Mohrenkopf: Aussen braun und innen weiss
Nach Jahrzehnten aus dem Ausland auf vielen Kontinenten zurück in der Schweiz, sah ich mich in einem kaum zu erkennenden Land wieder. Die Schweiz, so die Mainstream-Medien und vor allem die (a)sozialen Medien im permanenten News-Rauschen, sei voller Rassismus. Das Ganze wird reduziert auf Weiss gegen Schwarz. Wenn es nur so einfach wäre.
Sicher nötig ist in der Hitze der einseitigen Schwarz-Weiss-Polemik ein neuer, hinterfragender Umgang mit dem Fremden. Ich erinnere mich meiner ersten Begegnung mit dem Unbekannten.
Es war auf dem Basler Märtplatz 1946. Mit einem Schulfreund hielten wir Ausschau nach GIs, amerikanischen Soldaten im Schweizer Erholungsurlaub. Einem schwarzen GI sagten wir im besten, vom Vater eingetrichterten Frühenglisch: "Chewing gum, please! Camel cigarettes, please!!" Freundlich erhielten wir das Verlangte und wurden mit einem Lachen und Handschlag verabschiedet. Wir Knirpse verschwanden eilends um die nächste Ecke und sahen auf unsere Hände. Zu unserem Erstaunen waren sie nicht schwarz.
Eine ähnliche Erfahrung Jahrzehnte später in China. Meine strohblonde kleine Tochter wurde überall am Haar betastet. Der Umgang mit dem Fremden muss also ertastet werden, man muss offenen Sinnes hinhören, hinsehen, überlegen. Und, dies vor allem, versuchen, die eigenen, kulturell bedingten Vorurteile zu entdecken.
Warum wurde nur in Europa und Amerika gegen Rassismus demonstriert und nicht auch etwa im Nahen und Fernen Osten oder insbesondere in Afrika? Denn: Die schwarzen Sklaven wurden nicht nur den Europäern, sondern auch den Arabern verkauft. Davon redet heute niemand mehr. Auch davon nicht, dass der grösste Teil der Sklaven von sich bekämpfenden afrikanischen Stämmen den Europäern und Arabern verkauft worden ist.
"Chinesen können nur schwer verstehen,
warum Europa so viele Migranten aufnimmt."
Rassismus – besser: Benachteiligung, Herabsetzung, ethnische Ausgrenzung, Verachtung, Diskriminierung – ist weltweit allgegenwärtig. Wie in Europa und Amerika ist Rassismus auch in Asien zu beobachten, zumal in China. Am Reich der Mitte lässt sich gut zeigen, dass ethnische Ausgrenzung und Vorurteile vor allem auf dem kulturellen Hintergrund zu analysieren sind.
Seit Jahrhunderten versteht sich China nicht als eine von mehreren Hochkulturen auf der Welt. Vielmehr wird die chinesische Kultur als die Kultur par excellence und allen andern als überlegen verstanden. Zwar ist das heute nicht mehr offizielle Staatsideologie, doch vieles hat sich gegenüber den "barbarischen" Kulturen bis heute erhalten.
Chinesinnen und Chinesen können auch nur schwer verstehen, warum Europa so viele Migranten aufnimmt. In China nämlich gibt es gerade einmal eine Million Ausländer bei einer Bevölkerung von rund 1,4 Milliarden.
Diese Einstellung ist erstaunlich, sind doch zig-Millionen von Chinesinnen und Chinesen selbst nach Südostasien, Amerika, Australien und Europa ausgewandert. Die chinesischen Migranten freilich mit ihrer einzigartigen Kultur fühlen sich etwa den arabischen oder afrikanischen Migranten weit überlegen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Chinesen in den USA nicht selten die Schwarzen und Latinos als "faul und gewalttätig" abqualifizieren.
Die fruchtlose, dummdreiste Mohrenkopf-Debatte darf in einem Schwarz-Weiss-Text nicht unerwähnt bleiben. Verwunderlich jedenfalls, dass sich lange Jahre Rassisten in der Direktion und im Verwaltungsrat der Migros unentdeckt verstecken konnten. Wie sonst ist es zu erklären, dass bis Juni 2020 beim Grossverteiler unbeanstandet Zigeunerschnitzel, Blanc battu und eben Mohrenköpfe verkauft werden konnten.
In der Romandie übrigens ist der Tête de nègre – der Ausdruck wird in Frankreich seit 1829 verwendet – längst durch Merveilleux, Tête au choco, Merveille au chocolat ersetzt worden. Auf die Frage nach einem Schoko-Kopf antwortete neulich ein Patissier in Basel: "Meinen Sie einen Mohrenkopf?"
Politisch korrekt meide ich natürlich den Ausdruck Mohrenkopf. Doch ein afrikanischer Bekannter aus Sierra Leone – in der Schweiz geboren – sagte neulich in bestem Baseldytsch: "Mohrekepf: usse brun, inne wiss, beides heerlig und keeschtlig."
11. Januar 2021
"Rassismus ist Programm"
In der Schweiz, die als eines der reichsten und fortschrittlichsten Länder eingestuft wird, hat eine rechtspopulistisch nationalistisch konservative und ausländerfeindliche Partei die meisten Anhänger. Entsprechend ist diese Partei auch im Bundesrat vertreten. Das hat zur Folge, dass die dringenden Empfehlungen der Task-Force nur zögerlich und teilweise umgesetzt wurden.
Das Resultat ist unübersehbar: Tausende von Toten hätten vermieden werden können. Der SVP-Bundesrat begründete dieses Desaster in einer SRF Samstagrundschau wörtlich: "Wir sind bewusst dieses Risiko eingegangen, weil wir eine Güterabwägung gemacht haben." (Menschenleben gegenüber einer funktionierenden Gesellschaft).
Ebenso begründet diese Partei ihre extrem ausländerfeindliche Haltung. Und das mit grossem Anklang bei einer Mehrheit der Stimmberechtigten. Der Rassismus ist in der Schweiz Programm.
Franz Vettiger, Basel