... Quanjude: Compi oder Dattelholz
Peking rückt – der Olympischen Spiele im August wegen – immer mehr in die Schlagzeilen der internationalen Presse. In westlichen Medien sorgen vor allem Menschenrechte, Tibet (besonders aktuell), Taiwan oder die Luftverschmutzung für Nachrichten. In Peking und China selbst wird dagegen, versteht sich, nichts politisch Heikles thematisiert. Vielmehr stehen die Vorbereitungen der Spiele, Benimm-Regeln, öffentlicher Verkehr, Bemühungen um saubere Luft und ähnliches im Mittelpunkt. Dies alles mit dem Ziel, China beim grössten Sportereignis der Welt global in ein möglichst gutes Licht zu rücken.
Jetzt ist in Peking ein kulinarischer Streit ausgebrochen, der international zwar kaum für Aufsehen sorgen wird, in der chinesischen Hauptstadt selbst hingegen niemanden kalt lässt. Es ist wie in Basel beim Fussball - jeder ist ein Kenner. In Peking weiss deshalb jedermann und jedefrau, wo die Ente am besten zu verzehren ist. Trotzdem, das bekannteste Enten-Restaurant der Stadt ist das "Quanjude", 1864 beim Südtor Qianmen gegründet. Heute ist "Quanjude" ein erfolgreiches Staatsunternehmen mit Dutzenden von Filialen: Jeden Abend sind die Lokale dieses Namens voll belegt. Pekinger in ordentlichen Warteschlangen - in dieser Stadt eine Seltenheit - warten auf Einlass.
Seit der Gründung von "Quanjude" vor fast 150 Jahren sind dort sage und schreibe 115 Millionen Pekinger Enten gebraten worden, wie das Unternehmen stolz auf der Firmen-Website bekannt gibt. Gebraten nach altem Rezept über einem Dattelholz-Feuer. Nur so nämlich kann die lackierte Ente - Canard lacqué, wie sie französisch so bildhaft und akurat bezeichnet wird - die unverwechselbare Farbe und den köstlichen Geschmack entwickeln. Die Peking- Ente ist in der Tat ein kulinarisches Kunstwerk, und nirgendwo sonst auf der Welt wird sie so perfekt zubereitet.
Aber Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Das auf seine Tradition stolze "Quanjude" hat jetzt eine Riesen-Diskussion in der Öffentlichkeit ausgelöst. Anstatt nämlich die Ente über dem Dattelholzfeuer zu garen wird das arme Tier in einen computer-gesteuerten Ofen geschoben, einem Ofen notabene, der - wie man ja in Basel zur Genüge weiss - in der kulinarischen Spitzennation Deutschland entwickelt und produziert worden ist.
Die Meinungen im "Quanjude" und in der Stadt gehen - ehrlicherweise muss es gesagt sein - weit auseinander. Der 79 Jahre alte Rentner Liu Wanxian zum Beispiel meint überraschenderweise, die neue Methode sei gut, umweltfreundlich und dazu noch der Gesundheit zuträglich. Man müsse eben aufgeschlossen fürs Neue sein. Der Geschmack der Ente, so Lao Liu, sei mindestens gleich, wenn nicht sogar besser als die Dattelholz-Version.
Ganz andrer Meinung ist Cui Ayi. Nein, mit der bewährten, über ein Jahrhundert alten Tradition zu brechen, sei eine Schande. Typisch, schimpft die 50-Jährige, heutzutage werde alles automatisiert und computerisiert. Die Qualität habe sichtlich nachgelassen.
"Quanjude" ist offensichtlich Opfer seines Erfolges, seines enormen Zuspruchs geworden. Zu den bereits bestehenden 50 Filialbetrieben sollen nochmals 50 hinzukommen. Der Gang an die Börse war ein Riesenerfolg. Kurz, die sozialistische Marktwirtschaft chinesischer Prägung trifft jetzt die Pekinger Ente ins Mark. Sozusagen.
Im "Quanjude" verkehren natürlich auch viele Ausländer, Touristen, Geschäftsleute, Diplomaten. Auch unter ihnen sind die Meinungen geteilt mit einem leichten Vorteil für Tradition und Dattelholz.
Profitmässig wird natürlich auch ohne Dattelholz die Rechnung der westlich geschulten "Quanjude"-Manager aufgehen. Für all jene aber, die zu den Olympischen Spielen im August nach Peking kommen, und die es nach einer wirklich guten, über Dattelholz gebratenen echten, traditionellen Pekinger Ente gelüstet, hier zwei Geheimtipps: Entweder bei "Li Qun" in der Altstadt oder dann im "Da Dong" gleich östlich der Dritten Ringstrasse. Aber bitte: Nicht weitersagen. Es soll schmecken! E Guete!
17. März 2008