Theater Basel, Kleine Bühne
Premiere
"Die Legende vom heiligen Trinker"
Szenische Lesung
Autor: Josef Roth
Regie: Elias Perrig
Konzeption: Peter Schröder
Photographie/Projektionen: Torsten Warmuth
Mit Peter Schröder
Peter Schröders virtuose Solo-Gala
Kritiker mögen dem ursprünglich aus Berlin stammenden Schauspieler Peter Schröder vorwerfen, er fülle die Rollen jeweils mit der eigenen Verletztheit. Und das sei die des unbequemen Einsamen. Der Menschenfeind Molières sei ihm mehr als nur eine Rolle gewesen, schrieben wir etwa an dieser Stelle.
Aber er ist auch fast der einzige Schauspieler des jetzigen Ensembles, der einen im besten Sinne peinlich berühren kann. Der einem Schauer über den Rücken jagt: derzeit in "Orpheus Descending", wo er einen todkranken Despoten so glaubhaft verkörpert, dass wir um die Gesundheit des Schauspielers fürchten. Bei Schröder gehört auch eine gepflegte Technik des Sprechens und der Stimmführung selbstverständlich zur Berufsauffassung des Akkuraten, mit der er in Basel (mindestens unter den Männern) ziemlich alleine dasteht.
So gewappnet stellte er seine eigene Idee auf der Kleinen Bühne vor: die Novelle "Die Legende des heiligen Trinkers" in einer szenischen Lesung, eine virtuose Solovorstellung, 90 Minuten ganz allein auf der schwarzen, leeren Bühne, in der er seine Register ziehen, und einen leidenden Einsamen vorstellen kann.
Dieser Einsame heisst Andreas, und Josef Roths grandiosem Text gelingt ein sublimes Kunststück: Dieser hoffnungslose Clochard vom Seine-Ufer erlebt nämlich ein Märchen, so wundervoll hoffnungsvoll leuchtend wie eine Weihnachtsgeschichte, aber nie deckt Roth den realen Abgrund zu, über dem unser Held hangelt und tänzelt. Und so umspielt ein feines Lächeln Schröders Mund, dessen Winkel sich dauernd nach unten zu ziehen drohen. Es ist Schröders Parade-Rolle: Die gute Botschaft verkündet er gern, allein ihm fehlt der Glaube.
Dem heiligen Trinker schickt die Vorsehung einen unbekannten Gönner, der ihm unverhofft 200 Francs gibt – dieses Geld könne er zurückgeben, falls es das Gewissen ihm gebiete, indem er sie der heiligen Therese in der Kapelle Ste Marie des Batignolles spende. Dieses heilige Ziel verfolgt der schwankende Andreas nun mit ganzem Ehrgefühl, aber auf die 200 Francs wartet die heilige Therese natürlich noch heute vergebens. Denn das Schicksal steckt Andreas nun immer wieder im entscheidenden Moment weitere 200 Francs zu, und so wähnt er sich endgültig auf der Fährte zur Besserung. Aber wenn sich die Vorsehung gnädig erwies, belohnt er sich tüchtig mit Pernods und tagelangen Gelagen in Hurenhäusern.
Es ist die grosse Kunst Roths, das zarte Aufblühen des Helden zu Herzen gehen zu lassen, der an Demut und Einsicht zulegt, auch wenn er den Versuchungen nicht widerstehen kann. Eine zarte Schwebe, die Roth mit naivem Duktus und aber völlig realistischen und unsentimentalen Schilderungen erzielt: das ist der Blick von Andreas. Es ist auch der Blick von Roth, der sich mit diesem Stück ein Requiem schrieb – aus dem Fundus des eigenen schwierigen Trinkerlebens.
Diese vielschichtige Musik auf die Bühne zu bringen, zumal mit Roths dichten Erzähl-Sätzen, verlangt der Schauspielkunst alles ab. Denn jedes Abreissen von Spannung zerstört das feinmaschige Gewebe, das sich im Kopf des Zuschauers bildet. Wie aus dem Romanstoff eine Bühnengeschichte machen?
Regisseur Elias Perrig suchte Hilfestellungen. Schröder musste im Verlaufe der Erzählung mehrere schwarze Stühle von einem Stapel herunterholen, den Staub abwischen und sie in eine Reihe stellen. Was das sagen sollte? Ich fand keine Antwort. Dann hatte Perrig den Fotokünstler Torsten Warmuth um die Projektion einer Diashow seiner Kunstfotos auf die Bühnen-Hinterwand gebeten. Diese verfremdeten, verschwommenen Stadtbilder und Porträts in bräunlichen Tönen wecken Assoziationen zur Stummfilmzeit, setzen aber einen mächtigen Gegenpol zur Erzählung. Beim Fernsehen nennt man so was eine Text-Bild-Schere, wenn das Gezeigte nicht zum Text passt. Dann werden von Chick Corea Children Songs angespielt: ein Verweis auf die Naivität der Erzählung – nur dass Corea neben Roth intellektuell und sentimental klingt.
Schröder selber kämpfte um jede Betonung, formte jeden Satzeinschub überdeutlich aus, sprang von der Hauptrolle zur Erzählerrolle und retour, und warf sich als Stand up-Comedien in Pose, der seinen Nummern die Pointen abringt. Und er schildert den Andreas als selbstmitleidigen Vereinsamten, der seinen Entbehrungen nachweint. Zu dieser Auffassung gibt die Novelle aber keinen Anlass, denn der heilige Trinker ist ja ganz ohne Ressentiments geschildert.
Wie sehr Schröder Sinn und Geist der Novelle übertragen wollte, erwies sich beim Satz "innerhalb des Wunders gibt es nichts Verwunderliches". Er liess danach den Blick ins Publikum stehen als wollte er jeden einzelnen von der Evidenz der Botschaft überzeugen. Das Publikum applaudierte dem Bühnenkünstler kräftig zu, der mit Engagement eine starke Leistung geboten hatte.
22. September 2010