Von der Unmündigkeit des Menschen
Die Trauer über den Tod von Papst Karol Woytila hat vielen Menschen zu denken gegeben. Die Medien konnten sich kaum noch überbieten in der Fabrikation von Sprachwallungen und der Übertragung und Verbreitung ihrer Selbstergriffenheit. Die Menschen wurden davon regelrecht angesteckt, aber medialisierte Trauer kann leicht echte Gefühle verderben.
Entweder war der Tod des Papstes ein Massen-Event, das die Möglichkeit zu grenzenloser Lust an der Trauer verschaffte, oder er war das Signal für einen um sich greifenden Fundamentalismus. So könnten nur noch gottesstaatliche Verhältnisse bei der Lösung der drängenden Probleme der Welt von heute helfen. Die Evangelikalen in den USA haben demonstriert, was für eine unheimliche Mentalität sich ausbreiten kann, wenn der organisiderte Einfluss der Religiösen unter falscher Berufung zu weit geht.
Der Papst hat angeblich Frieden und Gerechtigkeit gepredigt, aber in Wirklichkeit jede Opposition (Befreiungstheologie) unterdrückt. Keineswegs vergessen ist auch, dass der Papst Partei für den chilenischen Diktator Pinochet ergriffen hat. Unter dem Pontifikat Woytilas hat sich die katholische Kirche zu einem Machtapparat entwickelt, der absolutistische Züge trägt und absoluten Gehorsam verlangt. Aus Glaube wurde von oben verordnete Autoritätsgläubigkeit. Das Kirchenvolk hat nichts zu sagen. Was in diesen Tagen um den Priester Franz Sabo in Röschenz geschehen ist, macht vieles deutlich. Die Kirche sei „kein Parlament“, war dazu in einem Leserbrief zu venehmen. Das ist ja gerade das Bedenkliche.
Die Parallelität der Ereignisse wollte es, dass während der Trauerzeit in Rom auch Rainier Grimaldi verschieden ist. Der als Rainier III bekannte Fürst von Monaco hatte seinen Miniaturstaat in eine Autorennbahn und ein Spielcasino für die Reichen und Schönen verwandelt und seinen Untertanen zu Wohlstand verholfen. Sinnigerweise wurde auch der Abschied von ihm pompös begangen.
Damit ist zum heiligen Vater ein Landesvater hinzugekommen und die Menschheit nach der Herde der Gläubigen um die Klasse der Untertanen erweitert worden.
Die Unmündigkeit, die sich hier manifestiert, wird den Menschen zugefügt oder von ihnen freiwillig hingenommen. Das Eine ist ebenso abzulehnen, wie das Andere unverständlich ist.
Damit noch nicht genug. In der gleichen Zeit wurde in England eine Prinzenhochzeit gefeiert, und wieder waren die Medien und die Heftchen voll von dem Ereignis. Auf diese Weise ist zu den Gläubigen und Untertanen auch noch die Kategorie der Zuschauer und Zaungäste hinzugekommen, die das gesellschaftliche Spektrum arrondieren und deren Bestimmung es zu sein scheint, den Auserwählten zu ihrer Erlauchtheit zu verhelfen.
Das Interesse für Andere, das in Form von Events aller Art von den Medien zelebriert wird und den von ihnen adressierten Massen aufgedrängt wird, lenkt die Menschen von ihren eigenen Rechten und Ansprüchen ab. Als Ersatz werden ihnen Spektakel und Hypes angeboten.
Diese Entwicklung ist für die demokratische (vereinbarte) und problembewusste moderne Zivilgesellschaft eine grosse Enttäuschung.
18. April 2005
"Lebt nicht die ganze Medienbranche von unserem Voyeurismus?"
Ist es nicht so, dass die ganze Medienbranche vom Voyeurismus von uns Menschen lebt? Waas, heute nichts passiert, ach Gott, ist ja schon langweilig … Dass dies als Trauer (Papstbeerdigung) oder Anteilnahme (Hochzeit) kaschiert wird, kann in den meisten Fällen als Selbsttäuschung der Gaffer verstanden werden. Ich denke auch, viele brauchen das, um in der heutigen Zeit einigermassen normal über die Runden zu kommen, wahrscheinlich aus Ermangelung eigener Kreativität. Übrigens: Mein TV-Gerät hat ein Ein- Aus-Knopf!
Bruno Heuberger, Oberwil
"Kirche hat sich eine schwere Verantwortung aufgeladen"
Mündigkeit bedeutet Verantwortung. Doch Verantwortung übernehmen will heute niemand. Der Chef, Sachzwänge, der Markt, die Erziehung, die Gesellschaft, etc. sind schuld. Ganz zu schweigen von der Verantwortung, die man auch für Unterlassenes trägt.
A propos Verantwortung und Papst. Nicht zu vergessen all die Kinder in Afrika, die aufgrund des Verhütungverbots in die Welt gesetzt wurden. Ohne Hoffnung auf Ausbildung, Lebensqualität, Zukunft - zudem für Extremisten leicht zu rekrutieren. Des weiteren all die HIV-Positiven, die sich aufgrund des Kondomverbots neu infizierten. Viel, viel Leid. Da hat sich die römisch-katholische Kirche eine schwere Verantwortung aufgeladen.
Andy Wolf, Muttenz