Die Schweizerische Neidgenossenschaft
Oscars 2014, und da stehen sie, und heulen sie, und kreischen und freuen sich, in der Hand eine seltsame Figur, irgendwas zwischen Roboter, Ritter und Ausserirdischem in hochglänzendem Chromstahl-Gold-Ton. Es wird gefeiert, an der Elton John AIDS Foundation Party und an der Vanity Fair. Und da kommen sie, die Blogkommentare: Was das wieder kostet, die sollten sich schämen, bei all dem Elend auf dieser Welt überhaupt nur an Kaviar und Champagner zu denken. Dass Elton John mit seiner Gala 5,1 Millionen Dollar für die Aids-Hilfe gesammelt hat, das interessiert keinen.
Oder der neue Jazz-Campus im Kleinbasel, sensationell, ein Riesengeschenk an diese Stadt. Alle ökologischen Standards übertroffen, die Technik einmalig, weltweit. Freude, Begeisterung? Könne si dängge. Was das wieder gekostet hat, das hätte gescheiter ausgegeben werden können, etwa für Veloständer beim Bahnhof. Und wo die das Geld her haben, diese alten Basler Familien, die haben doch nur die Leute ausgenutzt, gestohlen, das Geld, und nun sitzen sie im Club de Bâle und geben dick an.
Ein Bericht über einen Schweizer Lottomillionär in einem hiesigen Medium? Undenkbar. Gar ein Volksfest, wie in Spanien oder in den USA, wenn einer im Dorf gewonnen hat und sich feiern lässt? Da würde bei uns gerade Mal einer feiern, nämlich der Gewinner, vielleicht noch seine Erben, und der Rest würde kochen vor Wut, dass es nicht der eigene Sechser war, der das grosse Los zog.
"Ein neidfreies Leben
ist die beste Anti-Falten-Creme."
Ja, wir sind ein einzig Volk von Neidern. Freuen uns, wenn am Fernsehen Sendungen laufen, in denen sich hässliche, beschränkte und mausarme Menschen zum Trottel machen, so dass wir uns so richtig überlegen fühlen können. Schreien Zeter und Mordio über Kaderlöhne, auch wenn wir unseren bequemen Job nie und nimmer gegen den stressigen dieser Macher tauschen wollten oder könnten. Regen uns darüber auf, wenn Delinquenten wie Carlos teure Sozialisierungsprogramme durchlaufen dürfen. Wird ja belohnt, wer nur genug blöd tut, hierzulande. Wir gönnen dem andern die Butter nicht auf dem Brot, und halten selber die dickste Anggeschnitte in der Hand.
Die Welt ungerecht. Es gibt welche, die sind gescheit und schön, und andere, die sind dumm und unattraktiv. Das grosse Los oder das grosse Elend zieht manch einer schon bevor er auch nur auf der Welt ist, je nachdem, in welche Struktur hinein er geboren wird, als Schweizer oder im Krisengebiet.
Neid ist destruktiv. Wären wir hierzulande nicht derart neidisch, hätte die ganze Berichterstattung über diesen Carlos unterbleiben können. Wir hätten mit den Schultern gezuckt, soll der doch kickboxen, Hauptsache, es nützt und er wird nicht mehr kriminell. Es geht Ihnen und mir nämlich keinen Deut besser, ob Carlos nun bei Brot und Wasser im Kerker darbt oder ob er ein Spezialprogramm durchläuft, und beurteilen, was richtig ist, können wir erst recht nicht. Nun sind wir aber Neidhammel, und deshalb kann dieses Thema unendlich lange aufgewärmt werden, jeder Hotelaufenthalt wird thematisiert, bald erfahren wir noch die Preise der Schuhe dieses Jungen, und schliesslich kann er überhaupt nicht mehr betreut werden, weil er dank all der Medienpräsenz restlos durch den Wind ist.
