mann konnte kein Englisch, und wusste nicht, dass "to wind up" "aufdrehen, aufwickeln" heisst, aber auch "jemanden verarschen". Wir rieten ab, und seither lässt er die Anglizismen.
Liebe Post, stoppe auch Du den Blödsinn. Du bist ein Schweizer Unternehmen, wir sprechen hierzulande Deutsch, Französisch und Italienisch. Und SUISSE ist doch soviel eleganter als SWISS!
Dass "MISS" in einer andern Verwendung als für unsere Miss Schweiz zudem völlig daneben ist, sollte ein Unternehmen wie die Post eigentlich wissen. Denn "Miss" steht für "Fräulein" und diese Anrede für Damen hat auch in der hinterletzten, verstaubten Amtsstube der Schweiz definitiv ausgedient. Das würde auch Fräulein Da Capo so sehen, wenn sie die Post umleiten liesse.
3. September 2012
"Warum nicht Pferdewetten?"
Ich muss immer grinsen wenn jemand sich über die "neumodischen" Nümmerli bei der Post ereifern kann: Das ist für mich, mit Verlaub, einfach typisch Schweizerisch!
Denn in der guten alten Zeit waren wir es doch schon immer ganz anders gewohnt! Man betritt die Post, und mustert zunächst einmal die drei langen Schlangen. Es reicht natürlich nicht, die Länge allein abzuschätzen, sondern man muss auch die einzelnen Leute begutachten: Oh, der da sieht aus wie wenn er eine endlose Schalter-Einzahlung im Sinn hätte! Und diese Frau hat sicher eine Menge komplizierter Fragen. Jene hingegen könnte vielleicht schnell sein - ob ich's da wagen soll? Ich tu's! Natürlich nicht ohne auch die Post-Angestellten hinter dem Schalter noch zu evaluieren!
Aber damit war das Spiel natürlich noch nicht zu Ende, denn jetzt galt es, den weiteren Verlauf gespannt zu verfolgen: Oh, die andere Schlange bewegt sich doch schneller als ich gedacht habe – soll ich vielleicht doch noch? Nein, schon zu viele Neue da ... Und ausserdem hat die scheinbar so flotte Dame vor mir jetzt doch noch das Einzahlungsbüchlein gezückt: Was für ein Pech heute aber auch!
Alles aus und vorbei! Statt dessen dürfen wir jetzt die Zeit damit verbringen, durch den Post-Shop zu schlendern, Werbefilmchen zu schauen – oder, wenn wir wirklich wollen: einfach ein Buch zu lesen. Kurz: Wir können einfach tun was wir wollen!
Wann endlich merkt die Post dass einigen Kunden da etwas fehlt? Warum bietet sie als Ersatz für das beschriebene Warteschlangen-Lotto nicht beispielsweise Pferdewetten an?
Cornelis Bockemühl, Basel
"Zielscheibe von Marketing-Heckenschützen"
Wunderbar scharf geführte Klinge! Herzlichen Dank, Sie sprechen mir aus tiefster Seele! Ich habe mittlerweilen mehr Bammel davor, die Post zu besuchen, als den Zahnarzt. Man fühlt sich als wandelnde Zielscheibe von Marketing-Heckenschützen auf dem Spiessrutenlauf zum Schalter. Und dann, nachdem ich endlich mein Päckli habe, wird man noch gefragt, ob ich "Die Sprechstunde" möchte! Ja, eine Sprechstunde beim Psychiater meines Vertrauens, das brauch ich bald nach dem Postbesuch.
Lars Mazzucchelli, Sissach
"Alina statt Anita"
Einmal mehr den Montag mit Scharfem angereichert, einmal mehr geschmunzelt, einmal mehr sehr einverstanden. Und einmal mehr im steten Kampf um die Richtigkeit der Geschichtsschreibung auch etwas zu meckern: Die Bis-Auf-Weiteres-Miss heisst nicht Anita, sondern Alina (Frau Buri gleichen Vornamens war gestern).
Roger Thiriet, Basel
"Danke Fräulein Strahm"
Welch herrlich erfrischender Beitrag. Ich habe mir schon längst angewöhnt, Prospekte die einem täglich ins Haus flattern und die randvoll mit diesen blödsinnigen Anglizismen sind, ungelesen in den Papierkorb zu werfen. (Obwohl ich einmal zu einem der besten Basler Englischlehrern in die Schule gegangen bin). Danke Fräulein Strahm.
Armin Studer, Frick