Grenzen, immer und überall Grenzen
"Was isch los, chöid er eigedlich nid grüesse?", brummte mich der Presi an. Der Presi war der Gerichtspräsident am Landgericht im Solothurnischen, an welchem ich eben erst mein Gerichtspraktikum angetreten hatte. Mir wurde heiss und kalt, denn wen hatte ich da wohl nicht gegrüsst? Womöglich einen der Amtsrichter? Ich stotterte eine Entschuldigung und fragte nach. "Jä nei", das meine er nicht, erwiderte der Presi, aber im"Rössli", wo wir Praktikanten mittags assen, da würde ich beim Eintreten nie grüssen.
Da staunte ich aber Bauklötze, denn einem Stadtmenschen, wie mir, fiel es in der Tat nicht ein, beim Eintreten in ein Restaurant einfach so in die Runde zu grüssen. Ich nahm mir das also zu Herzen und grüsste wider meine Schüchternheit fortan laut und deutlich. Bald erntete ich im "Rössli" ein wohlwollendes Nicken und durfte mich zu den Stammgästen setzen, da doch nicht "sone Stouzi", so eine Stolze.
In Stadt und Land gelten zuweilen andere Regeln. Geht einer in Basel die Freie Strasse hinunter, kann er unmöglich jeden grüssen, der seinen Weg kreuzt. Das fällt einem Jungjuristen vom Lande, der in der Stadt sein Gerichtsvolontariat macht, auch im Traum nicht ein. Wie es scheint, finden die vom Land sich hier besser zurecht, als wir Städter auf dem Lande, jedenfalls was die Fettnäpfchen betrifft.
Ist dies also einer der vielzitierten Mentalitäts-Unterschiede zwischen Basel-Stadt und Baselland, der eine kantonale Trennung, wie in Basel praktiziert, weiterhin rechtfertigen würde? Tatsache ist, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Sitten haben. Arbeiter, Anwälte, Einheimische, Ausländer, Frauen, Männer, Junge, Alte, Reiche, Arme, Katholiken, Protestanten, oder die vom Land und die aus der Stadt – sie alle entwickeln in ihrer peer group, unter ihresgleichen, gewisse Gepflogenheiten.
Und dennoch kommen sie auch mit den Angehörigen der andern Gruppen klar. Denn keiner gehört nur zu einer Gruppe. Der Bauer aus Bettingen (Basel-Stadt) ist zwar Städter, wie auch die Juristin der Rechtsabteilung der UBS im Stadtzentrum, hat aber den gleichen Beruf wie der Bauer aus Titterten, Baselland. Und mit wem versteht er sich mentalitätsmässig wohl besser – mit dem Kollegen aus Titterten oder der Juristin im Deux-Pièces? Eben.
"Wir kaufen ein Haus zwei Meter weiter und
rutschen versehentlich in den andern Kanton."
Es sind also stichhaltigere Argumente gegen eine Zusammenlegung der beiden Basel gefragt. Es gibt keine. Für uns Neubadianer (Basel-Stadt) und Allschwiler (Baselland) oder Binninger (Baselland) ist der Kantönligeist jedenfalls nichts als ärgerlich. Ob Müllabfuhr, Strassenverkehr, Schiessstand oder wenn die Polizei wegen Nachtlärm antraben muss: Dauernd stossen wir an Grenzen.
Nachbarskinder, die zusammen spielen, müssen in unterschiedliche Schulen, und wehe, wir kaufen ein Haus zwei Meter weiter und rutschen versehentlich in den andern Kanton – der Papierkram mit den Steuerbehörden, den Schulbehörden und allen weiteren Behörden hüben wie drüben ist obermühsam. Die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft gehen bei uns nahtlos ineinander über, Garten grenzt an Garten, Haus an Haus, Basel verschmilzt mit Allschwil, der grössten Ortschaft des Baselbiets.
Es geht hier denn auch nicht um Argumente, es geht um Härzbluet. Hüben wie drüben. Härzbluet hat mit Identität zu tun, mit Zusammengehörigkeitsgefühl. Härzbluet haben wir alle, zu Stadt und zu Land. So fliesst in meinen Adern Kleinbasler Blut, auch wenn ich im Grossbasel lebe, und darauf bin ich stolz. Man verwechsle bitte die Kleinbasler nicht mit den Grossbaslern. Aber lassen wir das, wir sind ja jetzt auf kantonaler Ebene.
Ein Kanton ist nichts anderes als eine Verwaltungseinheit, ein Zusammenschluss von Individuen, die Individuen bleiben, egal ob sie Kleinbasler, Grossbasler oder Baselbieter sind – sie bleiben es. Im Kanton Zürich, im Kanton Bern und in allen andern Kantonen sind denn Stadt und Land friedlich unter einem kantonalen Dach vereint. Nur Basel tickt da mal wieder anders. Grundlos.
Spielt der FC Basel, sitzen sie alle zusammen, vom oberen zum untern Baselbiet, übers Grossbasel ins Kleinbasel, und machen Seite an Seite die Welle und grölen sich heiser gegen die Zürcher. Und gross wäre der Aufschrei, würde man ihn umbenennen, den FCB, in "Fussballclub Basel-Stadt".
10. Dezember 2012
"Alte Baselbieter sind eine aussterbende Spezies"
Ein sehr liebevoller aber erfreulich klarer Kommentar zur dringend notwendigen Kantonsfusion Basel. Interessant ist im Zusammenhang mit der oft (fäschlicherweise) erwähnten unterschiedlichen Mentalität, dass die grosse Mehrheit der Basellandschaftlichen Wohnbevölkerung seit der letzten Abstimmung über einen Zusammenschluss zugewandert ist. Und das auch im Oberbaselbiet. Wanderungsgewinne machen rund 80% der Bevölkerungszunahme der letzten Jahre aus, d.h. das Bevölkerungswachstum des Baselbiets basiert hauptsächlich auf Zuwanderungen, nicht zuletzt aus der Stadt Basel. Seit 1980 sind allein im Bezirk Waldenburg ca. 25'000 Schweizer zu- und vielfach wieder weggezogen. Heute leben dort lediglich rund 14'000. Im Bezirk Sissach sind es ca. 50'000 bei einer heutigen Bevölkerung von rund 30'000 und im Bezirk Liestal, wo rund 42'000 Personen wohnen sind ca. 83'000 für ganz oder vorübergehend zugezogen. Da hat eine gewaltige Durchmischung stattgefunden. Die Schweizer haben zudem einen negativen Geburtenüberschuss. D.h. die alten Baselbieter sind eine aussterbende Spezies. Selbst die Exponenten des Komitees gegen den Zusammenschluss sind keine echten Baselbieter sondern stammen von jenseits des Juras. D.h. man muss sich fragen: "Ist das Mentalitätsargument wirklich relevant?"
Hans-rudolf Bachmann, Basel