Neidisch ist, wer einzelne Dinge aus dem Zusammenhang reisst. Wer nur das Kickboxen sieht, nicht den bedauernswerten Jungen, nur den Louis Vuitton Aufdruck auf dessen Bettwäsche, nicht seinen desolaten Zustand. Und nur diese Einzelheiten mit der eigenen Situation vergleicht, feststellt, dass er sich das Training nicht leisten kann und selber die Bettwäsche von Otto's hat. Wir sehen nicht, dass es uns unterm Strich unglaublich viel besser geht als diesem Carlos. Oder als den reichen Managern und den Bundesrätinnen, die kein Privatleben mehr haben, ständig in der Kritik stehen, Nerven wie Stahlseile brauchen. Wir sehen deren Lohntüte und unsere, nichts anderes, und werden grün im Gesicht, speien Gift und Galle. Obwohl wir nur die Lohntüte, und niemals das ganze Leben, mit denen tauschen würden.
Hören wir auf damit, hören Sie auf damit. Ein neidfreies Leben ist die beste Anti-Falten-Creme, freuen Sie sich für die andern, gönnen Sie andern etwas. Zufrieden wie Oscar, und sie werden strahlen. Das wiederum erspart Ihnen jeglichen Neid auf den zufriedenen Gesichtsausdruck Ihres Gegenübers. Wären Sie denn überhaupt noch neidisch.
17. März 2014
"Augenmass etwas verloren"
Liebe Frau Strahm, ich kann ihrer Meinung nur teilweise zustimmen. Der Neid ist vielerorts gross, wer viel hat beneidet die die noch mehr haben. Bedauernswerte Leute die ich nicht beneide.
Nur das Beispiel mit Carlos passt nicht in dieses Schema. Carlos hat ein Verbrechen begangen und soll seine Strafe absitzen wie andere auch. Aber diese Sonderbehandlung bekommt nicht jeder Straftäter und dort liegt die Ungerechtigkeit. Zudem, wenn alle die Berichte stimmen die man so lesen konnte, gingen auch die Sonderwünsche von Carlos doch etwas weiter. Dass das die "Normalbüger" so nicht akzeptieren wollen ist meiner Meinung nach verständlich und hat mit Neid nichts zu tun. Vor dem Gesetz sollten ja wohl alle gleich sein, sagt man ...
Die zuständigen Behörden hatten da wohl etwas das Augenmass verloren.
Peter Isler, Basel
"Hans Habe hat wohl recht"
Da schliesse ich mich doch gerne für einmal –minu an: Ausgezeichnete Kolumne. Vielen Dank Frau Strahm. Muss(te) doch wieder einmal gesagt sein! Aufgefallen ist mir, dass hinter so vielen Klischees allein Missgunst, Neid und ein Gefühl der Minderwertigkeit stecken.
Galten (oder gelten noch immer) Südländer nicht nur deswegen als eher leichtsinnig, weil sie es fertig bringen, leichter mit Problemen fertig zu werden und weil sie weniger dem Prestige-Denken verfallen sind als wir. Hans Habe hat wohl recht, wenn er bemerkt, dass Neid das einzige Leid ist, das dem Menschen nicht den richtigen Weg weist.
Pius Helfenberger, Münchenstein
"Neidlos zugegeben"
Gratuliere - man muss neidlos zugeben: EINE SUPE KOLUMNE, DIE ALLES GROSSARTIG AUF DEN PUNKT BRINGT! Gratuliere.
-minu, Basel
"Etwas gar heftig übertrieben"
Frau Strahm, Sie neigen hier – mit Verlaub – zu etwas gar heftigem Übertreiben und an gewissen Stellen habe ich auch das Gefühl, dass Ihre Interpretation von Neid etwas weit hergeholt ist. Ich kann nämlich kaum glauben, dass jemand auf das Kickbox-Training von Carlos "neidisch" ist. Da gehts eventuell um "Gerechtigkeitssinn", "Behördenfrust", "Unverschämtheitsempfinden". Aber ich bezweifle, dass hier Neid der "nicht-gratis-kickboxenden" an erster Stelle steht. Zudem tun Sie, sehr verehrte Frau Strahm, all jenen Menschen Unrecht – und ich glaube noch immer, dass diese in der Mehrzahl sind – die ihren "Neid" unterschwellig leben: jene, die ohne weiteres akzeptieren können, dass der Lottosechser nun bei einem irischen Gemüsebauer gelandet ist.
Daniel Thiriet, Riehen