Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Das Geisterschiff"
Autorin: Margareth Obexer
Regie: Florentine Klepper
Musik: Olivier Truan, live gespielt von seiner Band "Kolsimcha"
Bühne: Bastian Trieb
Mit Dirk Glodde, Bastian Heidenreich, Martin Hug, Marie Jung, Katka Kurze, Chantal Le Moign, Lorenz Nufer Jörg Schröde
Zynische Groteske um tote Flüchtlinge
Es war die grösste Schiffskatastrophe im Mittelmeer nach dem Zweiten Weltkrieg, und sie geschah quasi gestern. 283 Kinder, Frauen und Männer ertranken im Dezember 1996 vor Sizilien. Körperteile, Kleider, Ausweise: Die italienischen Fischer bargen Überreste, warfen sie ins Meer zurück und schwiegen darüber. 29 Überlebende hatte es gegeben – sie wurden sofort ausser Landes geschafft. Die Behörden hatten die Katastrophe nicht untersucht. Erst im Jahre 2000 bewiesen Spezialisten im Auftrag der grössten italienischen Tageszeitung "La Repubblica" das Drama. Sie fanden das Wrack in 108 Metern Tiefe. Die Menschen kamen aus Sri Lanka, Indien, Pakistan.
Erstaunlich, dass dieses politische Drama bislang nur eine Künstlerin zu einem Theaterstück angeregt haben soll. Auch sonst verschwand die Katastrophe vom News-Radar. Sind die fremden Menschen uns egal, weil sie an unserem Wohlstand teilhaben wollten? Die bislang wenig bekannte Tirolerin Margareth Obexer gibt wenig angenehme Antworten. Sie schickt zwei ehrgeizige Reporter-Frischlinge an den Tatort, ins Küstendorf Portoceleste. Dort rümpft der eine erstmal die Nase: "Leichen in Netzen, ok, keine schlechte Geschichte. Aber ist die Sache auch gross genug? Ich meine, sie waren ja schon tot, oder?" Nur weil der hochdotierte Journalistenpreis lockt, interviewen sie "investigativ" den bauernschlauen Fischer Volpe, der den Ausweis eines 16-jährigen Jungen aus dem Meer gefischt hatte: Er soll endlich mal über die "Knochen in seinem Netz" reden vor der Kamera.
Auch eine Kuratorin recherchiert vor Ort, aber nicht nach tieferen Ursachen. Sie will die Künstlergruppe "Much Identity" unter Vertrag nehmen. Diese will nicht nur die Welt nach Gewürzen geopolitisch neu ordnen – hier Koriander, dort Vanille, da Fenchel, sondern auch die Machtverhältnisse umkrempeln: Wir Europäer sollen neu an den elektrisch geladenen Grenzzäunen hängen bleiben. Aber nur projektmässig, versteht sich! "Das ist doch das Tolle, dass das gar nicht funktioniert", so die Kuratorin. Und dann gibt es noch den Bestattungs-Unternehmer, der darüber ins Greinen verfällt, dass ihm die Bestattung der 300 Toten entging: Das hätte ihm doch glatt eine Villa finanziert.
Elegant lässt die Bürgermeisterin von Portoceleste die beiden Reporter ins Aus laufen: Sie sei ja eh ganz dagegen, dass Menschen im Meer untergingen. Sie wolle nun ein Mahnmal erstellen. Wofür? "Wofür jeder selber möchte", so die Bürgermeisterin (mit grosser Italia-Schleife), "ganz offen". Also für alles und nichts.
Autorin Obexer führt nicht bloss vordergründigen Egoismus vor, sondern auch politisch korrekten Betroffenheitskult. Die Leute treffen sich in Portoceleste zum "Europäischen Kongress zum europäischen Unbehagen gegenüber den Erscheinungen an den europäischen Rändern" – so, als würden wir deshalb einen Kongress veranstalten, weil wir in Tat und Wahrheit gar nichts ändern wollten. Dort lässt sie die Kuratorin über Lichterketten spotten, Benefizkonzerte, Demos, über unseren Wahn, uns schuldig zu fühlen: "Wir haben kein Recht, uns schuldig zu fühlen."
Die Autorin gibt nicht vor, sich für das wirkliche Portoceleste und die realen Toten zu interessieren. Eher schafft sie einen Raum für Erörterungen und Gedankenspiele. Wo diese aber nicht gerade ätzen und beissen, sacken sie ihrerseits ab in kopflastige Betroffenheitsprosa. Um dies zu entschärfen, verpackte Regisseurin Florentine Klepper das Stück in eine "Musikalische Groteske mit Kolsimcha" (Programmheft): Das heisst hier, sie unterbricht den Stückfluss mit choreographierten Ensembletänzen und Musikeinlagen.
Sie tut es anspielungsreich. Der Tanz um den Buffettisch erinnert an das expressionistische Antikriegs-Ballett "Der Grüne Tisch" von 1932. Die Basler Klezmerband "Kolsimcha" mahnt an jüdische Flüchtlingsschicksale. Klepper versetzt uns in einen kahlen Gemeindesaal mit Bühne, auf der mit provozierender Ausdrucksleere im Gesicht die Bandmitglieder swingen. Krachend knallt zu Beginn die Türe des Saales zu. Wir sind alle drin, drin im Raum des Dramas. Geschlossene Gesellschaft. Das Ensemble trommelt gegen die Türen, will raus. Am Ende schieben alle die Tische und Stühle vor die Tür, um sie endgültig zu verrammeln.
Die Schwächen des Abends sind solche Klischees – in Text und Bild. Die Tanzeinlagen werden stellenweise zum Pausenturnen ohne erkennbaren Sinn. Die grosse Stärke des Abends: Die Figuren sind derart von ihren Zwecken und ihrem Handeln eingenommen, sodass die Frage penetrant und andauernd im Raum steht, ob wir überhaupt zu Anteilnahme an anderen Menschen fähig sind.
12. März 2010