Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Der Messias"
Weihnachtsfarce
Autor: Patrick Barlow
Regie: Nikola Weisse
Bühne: Andreas Tschui
Musik: Christoph Marthaler
Mit André Jung (Bernhard), Michael Wittenborn (Theo), Frau Timm (Marie Jung)
Gelächter zur Heilsgeschichte
Oh, Du heilige Theaterwelt. Im heimeligen Guckkasten leuchtet golden der Theaterhorizont über weit entfernten Gebirgen. Die "Messias"-Ouvertüre von Händel erfüllt die Sphäre. Ein Weihnachtsbaum zur Linken sagt uns, das Christkind ist uns wie alle Jahre auch jetzt wieder nah. In den Ecken oben links und rechts sehen zwei gemalte Engel mit Posaunen herunter, was die Menschen da unten auf der Erdenbühne alles so anstellen. Und André Jung stolpert erst mal staunend als Gelegenheitsschauspieler Bernhard über den Bühnenrand ins warme Licht der muschelförmigen Rampenleuchten. Und siehe, es sah aus, als wie beim allerersten Mal. Dabei stolpert Jung schon seit 21 Jahren staunend an genau dieser Stelle. 1988 feierte das Stück nämlich Premiere in Basel mit Jung und Wittenborn. So erfolgreich waren sie damit, dass sie als die Bühnenlaien Bernhard und Theo auch noch in Hamburg, München, Köln, Zürich undsoweiter ihren Kampf mit der Darstellung der Weihnachtsgeschichte aufnehmen durften.
Ist nämlich gar nicht so leicht, wie sich bald zeigt. Wie soll man denn einfach so eine 14-jährige Maria spielen, quengelt der beleibte Fünfziger Bernhard, in ein blaues Maria-Tuch gehüllt: "Überhaupt habe ich es satt, immer nur zuhause zu sitzen und auf Dich zu warten." Und Josef alias Theo mit Schreinerdächlikappe gibt zurück, dass er es satt habe, sich "jeden Abend das gleiche Gejammere" anzuhören. So hat das hochheilige Paar seinen ehelichen Bürgerzank mit Ordinärnote und Türenknallen. Und Letzteres muss Josef pantomimisch und mit einem gehauchten "Wumm" auch noch selber darstellen, denn ihre Bühne ist wüst und leer: Selbst ihr einziger Bühnenstuhl hat ein geflicktes Bein. Den Tisch zum Stuhl in Marias Kammer muss Theo vor dem Publikum pantomimisch mit physischem Grosseinsatz verkörpern – oder auch den Eisschrank, wie Maria/Bernhard fies vorschlägt: Theo tut es, denn er ist der Naive und der Gläubige der Beiden, bis auch ihm mal der Kragen platzt: Immer wieder bricht ein Komikerstreit à la Walter Matthau/Jack Lemmon durch die Heilsgeschichte.
Wie die Kinder stellen sie hüpfend ihre Holztierchen oder ein Nazareth en miniature mit Holzhäuschen auf, um wie im Kindergarten die Hirten aus der biblischen Geschichte zu spielen. Wie ein Bub singt Theo selbstvergessen "Don't worry, be happy", bis ihm mit Stroboblitz der Engel mit der frohen Botschaft fast zu Tode erschreckt. Mit Begeisterung tritt er als römischer Statthalter auf: Das Publikum soll ihn auf seine Signalwörter "Rom" oder "Volkszählung" hin übel verfluchen – das Auditorium im vollen Schauspielhaus gab vollsten Einsatz. Aber Lausejunge Bernhard fordert das Publikum dauernd zu weiteren Protestbekundungen, bis die Szene völlig aus den Fugen gerät, und Theo das Spiel beleidigt abbricht.
Es ist ein Gag-Staccato bis zum Zwerchfell-Muskelkater. Bald genügt das Geringste: Bernhard trägt den Römerhelm verkehrt rum – Hahahahaha. Bernhard stolpert schon wieder – Hahahahaha. Bernhard wirft sich mit keckem Hüftschwung in Mariapose – Hahahahaha. Theos Nasenring verstopft ihm die Nase, dass er näselt – Hahahahaha. Darunter mischt sich auch Voraussehbares, Kalkuliertes bis zum Gewohnheitslacher: Regisseurin Nikola Weisse hat die Zweistundenfarce beinahe schamlos mit Slapstick aufgefüllt.
Aber Jung und Wittenborn sind nicht Bernhard und Theo, die eitel jede Publikumsregung einsaugen: So facettenreich, wie sie die Berufsdilettanten mit ihrem allzumenschlichen Verlangen nach Anerkennung und Hoffnung verkörpern, weisen sie den heutigen Urbanbürger als Dilettantenmenschen aus, der blind unter der Sonne nach Glück und Wärme hetzt – und sich Gott gerne als seifenblasenden, desinterisierten Despoten über den Wolken vorstellt. Bernhard/Jung zeigt es mit beinahe Beckettschem Endspiel-Schmäh. Besonders liebenswert: Theo liebt die Heilsgeschichte zu sehr, um sie mit der nötigen Distanz richtig spielen zu können. Er will die Engel wirklich sehen. Das kann man so nicht spielen, wenn man seine Figuren nicht liebt: Sie sind ihnen so zur zweiten Haut geworden wie Derrick dem Horst Tappert. Die feinen Nuancen riefen öfters mal Szenenapplaus hervor.
Die Mittzwanzigerin Marie Jung ist zwar als Frau Timm keine Opernsängerin, wie von Autor Barlow verlangt, sondern eher so was wie die jugendlich-erotische Traumsphäre der beiden reiferen Herren: Wäre ihr Weihnachtsmannkostüm weiter ausgeschnitten, passte sie mit ihrer Mimik durchaus in ein Altherrenmagazin. Mit Hauchstimme trällerte sie mal Händel, mal Weihnachtsklassiker wie "White Christmas" und markiert das unerreichbare Engelchen der Beiden. Am Ende gab es donnernden Applaus für das Basler Wiedersehen mit dem Messias.
Wer es erleben will, muss sich sputen: Nur noch drei Vorstellungen, am 14., 27. und 28. Dezember.
10. Dezember 2009