Ein Fall für Sprachkriminologen
In einer Fernsehdiskussion meinte kürzlich der Moderator einleitend: Immer weniger Menschen müssen für immer mehr Menschen aufkommen. Er meinte Altersvorsorge, Gesundheit, Arbeitslosigkeit. Mit medialer Besorgtheit setzte er hinzu: Können wir uns das überhaupt noch leisten? Natürlich können wir das nicht. Da waren sich alle einig.
Hätte er bemerkt, dass immer weniger Menschen immer mehr Gewinn generieren müssen, wäre die Diskussion bestimmt anders verlaufen.
Wirtschaftspolitische Fragen werden heute in einer Form debattiert, die auf keine Kuhhaut geht. Am aufschlussreichsten ist dabei meistens, was nicht gesagt wird.
Eines der häufigsten Argumente, die man zur Zeit zu hören bekommt, lautet, dass die Arbeit billiger werden müsse. Zum Vergleich wird die Slowakei oder ein anderes passendes Land genommen. Sollten die Löhne weiterhin auf Schweizer Niveau bleiben, müsste die Arbeit ausgelagert werden. Was nicht gesagt wird, ist der Hinweis, dass die Schweiz gegen die Slowakei und in der nächsten Runde die Slowakei gegen philippinischen Sweatshops ausgespielt und dies normalerweise als Erpressung bezeichnet wird. Das ist auch ein Kapitel Globalismus-Theorie.
Wenn es nicht mehr weitergeht, bedauern gut bezahlte Unternehmer, Entlassungen vornehmen zu müssen. Sich etwas Innovatives einfallen zu lassen, fällt ihnen nicht ein. An Stelle von unternehmerischem Ehrgeiz tritt eine Mentalität, mit der die Schweiz Gefahr läuft, den Anschluss an die Zukunft zu verschlafen. Zum Glück gibt es auch vorbildliche Gegenbeispiele. Viele kleine Betriebe müssen heute sehen, wie sie über die Runden kommen. Es sind vor allem grosse Unternehmen, die es sich bequem machen und deren Machtkonzentration ihnen erlaubt, wie ehemals autokratische Regimes zu agieren.
Ein weiteres Argument singt unverdrossen das Lied von den Arbeitsplätzen, die geschaffen werden sollen. Das ist eine Aussage, die mittlerweile zum Himmel stinkt. Abbau ist das wahre Ziel. Die "Swiss" machte Verluste und musste Stellen abbauen, die Swisscom macht Gewinn und baut ebenfalls Stellen ab. Das sind zwei Beispiele, aber eine gemeinsame Realität.
Drittes Argument: Alles tun für den wirtschaftlichen Aufschwung. Der aber lässt sich bekanntlich ohne neue Arbeitsplätze erzielen. Kostenmanagement, Rationalisierung, Sparmassnahmen tuns auch. Gemeint sind mit Aufschwung meistens bessere Ertragsbedingungen. Obwohl zum Beispiel in Winterthur grosse ehemalige Industrieareale brach liegen, soll in Galmiz ein Stück unberührte Schweiz zerstört werden. Dem amerikanischen Investor Amgen soll dafür eine beträchtliche Steuerermässigung gewährt werden. Wohl entstehen 1'200 Arbeitsplätze. Mit den Steuererträgen des in Zukunft eingestellten Personals lassen sich dann die an anderer Stelle gemachten Ausfälle ausgleichen.
Das ist alles Andere als eine ökonomische Rechnung. Jetzt wollen andere Unternehmer natürlich ebenfalls ein Geschenk für ihre Taten. Was ist das für eine Politik!
Wer sich trotzdem gegen diese Entwicklung wehrt beziehungsweise gegen diese Argumentationsweise Einwände erhebt, wird neuerdings als "Modernisierungsgegner" bezeichnet. Was meint oder unterschlägt also dieser Begriff tatsächlich? Ein Fall für Sprachkriminologen.
4. April 2005
"Gewinner sind die Aktionäre und das hohe Management"
Die Frage sei erlaubt: Ist es eigentlich für Leute mit Arbeit (Besitzende) motivierend, in Zukunft immer mehr zu arbeiten für jene, denen man die Arbeit wegnahm (Verlierer)? Und dies höchstwahrscheinlich mit noch weniger Lohn. Dieses System kann längerfristig für die arbeitende Bevölkerung nicht funktionieren. Zu den Verlierern gehört zweifelsfrei auch der Staat, da dieser kein Gegensteuer gibt. Wehe, wer hier einen Zusammenhang sieht. Sichere Gewinner sind die Aktionäre und das hohe Management. Der Fatalismus in der Öffentlichkeit fördert diesen Zustand eher noch (nach mir die Sintflut). Wie lange noch wird die Bevölkerung das für sie unproduktive und bewusst höchst verwirrende Palaver der so genannten "Wirtschaftsführer" glauben? Diese Sprach-Kriminellen erfinden das Rad das x-te mal und dies immer auf Kosten anderer.
Bruno Heuberger, ehem. Präsident der Arbeiterkommission Ciba-Geigy Schweizerhalle, Oberwil
"Pflichtlektüre für Wirtschaftswissenschafter"
Diese ausserordentlich aufrüttelnde Kolumne von Aurel Schmitdt, sollte Pflichtlesung für alle Professoren und Studenten der Wirtschaftswissenschaften, sowie der Manager jeder Gattung sein. Damit ein Unternehmen einem Spitzenmanager den Super-Jahreslohn von 20 Millionen Franken bezahlen kann, müssen 200 Arbeitplätze von je 100'000 Franken Lohnkosten eingespart werden. Diejenigen die dann noch arbeiten dürfen, dürfen dafür mit ihren Steuern auch noch die Sozialkosten der zum Zweck der Gewinnoptimierung Entlassenen bezahlen. Eine Zukunft, die offenbar noch nicht in allen Köpfen verständlich ist.
Bruno Honold, Basel