Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Die kahle Sängerin"
Autor: Eugène Ionesco (mit drei Geschichten von Händl Klaus)
Regie: Werner Düggelin
Bühne: Raimund Bauer
Mit Bastian Heidenreich, Marie Jung, Vincent Leittersdorf, Jörg Schröder, Katharina von Bock, Nikola Weisse
Düggs kahles Theater
Alt ist er geworden. Beinahe fürchtete man, er würde beim Schlussapplaus stolpern auf der Bühne. Das Klatschen schwoll beim Erscheinen des bald 80-jährigen Herrn etwas an. Der Mann war schliesslich Direktor hier, als das Theater in den siebziger Jahren seine Hoch-Zeit hatte und noch Schauplatz des öffentlichen Gesprächs war.
Das ist lange her. Heute wurden viele im nicht ganz vollbesetzten Auditorium ungeduldig: Man liess es etwas im Dunkeln sitzen, um den bald abflauenden Applaus nach der einstündigen Vorstellung nicht etwa allzu früh abzuklemmen.
Ja, was hier geschehen war, hatte wenig Spannung hinterlassen. Werner Düggelin hatte einen Kammerspiel-Abend mit einem Klassiker des absurden Theaters ohne Knalleffekte für sechs Schauspieler gestaltet. Es ist uns ja beinahe abhanden gekommen, einfach mal Schauspielern zuzusehen und Sätzen zu lauschen, die uns ohne übergestülpte "Neudeutungen" und ohne draufgesetzte "Verbildlichung" dargeboten werden. Der Mut Düggelins, einfach auf die puren Vorgänge zu setzen, und die athmosphärische Wirkung, die dabei entsteht, ist heute schon bemerkenswert.
Und so sitzt denn das bürgerliche, englische Ehepaar Smith (Weisse/Schröder) wie vor 59 Jahren bei der Uraufführung in den Sesseln ihrer englischen Stube, und schwätzt alltäglich über Bobby Watson, der schon zwei Jahre tot aber gleichwohl seit vier Jahren ein wahrer lebender Leichnam ist. "Und wie war er doch froh!." Oder dann über die junge Frau, die den Gashahn offen liess. Sie hatte geglaubt, es sei ihr Kamm. Mister Smith: "Diese Verwechslungen sind immer folgenschwer." Und wann arbeiten die Handelsreisenden? Immer am Dienstag, Donnerstag und Dienstag. Misses Smith: "Ach, an drei Tagen?"
Bald treffen die Martins (von Bock/Leittersdorf) bei den Smiths ein, die sich bei ihrem Auftritt gegenseitig gar nicht wieder erkennen. Sie erinnern sich schlicht nicht aneinander. Das alles kitzelt an den Urängsten, und wir ahnen dunkel, welche Irritationen die irren Sätze dieser Bürgerpaare einst auslösten. Es läutet. Aber niemand ist draussen. Vier Mal. Am Ende war es der Feuerwehrmann (Heidenreich). Der erzählt zur allgemeinen Begeisterung Geschichten wie diese: "Es fragte einmal ein anderer Ochse einen anderen Hund: 'Warum hast du deinen Rüssel nicht verschluckt?' 'Pardon', gab da der Hund zurück, 'ich habe geglaubt, ich sei ein Elefant.'"
Ionesco war ein scharfer Beobachter-Autor: "Das Surreale ist mit Händen zu greifen, es ist vorhanden - im Alltagsgeschwätz", schrieb er. Wie wahr. Heute wissen wir das.
Die Akteure sitzen meist auf ihren Stühlen und machen sich mit ihren gedankenlos vorgebrachten Aussagen zu mechanischen Figuren, zu Menschenpuppen. Um den Effekt zu verstärken, kreisen die Akteure auf kleinen Drehbühnen um sich selbst. Und dann verzichtet Düggelin auf die Wanduhr, die bei Ionesco 17 Mal schlägt. Damit ist auch schon fast alles aufgezählt, was der Regisseur an der Vorlage änderte.
Man spürte Düggelins Versuch, uns in die Zeit seiner eigenen Anfänge zurückzuführen, und uns plausibel zu machen, dass der Text von 1950 auch in seiner ganz ursprünglichen Form dargeboten, aktuell und von frappierender Wirkung sein konnte. Stimmt, ist er auch.
Aber die Wirkung des Textes, da er den Witz aus dem Surrealen bezieht, wird eingesperrt, wenn er mit mentaler Schärfe gesprochen wird. Im Gegenteil wäre die unschuldige Naivität eines Clowns notwendig gewesen, eine Art Kindermund, der die Sätze irritierend, da unvermittelt aus dem Innern herausschwappen liesse. Ein überraschender Bühnenakt aus dem Nichtvorherwissen. Sätze, die nicht schon im Schauspielerkopf, sondern erst im Zuhörerkopf ihre Absurdität entfalten.
Aber das konnte Düggelin von intellektuellen Rampen-Routiniers wie Weisse, Leittersdorf oder Schröder offenbar nicht verlangen. Sie konnten bei aller sichtlichen Bemühung ihren Reflexapparat nicht abstellen, Sätze sinngeladen und sinnvoll betont wiederzugeben. Das klang dann nach "Sauber gemacht" und "Auswendiggelernt". Und nach abgestandenem Theater, wo die Macher sich vergeblich abmühen, den Absurditäts-Effekt durch einen möglichst naturalistischen Tonfall hervorzurufen. Witzlos wurde das dann, wenn die Schauspieler auf Tempo machten. Da war dann alles weg, was noch hätte charmant idiotisch einfahren können. Und ganz ohne erkennbaren Sinn blieb die Idee, drei Kurzgeschichten des Feuerwehrmanns vom Autor Händl Klaus neu schreiben zu lassen.
Trotz aller Kritik: Der Abend hat seine lustigen Glanzstellen, die für Liebhaber-Lacher sorgten. Düggs Setting verlangt vom Ensemble einiges mehr an Können und Konzentration ab als wenn permanente action und Bühneneffekte die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Insofern: Chapeau für Düggs Mut und die Leistung der Schauspieler.
Interview mit Werner Düggelin
25. September 2009