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Theater Basel, Schauspielhaus Premiere
Komödie von Friedrich Dürrenmatt Nach der Uraufführung am Schauspielhaus Zürich von 1962
Inszenierung: Ensemble Bühne: Ute Radler nach den Entwürfen von Teo Otto Kostüme: Benjamin Burgunder Lichtdesign: Vassilios Chassapakis Dramaturgie: Michael Gmaj Ton: Ralf Holtmann, Christof Stürchler
*Studiogäste Hochschule der Künste Bern, HKB Jubel für eine Copy-Paste-AufführungPfiffe, Rufe, eifriges Händeklatschen, ein Teil des Publikums hatte sich nach den knapp zweieinhalb Stunden sogar von den Sitzen erhoben. Eine berühmte, unterhaltsame Komödie und die Zertifikatspflicht (Einlass nur für Geimpfte, Genesene, Getestete) machten den Premierenerfolg vor nach langen Monaten wieder fast vollbesetztem Auditorium möglich. Ein solcher Saisonstart ist Theaterdirektor Benedikt von Peters Schauspieltruppe zu gönnen, nach Corona-bedingten Pausen und einer unterschiedlich besprochenen ersten Spielzeit.
Das neue Ensemble, dessen Ruf in unserer Kleinstadt mit "experimentell" eher negativ gelabelt ist, wählte für die Groteske zum Dürrenmatt-Jubiläum (100 Jahre) einen wagemutigen Zugriff nach der anderen Richtung: So wie "Die Physiker" 1962 im Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt wurde, sollte es in etwa werden. Keine Striche oder Änderungen am Text, keine auf heutige Verhältnisse bezogene Interpretation. Der Physiker, der sich für Einstein ausgibt, ist kostümiert wie der Original-Einstein, ebenso Newton. Einzig das Original-Bühnenbild, allerdings in morbidem Grau, denn Farbfotos von damals waren keine zu finden, haucht dem Publikum leise "Das ist Vergangenheit" zu. Und ein paar Slapstick-Einsprengsel erlaubte sich die Ensemble-Regie, die sich im Übrigen ganz dem Rhythmus der Handlung unterstellte.
Wer etwa wissen will, wie Carina Braunschmidt die Hauptrolle der Irrenhauschefin Doktor Mathilde von Zahnd bewältigte, findet auf youtube.com eine vollständige Fernsehinszenierung von 1964 mit Therese Giehse, der Dürrenmatt die Rolle auf den Leib geschrieben hatte: Braunschmidt ahmt sie bis in den immer wieder empor gereckten Zeigefinger in allem nach: bucklige Körperhaltung, massive Augenringe, absichtsvoll-unbestimmter Blick, skandierter Satzanfang, dann radikaler Fadeout zum geraunten Satzende.
Der akribischen Erarbeitung Braunschmidts gebührt Respekt. Besonders ihre mutige, ans Absurde reichende, manieristische Überspitzung füllt die Bühne mit Leben, versetzt uns immer neu in die vom Weltgeschehen hermetisch abgeschiedenen Luxus-Irrenanstalt. Aber gelegentlich, wenn ihr der direkte Impuls, der frische Zugriff fehlt, fällt Braunschmidt in Mache ab – und offenbart den Mangel an klarer Linie in der Schauspielführung, der auch am Ensemble feststellbar ist.
Nicht selten kippt das Spiel bedrohlich in Richtung Schwank. Auch ist die Aussprache nicht bei allen genügend ausgeformt. Eine Reihe von Nebenfiguren wirken überkostümiert und papierpuppenhaft: Kommentar zum sechziger Jahre-Theater oder Unvermögen? Herausragende Gegenbeispiele: Vera Flück als strenge Oberschwester Boll und Andrea Bettini als Inspektor Voss – beide saftig und kräftig.
Wagemutig ist der gewählte Ansatz deshalb, weil er unweigerlich die ernsten Inhalte, die verhandelt werden, der Frage aussetzt, inwiefern sie uns in der ursprünglichen Form dieses Stücks noch etwas angehen. Antwort: nichts. Die Vorstellung, dass ein "genialer" Physiker namens Möbius sich mit seinen im stillen Kämmerchen zusammengestellten Erkenntnissen in eine Irrenanstalt absetzt, weil seine Entdeckungen von Grossmächten zur globalen Vernichtung missbraucht werden könnten, ist in Zeiten global vernetzter Forschungstätigkeit abwegig. Auch gibt es heute keine zwei gegenüberliegende System-Grossmächte mehr, die einen "Einstein" oder einen "Newton" als Agenten auf ihn ansetzen könnten.
Die wissenschaftskritische Debatte im Stück, man müsse die fortschreitende Erkenntnis stoppen, weil wir Menschen sie nicht verwalten könnten, trifft heute auf ein Publikum, das den Alltag nur mehr mit einem aktuellen Smartphone bewältigt und welches das Theater überhaupt nur dank medizinischer Impfforschung betreten kann.
Auch guckt man heute reflexartig etwas verlegen auf Dürrenmatts Herrenwitz, dass die drei Physiker ihre liebesbedürftigen Krankenschwestern ermorden, um ihre jeweiligen Missionen nicht zu gefährden. Aber der Basler Abend hat bewiesen, dass Dürrenmatt mit schrägen Szenen und Einfällen, einem Uhrwerk-Spannungsaufbau und virtuosem Sprachhandwerk gutes und immer noch anregendes Unterhaltungstheater bieten kann – auch in einer copy-paste-Aufführung. 18. September 2021
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