Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Vor Sonnenuntergang"
Autor: Gerhart Hauptmann
Regie: Erich Sidler
Bühne: Wolf Gutjahr
Mit Andrea Bettini, Urs Bihler, Carina Braunschmidt, Inga Eickemeier, Martin Engler, Mavie Hörbiger, Martin Hug, Renate Jett, Florian Müller-Morungen, Jörg Schröder, Bastian Semm, Raphael Traub
Puppen spielen Chiffren
Der Hass geht immer gegen die, die mehr Leben wollen und es sich auch nehmen.
Seine grosse Liebe findet der Grossverleger Matthias Clausen mit 70 Jahren - zur 19-jährigen Kindergärtnerin Inken Peters. Aufgepasst: Dieser leidenschaftliche Lebemensch nimmt diese Liebe todernst. Autor Hauptmann hat sie eindringlich als den Dialog zweier autonomer Menschen ausgestaltet, ohne Fallhöhe von wegen Alters oder Rangs. Nun aber muss Matthias Clausen erfahren, der sich ein Leben lang unternehmerisch forderte, kulturell bildete, geistig formte, dass seine Grossfamilie diese Liebe hasst und torpediert. Denn sie will nicht auf ihr Erbe verzichten! Sie will den Patriarchen als alten Trottel, den man finanziell und auch emotional ausbeuten kann. So offen sagts natürlich keiner. Nach ein paar fruchtlosen Intrigen bedrohen ihn die achso liebevoll besorgten Kinderlein mit amtlicher Entmündigung. Diese Respektlosigkeit, diese Niedrigkeit, diese Kleinheit aus seiner eigenen Brut – das erträgt er nicht, er bricht, und bringt sich um.
Bei der Premiere 1932 in Berlin stach dieses Stück mitten hinein in das Klima revanchistisch-nationalistischer Machtgeilheit, sentimentaler Familien-Heiligung und sexueller Verlogenheit. Auf der Bühne des Basler Schauspielhauses 2007 hingegen konnte einen dieses Familien-Theater nicht recht entsetzen, weil fast alle auf der Bühne meinten, den Sauerteig schon zu gut zu kennen. Ausser beim derben Schwiegersohn Klamroth (Müller-Morungen) blieben die Emotionen bei fast der ganzen Familienbande Karikatur und die Worte Text, ohne den jeweiligen Ursprung fühlbar zu machen."
Puppen spielten Chiffren: Bedeutungsvoll hoben sich Augenbrauen und falteten sich Stirnen – nicht sehr anders als wie bei den Grossindustriellen-Familien, die Derrick mit Harry besucht. Besonders aber verkörperte Jörg Schröder als Clausen nicht einen Kulturmenschen mit Strahlkraft, sondern einen etwas proletarischen Direktoren-Rentner, dem die Arme länger schon resigniert herunterhängen, und der sich jetzt mal einer Altersepisode hingibt. Mit so was leidet man nicht mit.
Regisseur Erich Sidler betrieb viel Aufwand damit, die Personen oft und rasch auftreten und wieder abgehen zu lassen. Sollte mit diesen Bewegungen die Entstehung eines Spinnennetzes auf der Bühne angedeutet werden? Oder ein Klima der Observierung dargestellt werden? Es ist nicht erkennbar geworden.
12. Mai 2007