... Guo Mao: Vom Feinesten
Zugegeben, Guo Mao ist weder ein Land noch eine Stadt noch nicht einmal ein Quartier. Guo Mao ist eine Kreuzung oder besser ein Geschäfts- und Verkehrsknotenpunkt im Zentrum der 16-Millionen-Metropole Peking. Wolkenkratzer an Wolkenkratzer, dazwischen Schnell-, Hoch- und Tiefstrassen, darunter Untergrundbahnen, darüber der notorisch verschmutzte Himmel der chinesischen Hauptstadt. Tagsüber brodelt es rund um Guo Mao von Menschen, Autos und Fahrrädern, zumal in den Stosszeiten morgens und abends. Und mit jedem Monat wächst der Menschenstrom, denn neue Büro- und Wohnhäuser werden hochgezogen. Hoch, höher am höchsten scheint gleichermassen die Devise von Star-Architekten und globalen Businessleuten zu sein.
Obschon die Geschäftswelt um Guo Mao im zentralen Business-Distrikt - offiziell: CBD - dominant ist, gibt es auch unter- und oberirdische Konsumtempel mit meist teuren Einkaufszentren mit allem, was in der Konsumgüterindustrie Rang und Namen hat von A wie Armani über R wie Rolex bis hin zu Z wie Zenga sowie Autohändler mit dem Feinsten vom Feinen von A wie Aston Martin über M wie Maybach bis hin zu H wie Hummer oder R wie Rolls-Royce. Dazu Hotels der Fünf-*-Kategorie, internationale und chinesische Restaurants, lokale Imbissbuden, herrliche kleine Nudel- und Ravioli-Strassenküchen und natürlich Teehäuser, Kaffees sowie westliche Hamburger- und Hühnchenbrater.
Aber auch Kultur wird grossgeschrieben: Theater, Konzert, Kino. Kurz, die Pekinger Stadtväter hatten mit dem CBD vor knapp einem Jahrzehnt das "Manhattan Chinas", ja Asiens geplant. Und so ist es auch geworden.
Und es wächst jeden Tag weiter. Grösstes Kulturprojekt, sozusagen, ist das neue, 250 Meter hohe Zentrum des Chinesischen Fernsehens CCTV, das im Entstehen begriffen ist. Entworfen hat es der Niederländer Rem Koolhaas. Nicht ein klassischer Wolkenkratzer wächst da in den Pekinger Himmel, sondern zwei schräge Türme, die sich weit oben mit grotesken Winkeln zusammenfügen werden. Herzog & de Meurons trendiges "Vogelnest", das Olympiastadion, sieht verglichen damit schon fast wieder alt aus.
Zigtausend Fernsehmitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden in naher Zukunft im schiefen Koolhaas-Turm produzieren. Das Staatsfernsehen mit 14 Programm-Kanälen hat sich das neue Zentrum etwas kosten lassen. Technisch jedenfalls wird es mit dem letzten technischen Zwick an der Geissel ausgerüstet sein. Auch programmlich kann sich das Staatsfernsehen sehen lassen. Vergangen sind die Zeiten des drögen sozialistischen Farbfernsehens. Sogar die Nachrichten sind vom Design, der Dramaturgie und der Bildführung her vom Feinsten. Modern, weltgewandt. Denn Nachrichtensendungen kann man ja nicht mehr neu erfinden. Allerdings: Die Moderatoren und Moderatorinnen der zentralen Nachrichtensendung (Einschaltquote mehrere hundert Millionen Zuschauer und Zuschauerinnen) werden auch im Koolhaas-CCTV-Zentrum noch immer sitzend die Nachrichten vermitteln. Und zwar locker vom Hocker.
Vom neuen europäischen Trend, stehend zu moderieren, ist das chinesische Fernsehen - Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao und Deng Xiaoping sei Dank - noch nicht angekränkelt. Aber wer weiss, vielleicht wird einst das Leutschenbacher "Tagesschau"-Studio, das wohl einer postmodernen Bar im Zürcher Niederdorf nachempfunden ist, dereinst die Genossen vom chinesischen Staatsfernsehen derart beeindrucken, dass es kopiert wird. Ohne Copyright selbstverständlich. Möglicherweise wird auch die kabarettreif inszenierte Leutschenbacher Präsentation mit Moderatoren, die mit ihren Händen nichts anzufangen wissen und sich krampfhaft an einem Blatt Papier festhalten, übernommen. Kurz: Die Hauptnachrichten von CCTV sind in Präsentation und Erscheinungsbild modern, die Schweizer "Tagesschau" trendig-verkrampft. (Katja Stauber ist die löbliche Ausnahme.)
Vom freien, offenen Umgang mit den Nachrichten freilich könnten die Fernsehmacher von Guo Mao noch einiges, nein alles von "Leutschenbach" lernen. Vielen Schweizer Journalisten sei es deshalb ins Stammbuch geschrieben: Das chinesische Fernsehen ist staatliches Fernsehen, das schweizerische Fernsehen ist öffentlich-rechtliches Fernsehen. Ein kleiner, aber entscheidender Unterschied.
Im übrigen gilt die alte TV-Weisheit für Guo Mao und Leutschenbach gleichermassen: Letztlich kommt es nicht darauf an, was man sagt, sondern wie man es sagt ...
10. Dezember 2007