Mehr als eine Ohrfeige für die "Basler Zeitung"
Von PETER KNECHTLI
Dem heute Donnerstagabend veröffentlichten Urteil des Baselbieter Kantonsgerichts ging einer der spektakulärsten Medienrechts-Prozesse der Schweiz voraus. Die "Basler Zeitung" und ihr damaliger Lokalredaktor Joël Hoffmann wurden für schuldig erklärt, in zahlreichen Fällen unlauteren Wettbewerb betrieben und die Wirtschaftskammer Baselland herabgesetzt zu haben.
Sie müssen zahlreiche Artikel integral aus Archiven, Datenbanken und Tweets löschen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das ganze neun A4-Seiten umfassende Urteilsdispositiv ist mehr als eine schallende Ohrfeige in erster Linie für die "Basler Zeitung", in zweiter Linie für den Autor der zielgerichteten Angriffe, die teilweise im Wochentakt auf den Dachverband des kantonalen Gewerbes und dessen Direktor Christoph Buser niederprasselten. Es ist ein ernsthafter Weckruf an einige Schreibende und Verantwortliche des Basler Tamedia-Kopfblattes, ihre publizistische Verantwortung wahrzunehmen.
Selbstverständlich bot die übermachtige Wirtschaftskammer Angriffsflächen für Kritik an ihrem Einfluss auf die Regierung und ihrer im öffentlichen Bewusstsein auch heute noch nicht transparenten Organisationsstruktur. So detailliert, wie sie Direktor Buser in der Parteienbefragung letzte Woche geschildert hat, war sie wohl kaum je an die Beobachter herangetragen worden. Die Frage stellt sich aber, ob dies ein Journalist auch einmal ebenso ernsthaft wie hartnäckig versucht hat.
"Die Überheblichkeit der Chefredaktion
zeigte sich damals wie heute."
Sicher ist aber, dass das über längere Strecken immense Trommelfeuer gegen die Interessen-Lobby von 10'000 kantonalen Gewerbebetrieben bisher keinem der angegriffenen Protagonisten irgendwelche strafrechrechtlichen Sanktionen eingetragen hat. Die Gefahr des "Rudel-Journalismus" ist eine der heimtückischsten unseres journalistischen Berufsstandes, wenn wir der Verlockung erliegen, der heissen Schlagzeile der Konkurrenz eine noch heissere nachzulegen glauben müssen.
Über Markus Somm, von 2010 bis 2018 Chefredaktor der "Basler Zeitung", liesse ich pauschale Kritik, wie sie gern geäussert wird, nicht gelten. Aber eine ganz wesentliche Stilprägung, jene der Überheblichkeit, ist ihm anzulasten: Er hielt sein journalistisches Personal an, die "Politik aus den Angeln zu heben" und (so gegenüber OnlineReports) "die Behörden zum Zittern zu bringen". So verwundert nicht, dass derart getriebene Redaktoren jüngeren Alters wie Hoffmann zum Zweihänder griffen und weit stärker zuschlugen als ihrer Verantwortungsfähigkeit entsprach.
Die Überheblichkeit der Chefredaktion in Fragen der journalistischen Berufsethik zeigte sich damals wie heute. Damals weigerte sich die BaZ, Entscheide des Schweizer Presserats, die mit ihr zu tun hatten, zu publizieren, weil dieses Gremium für Chef Somm bürokratisch fremdbestimmt war und deshalb keine Bedeutung hatte.
Noch heute, unter Marcel Rohr, lässt die BaZ Presserats-Meldungen aussen vor. Kein Wunder, könnte als Legitimation angefügt werden: Wohl kein Schweizer Informations-Medium hat so viele gutgeheissene Beschwerden auf ihrem Konto wie das Blatt am Aeschenplatz. Einzelne Journalisten sind sogar Mehrfach-Gerügte.
Ein Indiz für Intransparenz in eigener Sache ist auch die Tatsache, dass die "Basler Zeitung" den Prozess vor Kantonsgericht im eigenen Blatt bisher totgeschwiegen hat – Legitimation dafür, von Andern Transparenz zu fordern?
Ich muss offen zugeben, dass ich ungläubig die Kadenz verfolgte, mit der sich die "Basler Zeitung" auf die Wirtschaftskammer einschoss. Und in der Tat entsprach der Neuigkeitswert jeder neuen "Enthüllung" nicht ihrem raumgreifenden Platzanspruch. Die Interpretationen waren konsequent zugespitzt, machmal tollkühn. Für Berufskollege Joël Hoffmann wird der Streit im besten Fall dazu führen, aus einer missglückten Kampagne die nötigen handwerklichen Lehren zu ziehen: Weniger Artikel, aber unwiderlegbare Beweise wären das bessere Rezept.
Indes sollte nicht übersehen werden, dass der in medienrechtliche Bedrängnis geratene Journalist in Somms Aura sozialisiert wurde und die Attacke gegen den Wirtschaftsverband zeitlich genau in jenem Aufsichts-Vakuum startete, als sich der Chefredaktor aus Basel verabschiedete. Die führenden Köpfe der "Basler Zeitung" stehen somit genauso in der Verantwortung wie der Angeklagte selbst. Sie hätten bei hinreichender Umsicht die Reissleine rechtzeitig ziehen sollen.
BZ-Chefredaktor Patrick Marcolli vertrat die These, der vorliegende Fall sei Beleg für ein vermehrtes Auftreten von "Medien auf der Anklagebank" (Titel). Ich kann dieser These nur teilweise folgen. Zwar trifft zu, dass Anwälte im Wissen um die Finanzschwäche viele Medien schneller mit der Prozess-Rute wedeln als früher. Aber erstens ging es im Fall BaZ/Hoffmann, wie das Kantonsgerichtsurteil zeigt, nicht um leere Drohungen mit der Justiz, und zweitens ist eben auch seit längerem zu beobachten, dass im Journalismus die Qualitätssicherung und harte Nachwuchs-Ausbildung gelitten haben.
Gepaart mit der noch verbreiteten Weigerung, für glaubwürdigen Journalismus einen Preis in Franken zu bezahlen, entsteht im Informationsgeschäft eine gefährliche Mischung: dass künstliche Skandalisierung, unsorgfältiges Geschichtenschreiben und eine Nachwuchsförderung im Laisser-faire-Stil die Tradition des (aufwändigeren) harten Fakten-Journalismus verdrängen.
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28. Oktober 2021