Theater Basel, Kleine Bühne
Uraufführung
"Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends"
Autor: PeterLicht
Regie: Florentine Klepper
Bühne: Chalune Seiberth
Licht: GigerHeidLights
Mit Andrea Bettini, Carina Braunschmidt, Tumasch Clalüna, Inga Eickemeier, Tobias Hofmann, Pascal Lalo, Isabelle Menke, Florian Müller-Morungen, Jannek Petri
Liederabend der Generation, die nie erwachsen wird
Der Pascal Lalo kocht einen Filterkaffee, vorne rechts am Bühnenrand, raucht, und die Isabelle Menke, vorne links, röstet Toasts, raucht nicht. Im Hintergrund schrummeln drei Jungs - Bass, Gitarre, Schlagzeug - die ewigen drei New-Wave-Akkorde. Irgendwann entreisst sich die Inga Eickemeier dem kollektiven Dahocken, packt ein Mikrophon, und trällert dazu, gerade so, als wärs ein Einfall: "Ich war mal Cowboy. Jetzt bin ich Buddhist - Die zarteste Versuchung seit es Gesellschaft gibt", haucht Inga. Dann winkt sie ab, als wär ihr der Versuch peinlich geworden.
Aber das mit dem Cowboy war nicht Ingas Einfall, sondern PeterLichts, dem "anonymen Melancholiker", wie "Der Spiegel" den Autor nannte. Denn der scheue Mann lässt sich nicht fotografieren und filmen, ist als Person unbekannt. Ist aber auch so ein Star des Feuilletons und all der Dreissigjährigen geworden, die studiert haben und im Trainerjäckchen durchs Leben unterwegs sind. Gestern abend sass er auf dem Balkon, wo ihn der Grossteil des Publikums nicht sah.
Sein Song "Sonnendeck" (noch als Meinrad Jungblut - "Wenn ich nicht da bin, bin ich auf'm Sonnendeck") wurde im Jahr 2000 zum Underground-Hit der Intellektuellen-Generation, die mit Jugendarbeitslosigkeit aufwuchs und tapfer (oder trotzig) überbordende Partys feiert. Und das Ensemble legt sich ins Zeug, skandiert und lacht: "Wir sind jung und machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt." Der Text schmiegt sich sanft so an den Vierviertel-Takt wie die Panzerraupe an das hügelige Übungsgelände. Die Band gibt stimmungsvolle Reggae- oder Rock-Hintergründe. Fast nie wird voll ausgespielt, fast immer bleibt es nur angetippt: Reduktion zurück bis auf den Grundimpuls eines im Raum zuckenden Beines.
In der Luft hängt meterhoch ein grosses Ledersofa, ein zweites klebt an der Wand. Die Wand ist oben abgerissen. In ihr klafft ein Riesenloch, dahinter alles schwarz. Lampen hängen von der Decke herunter, auch im Publikumsraum. Kaputte Stühle liegen, stehen herum. Der Übungskeller einer Band, oder die Stube einer WG. Das Trümmerfeld der 68er. Es könnte Sonntagnachmittag sein, und wer gerade mag oder muss, gibt zwangslos ein PeterLicht-Liedchen zum Besten. Egal wie. Bei Menke kommt es penetrant, bei Braunschmidt wie bei einer Blues-Chansonniere, bei Eickemeier mal extra falsch, oder sie wirft sich in Nick-Cave-Pose und röhrt düster. Und die Anderen singen und spielen, zirpen oder murmeln mit: "Die Schwerkraft ist überbewertet. Man braucht sie gar nicht, wie man ja wohl im Weltraum sieht." Schlagend. Oder?
Völlig einleuchtend auch dies: "Wer sich schneller entspannt, ist besser als jemand, der sich nicht so schnell entspannt, der aber immer noch besser ist als jemand, der sich überhaupt nicht entspannt und verdientermassen verdientermassen unentspannt ist." (Wettentspannen.) Dazwischen Sprüche wie dieser: "Humor is wenn man trotzdem nicht lacht obwohls vielleicht tatsächlich lustig war."
Zeit zerrinnt. Ist schon wieder Mittag? Intensive Lichtstimmungen – mal Hafenspelunke, mal Herbstnachmittag – wechseln auf der Bühne. Das Leben, nicht ein Traum, nein, das Leben, ein Provisorium. Brüchig. Disparat. "Du hast keine Wahl/Was Du hast/ist ein offenes Ende/sonst nichts", heisst es bei "Offenes Ende".
Aber mit der positiven Einstellung ist auch das Sofa, dem ein Bein fehlt, behaglich, auch dann wenn – ehrlich gesagt – gerade beide vorderen Sofabeine fehlen, und man sich dagegen wehren muss, nicht vom Sofa runter zu rutschen. So beginnt die Katastrophe in PeterLichts Buch "Die Geschichte meiner Einschätzung …". Ein Loch öffnet sich im Boden, Wände bersten, Wasser stürzt aus den Wänden, reissen den Ich-Erzähler mit sich. Laute Schläge rauben ihm die Besinnung. Ist er tot? Geträumt? Er beschreibt eine riesige Traurigkeit, die ihn befällt, weil er fühlt, wie im Strudel der Vernichtung alle Gegenstände ihre negative Energie entladen.
Das Ensemble sitzt vorne in einer Reihe und trägt diesen Buchtext vor, alle dürfen mal. Nicht bei allen hat der Text aber so eine starke Plastik, dass sie unter die Haut geht wie bei Florian Müller-Morungen oder Isabelle Menke. Aber gemeint ist: Was der Autor erlebt, das geht in uns allen vor. Die Kleidung, die Typen: Das wirkt wie ein Strassendurchschnitt. Bettini im Trainer, Lalo mit weissem Jacket und mit Flipflops, Braunschmidt mit dunklem Ledermantel.
Mit der Rezitation begann der Abend, dann schob das Ensembles Lautsprecherboxen und Instrumente auf die Bühne und setzte an zum Liederabend. Am Ende: Der kleinere Teil des Publikums (die Älteren) applaudierte freundlich, der grössere Teil (die Jüngeren) jubelte.
Regisseurin Florentine Klepper hat mit einem hochmotivierten Ensemble einen vergnüglichen Abend gestaltet.
19. September 2009