Mundart-Stallgeruch im Grossen Rat
Baseldeutsch ist mir recht geläufig, denn es ist meine Muttersprache. Meine Mutter antwortete erst gar nicht, wenn wir nicht "richtig" Baseldeutsch sprachen, etwa "Jupe" sagten, anstatt "Junte". In Basel war und ist "richtiges" Baseldeutsch ein Statussymbol. Wo im Ausland Mundart dem Plebs zugeordnet wird und die Vornehmen Hochsprache sprechen, ist es in der Schweiz genau umgekehrt: Der Dialekt verrät dich, sagt, "aus welchem Stall" du kommst. Denn wer nicht wirklich aus dem richtigen "Stall" kommt, lernt es nie.
"Richtig" war einst eben etwa die "Junte", anstatt, wie heute, der "Jupe", was zu Deutsch ein Rock ist. Auf Baseldeutsch hingegen heisst ein Kleid "Rock". Immerhin gibt es auch den Begriff "Kleid", vulgo "Schale", vor allem für Herren, und damit meinen wir hierzulande einen Anzug.
"Anzüge" hingegen sind in Basel das, was Parlamentarier einreichen, wenn sie die Regierung aus ihrem Dornröschenschlaf aufrütteln und zu Taten anspornen möchten. Es werden also keine Textilien angezogen, sondern Themen. Kein Wunder, sind Einwandernde aus dem nördlichen Nachbarland zuweilen restlos verwirrt. Aber lassen wir das und bleiben wir bei den Anzügen, Schweizer Variante.
"Keiner unter 80 Jahren
sagt in Basel mehr 'allewyl'."
Die Voten zu Anzügen, wie Postulate in Basel genannt werden, und andere parlamentarische Wortmeldungen dürfen nämlich laut Verordnung des Grossen Rats auf Dialekt oder Schriftsprache gehalten werden. Schriftsprache ist das verschweizerifizierte Hochdeutsch, das wir hierzulande nicht sprechen, sondern bloss schreiben, weil Dialekt nicht sinnvoll geschrieben werden kann.
Die Folge dieser Regelung ist ein wahrhaftes Potpourri an Sprachvarianten alleine bei den Parlamentsmitgliedern schweizerdeutscher Muttersprache. Alle sprechen eine Art Deutsch, manche Dialekt, manche Schriftsprache, mit allen nur denkbaren Akzenten. Auch solchen, die derart kratzen, dass die Ohren schmerzen und der Inhalt aussen vor bleibt.
An baseldeutschen Dialektvarianten gibt es einige. Den Handwerker-Slang, raue Mannen und burschikose Damen. Mir macht keiner so rasch was vor, Klartext reden. Rechter Flügel, in der Regel. Oder die Jungen, eher linke Seite, die die Voten sogar auf Dialekt schreiben, wohl irgendwie phonetisch. Was nicht für den Deutschunterricht an den Basler Schulen spricht. Es bleiben diejenigen, die Dialekt sprechen, weil ein besonderer "Stall" herausgehört werden soll. Oftmals solche, die eben gerade nicht aus diesem "Stall" kommen. Was man hört, egal, wie oft sie "allewyl" sagen, was "stets" heisst und keiner mehr sagt, der unter 80 Jahren alt ist.
Ich? Möglichst akzentarmes Hochdeutsch, wie seit vielen Jahren im Beruf auch. Das Votum im Grossen Rat verfasse ich auf Hochdeutsch, also lese ich es auch so ab. Dass ich Schweizerin bin, darf jeder hören. Aber klingen sollte es schon, Deutsch ist eine schöne Sprache. Sprache hat mit Ästhetik zu tun, zu jeder Sprache gehört ihr einzigartiger Klang. Also keine Dialekt-Voten von mir.
Aber wer weiss, vielleicht ist der Grund für den Entscheid gegen die Dialektvariante auch ein frühkindliches Trauma, weil ich partout "Junte" sagen musste. Zuviel Stallgeruch. Oder Möchtegern-Stallgeruch der Strahmschen Sippe. Ich werde mal darüber nachdenken.
16. August 2021
"Auch in Mundart nicht plausibler"
Wichtiger als die Form ist der Inhalt. So wurde etwa der "lächerliche" Vorstoss (O-Ton Christoph Eymann) aus der "Mitte", auf dem Gelände des still gelegten Atomkraftwerks Fessenheim im Elsass einen Ableger der Universität Basel zu installieren, in lupenreinem Hochdeutsch eingereicht. Die "Bieridee" (Entschuldigung) wäre aber auch in Mundart nicht plausibler geworden.
Roland Stark, Basel
"Das macht mir Mut"
Ich bin wirklich froh, dass wir im Grossen Rat zu Basel offensichtlich keinerlei grössere Probleme haben. Das macht mir Mut für eine sorgenfreie Zukunft.
Daniel Thiriet, Riehen