Zwischen Rhetorik und Realität
Vor jedem Beitrag, den ich schreibe, frage ich mich, was ich damit erreichen will. Warum schreibe ich ihn, und mit welchem Anspruch? Das geschriebene Wort hat eine erdrückende Bedeutung. Aber alles Gesagte oder Geschriebene kann nur ein Angebot sein, ein Vorschlag, mehr nicht. Viele meiner Beiträge haben die Sprache zum Thema. Ich versuche, ihre Rückseite aufzuschlagen und zu lesen, was dort steht.
Wir leben in einer medialen Gesellschaft. Das will sagen, dass wir weniger miteinander reden und umso mehr über Verlautbarungen miteinander verkehren. Die Wörter werden als Kampfmittel eingesetzt. Sie prägen unser Meinen, Sagen, Denken und stabilisieren und konsolidieren die Verhältnisse. Im Dröhnen der Veröffentlichungen werden die Absichten leicht unterschlagen und eskamotiert.
Man kann mit der Sprache vieles verdrehen, mit ihr diese Verdrehungen aber auch aufdecken. Für das Unwort der deutschen Sprache 2005 stand die Formulierung "beschäftigungsorientierte Abbaumodelle" zur Diskussion. Arbeit soll gesichert werden – das ist die Rhetorik. Tatsächlich jedoch wird sie abgebaut und ausgelagert oder werden schlechtere Anstellungsbedingungen durchgesetzt – das ist die Realität.
Die Sprache wird auf diese Weise flexibilisiert, bis sie passend verwendet werden kann. Wenn Präsident Bush von Wirtschaftswachstum, neuen Arbeitsplätzen und Sicherung der wirtschaftlichen Expansion spricht, hat er im Sinn, Naturschutzreservate in Alaska für die Ölförderung an befreundete Unternehmen abzugeben.
Eine wachsende Zahl doppelzüngiger Wörter und Begriffe hat sich im alltäglichen Sprachgebrauch eingenistet. Sie tönen vollmundig, werden aber nicht hinterfragt (nur das nicht) und können daher etwas ausserhalb des Konsenses meinen. Reform ist ein solcher Begriff. Er meint in Wirklichkeit, dass die alten Verhältnisse beseitigt und durch neue ersetzt werden sollen, mit denen sich leichter kutschieren und mehr verdienen lässt. Reformstau bedeutet unter diesen Umständen, dass die Beseitigung noch nicht weit genug gegangen ist und immer noch zu wenig verdient wird.
Hochlohnland heisst zum Beispiel, dass die tiefen Löhne zu hoch sind (und die hohen zu tief).
Wir reden von Globalismus und drehen den Gashahn zu. Oder den Geldhahn. Was soll Globalismus heissen, wenn nicht einmal die beiden Basler Halbkantone miteinander verkehren können?
Demokratie ist in der Theorie eine Wundersalbe, aber in der Praxis ein Hindernis für die Sprachrohre von "Avenir Suisse".
Unternehmertum, Markt, Sparen, Aufschwung, Wachstum, Flexibilität, Erfolg sind eine paar weitere Ausdrücke aus dem einschlägigen Wortschatz der dominierenden Interessen.
Das Gleiche gilt sinngemäss für Begriffe wie Terror, Rassismus, Asyl, politische Korrektheit und so weiter. Oder Sport. Wir wollen fairen Sport. Ach ja? Hauptsache ist Siegen. Oder sollen Fussballspieler bei jedem Zuspiel Danke und jedem Ballverlust Entschuldigung sagen?
Es erscheint mithin sinnvoll, hinter die Fassade der Wörter und der Sprache zu leuchten und fallweise zu untersuchen, was genau gemeint ist.
9. Januar 2006
"Was die Wirtschaftsrhetoriker meinen"
Zum Familiendialog bei Heubergers: Ist es bei Ihnen nicht auch meist eher so, dass die Einen die Andern als Pessimisten bzw. Optimisten betiteln? Und dann vergessen Sie noch die von Aurel Schmidt wohl gemeinten Wirtschaftsrhetoriker. Die sagen nämlich, dass die Fassungskapazität des Glases um 100 Prozent überdimensioniert sei.
Peter Ensner, Basel
"Der Egoismus und das altruistische Basel"
"Demokratie ist ... in der Praxis ein Hindernis für die Sprachrohre von "Avenir Suisse"." schreibt Aurel Schmidt. Wie schon in seiner vorvergangenen Kolumne "Warum wir sparen müssen" suggeriert er nicht nur, sondern artikuliert, dass der "Abusus" nur auf einer politischen Seite, nämlich der bürgerlich-liberalen,
zu orten ist.
Anhand der kürzlich publik gewordenen, erfreulich sachlichen, lobenswert pragmatischen Integrations- und Sozialhilfeansätze der bürgerlich-liberalen Regierungsratskandidatin Saskia Frei sei der Beweis geführt, dass dem in keinster Weise so ist. Saskia Frei postuliert punkto sozialhilfeabhängigen Ausländern nicht mehr und nicht weniger als die "totale Ausnutzung der Bundesgesetze". Das heisst, dass Ausländer - die hier sind, weil sie von der hiesigen Sozialhilfe, dem hiesigen Bildungs-, Gesundheits- und Rechtswesen erheblich besser gestellt werden, als in ihrem Heimatland - nach dem Bezug von "erheblichen Unterstützungsleistungen" ausgewiesen werden können und sollen. Diese doch wohl klar im Interesse Basels und damit aller in Basel ansässigen Steuern zahlenden Personen - Basler, Schweizer, Ausländer - liegenden Ansätze, bewirkten sodann recht gschpässige, ziemlich hysterische Entgegnungen: "egoistisch", "menschenverachtend", "mit uns nie" und - wen überraschts - natürlich "neoliberal". All das von der Basler Linken; von der Fraktionsführerin der SP, über Exponenten des Grünen Bündnisses, in die SP integrierte Neo-Schweizer bis zur Regierungsratskandidatin der Armutsliste.
Der Basler Linken ist es wurscht, dass diese Leute einzig und alleine aus egoistischen Gründen hier in Basel sind - konkret deshalb, weil ihr Heimatland mehr von ihnen verlangt als das altruistische Basel!
Aurel Schmidt gewänne an Glaubwürdigkeit, wenn er nicht weiter als Sprachrohr der Basler Linken fungierte, deren Ziel zu sein scheint: "Proletarier aller Welt, vereinigt Euch in Basel, denn hier lebt sichs, ohne zu arbeiten, bestens!"
Patric C. Friedlin, Basel
"Wenn zwei das Gleiche sagen"
Da kommt mir der ab und zu wiederkehrende Dialog im Familienkreis in den Sinn: Die einen sagen, das Glas ist noch halb voll, die anderen meinen, es sei schon halb leer. Jeder hat seine Interpretationen präsent! Und alle meinen doch etwas anderes. Obwohl das Glas in Wirklichkeit schon halbvoll und halb leer ist.
Merke: Wenn zwei das Gleiche sagen, bedeutet das nicht immer das Gleiche. Die einen betiteln sich als Optimisten, die anderen als Pessimisten. Auch das ist eine rhetorische Realität.
Bruno Heuberger, Oberwil