Theater Basel, Grosse Bühne
Premiere
Richard III.
Autor: William Shakespeare
Regie und Bühne: Michael Simon
Mit Ariane Andereggen, Carina Braunschmidt, Inga Eickemeier, Claudia Jahn, Pascal Lalo, Vincent Leittersdorf
Morde ohne Leichen
Den ersten Mord begeht nicht der Bösewicht Richard, sondern das Theater Basel: Sieben Wochen Probezeit für ein Shakespeare-Stück, das ist Mord an der Kunst. Gibt man sich hier mit einer Kompromiss-Aufführung von ein-bisschen-was-Shakespeare zufrieden, damit man den guten Namen draussen an der Theaterfassade leuchten lassen kann? Selbst ein gut trainiertes Spitzenensemble hätte grösste Mühe, die Vielschichtigkeit von Drama und Personal in dieser kurzen Zeit herauszuarbeiten. Und für ein Spitzenensemble fehlt in Basel das Geld.
So wurde der Streichstift zum ersten Werkzeug der Dramaturgie. Hier definierten die Macher eine Spitzenmarke: Knapp zwei Stunden, weniger als ein Drittel, liessen sie übrig. "Eingedampft", nannte es Haus-Chefdramaturg Martin Wigger. Dazu mussten sie zunächst mal einiges "wegdampfen", auch herrliche dramatische Szenen: Die Entscheidungsschlacht am Ende etwa, oder die Geister, die Richard vor der Endschlacht im Traum verfluchen. Weggedampft auch der grimmige Humor, in den Shakespeare Richards Morde fasste: Der fiese Komplott an Lord Hastings oder die bissige Clownerie der zwei debilen Mörder von Clarence. Alles weg, gestrichen. Und weggedampft schliesslich, was uns als Bild immer schockieren würde: Der frische Anblick der elfjährigen, adeligen Buben, die Richard erwürgen lässt aus Angst.
Überhaupt sind die Toten kaum je sichtbar, obgleich die Tragödie vom blutigen Kampf um den Thron handelt. So verführt Richard etwa die junge Witwe Lady Anne nicht gleich neben dem Sarg ihres toten Schwiegervaters, den er ermordet hatte. Nein, sie war statt mit dem Sarg nur mit einem langen Strick aufgetreten, an dessen Ende wir den Sarg annehmen müssen. So verschenkt man bildliche Spannung.
Die Verführung ist hier im Wesentlichen ein Ringkämpfli zwischen einem weinerlichen Feigling und einer Punk-Göre. Ob das spannungsvoller ist als der raffiniert komponierte Prozess, wie der Stärkere mit seiner überstarken Sexualenergie nach und nach Besitz von der Schwächeren ergreift, wie es der Dialog vorsieht, überlasse ich dem Geschmack der Leserin, des Lesers. Jedenfalls: Der Folge-Monolog, wo Richard triumphiert, dass noch nie eine Frau so genial gewonnen wurde, geht klar nicht auf. Er ist sinnlos.
Richard nennt sich in der hier verwendeten Übersetzung von Thomas Brasch "Dreckskerl", in der bekannteren von Schlegel "Bösewicht". Man fühlt den Unterschied. Dass Richard, wie oft beschrieben, ein dunkles Genie sei, das nicht böser als seine Umwelt ist, sondern nur weniger sentimental, diese Fallhöhe, mochte Regisseur Michael Simon nicht ansteuern. Vielmehr dichtet er dem "Dreckskerl" eine inzestuöse Bindung zur Mutter an, die ihn mit Ehrgeiz, Kälte, Hass und Kritikunfähigkeit angefüllt habe. Gegen seinen Willen rangeln sie auf dem Boden herum: ein stilisiertes Bumsen, sie grinst dazu feierlich. Ganz sicher spielt Leittersdorf keinen attraktiven Satan sondern einen fiesen Hanswurst, mit dem keiner was zu tun haben will.
Symbolische Figuren dominieren die Bühne: Ein riesiger Trichter liegt am Boden, ein meterdicker Ball mit Papp-Krone hängt meterhoch am Seil, eine schiefe Holzfläche bietet sich an, um hoch zu rennen und runter zu rutschen. Königswitwe Margaret, der die Familienmänner weggemetzelt wurden, benützt – ohne Punkt und Komma dauerfluchend – den Trichter (Rache) wie der Hamster das Tretrad. Unter dem Riesenball (Ruhm) hängt die Mutter des ehrgeizigen Richard am Seil: So sehr scheint die Herzogin von York Richards Aufstieg begehrt zu haben. Und Richard-Gehilfe Buckingham strampelt sich hündisch hechelnd hilflos an der schiefen Fläche (Etiketten-Parkett) ab – als müsste er erst erkennen, dass er selbst für höhere Karriereziele nicht taugt. An und zwischen diesen Formen aus der Bildwelt surrealer Maler arbeiten sich die "Männli" auf der grossen Bühne ab, vollziehen umher rennend eine Art mechanisches Ballett, sind den Elementen und Ereignissen quasi ausgesetzt, die grösser sind als sie.
Das ist als Bild vielleicht interessant, aber gewiss sehr wuchtig und energieverschlingend. Zwischentöne haben keine Chance. Auf eine Wortregie scheint kaum geachtet worden zu sein. Es wird kalt und laut deklamiert, künstlich pausiert, fröhlich outriert. Wer hört hier schon zu, wenn Margaret (Braunschmidt) minutenlang ihre Flüche röhrt? Oder wenn Richard (Leittersdorf) sich am Ende durch den verhackstückten Schluss-Monolog-Potpourri stammelt? Oder wenn Herzogin von York (Jahn) mit kaltem Hausfrauen-Pragmatismus-Ton von Schmerz und Todeswunsch schwatzt. Es ist nur eins: langweilig. Die angestrengte, mangelhafte Sprechtechnik der beiden Männer macht das Zuhören zusätzlich anstrengend.
Was der Regisseur möglicherweise gesucht hat: Dass die Personen zu stilisierten Figuren, zu bewegten Skulpturen im mechanischen Ballett-Park werden. Das klappte etwa bei Königin Elisabeth (Andereggen). Sie windet ihren langen Körper, ringt sich jede Silbe aus dem Mund - als Bild für seelische Dauerüberlastung, für emotionale Überdehntheit. Aber auch das wird auf Dauer zur Masche, die keine Überraschung mehr erlaubt.
Das Publikum applaudierte verhalten freundlich in den gut besuchten Rängen. Für die Regie gab es ein paar beherzte Buh-Rufe.
13. Februar 2010