Die Geborgenheit im Basler Luftschutzkeller
Zu den prägenden Eindrücken meiner frühen Kindheit gehört der Luftschutzkeller im Haus an der Kandererstrasse beim Erasmusplatz. Die Luftschutzsirenen wimmerten über Klein- und Grossbasel. Meist in der Nacht. Die Erinnerungen gehen zurück auf die Jahre 1943 bis anfangs 1945. Der Keller war gut eingerichtet. Wasser zum Trinken und Kleinigkeiten zum Essen lagen bereit. Am Boden eine Matratze für mich und meine Schwester. An der Seite mit Stoff bezogene Campingstühle für Mutter, Oma und Vater. Papa war allerdings selten dabei, denn er war im Aktivdienst, meist in Rothenfluh und bei Kriegsende mit weit über tausend Diensttagen.
Im Keller angekommen legten wir uns auf die herrlich weiche Matratze mit dem Kopfkissen und der warmen Decke. Dazu gab es jedes Mal einen Riegel Milchschokolade, eine Rarität mitten in der Kriegszeit mit den Lebensmittelrationen.
Doch meine Mutter, so erzählte man mir später, soll eine begnadete Händlerin gewesen sein. Mit den in einem Büro am Luftgässlein (zwischen "Bankverein" und Münster) regelmässig abgeholten obligatorischen Lebensmittelmarken wurde mit Freunden und Bekannten gehandelt und ausgetauscht. Kurz und gut, für Schokolade im Luftschutzkeller reichte es immer. Bei Sirenenentwarnung durften wir Kinder im Keller bleiben, warm und wohl eingepackt und überwacht von Mutter oder Oma. Bis heute ist das ein Gefühl der absoluten Geborgenheit geblieben.
"In Basel krachten amerikanische Bomben
auf den Güterbahnhof."
Natürlich hatte die Schweiz Glück. Es fielen zwar Bomben auf Zürich, Stein am Rhein oder Basel. Am schlimmsten betroffen war Schaffhausen mit mehr als fünfzig Todesopfern und Hunderten von Verletzten. In Basel krachten amerikanische Bomben auf den Güterbahnhof. Noch gut erinnere ich mit anfangs 1945 an die tiefen Bombenkrater, die ich an der Hand meines Vaters und vielen weiteren Zuschauern besichtigen konnte.
Vom Bombenkrieg des Zweiten Weltkriegs wusste ich natürlich noch nichts, nichts etwa von London, Dresden, Warschau oder St. Petersburg. Das Gefühl der Geborgenheit war eine seltene Ausnahme und sollte es in den nächsten Jahrzehnten auch bleiben.
Was erlitten Kinder und Erwachsene in dem von Nordkorea entfachten Koreakrieg (1950-53), was in dem von Maos Utopien verursachten grossen Hungersnot während des "Grossen Sprungs nach Vorn" (1958 bis 1961) mit je nach Schätzung 35 bis 45 Millionen Toten? Nicht weniger blutig ging es zu mit dem von der westlichen Lichtgestalt John F. Kennedy angefachten heissen Phase des amerikanischen Krieges in Vietnam und dem von seinem Nachfolger Lyndon B. Johnson und Verteidigungsminister McNamara 1965 mit einer blanken Lüge ausgeweiteten Konflikt.
Bis 1973 bezahlten das mit allen Mitteln kämpfende Amerika über 50'000 amerikanische Soldaten sowie über drei Millionen Vietnamesen – vor allem Zivilisten, darunter hunderttausende von Kindern – mit dem Leben. Mit einem "Weihnachts-Bombardement" auf Hanoi knüppelten die Amerikaner ihre Feinde an den Verhandlungstisch. Eine Folge des amerikanischen Krieges war die Machtergreifung der Roten Khmers unter der Führung des in Frankreich ausgebildeten Primarlehrers Pol Pot. Seiner maoistisch inspirierten Agrar-Utopie fielen in Kambodscha von 1975 bis 1979 über zwei Millionen Menschen, ein Viertel der Bevölkerung, zum Opfer.
In den 1990er Jahren kam es in Ex-Jugoslawien, nur wenige hundert Kilometer von der Schweiz entfernt, zu wüsten Exzessen. Srebrenica oder Sarajewo mögen als Beispiele dienen. In Afrika kam es zum Völkermord der Hutus an den Tutsi mit fast einer Million Todesopfern, unterstützt von regierungsnahen Radiosendern sowie von Priestern. Die in Nordkorea vom "Geliebten Führer" Kim Jong-il mit seiner verfehlten Agrarpolitik verursachten Hunger-Katastrophe Mitte der neunziger Jahre forderte zwischen anderthalb bis zwei Millionen Todesopfer, darunter vor allem Kinder und schwache Alte. Im neuen Jahrtausend folgten Kriege im Irak, Syrien oder Libyen.
Das ist eine unvollständige Aufzählung von Katastrophen, die von Menschen in den letzten siebzig Jahren verursacht worden sind. Dafür sind nicht, wie die USA als selbsternannte Vorkämpfer der Menschenrechte immer wieder behaupten, nur autokratische oder diktatorisch geführte Staaten verantwortlich.
Auch das demokratische Amerika ist tief verwickelt. Zwar sind einige der Schuldigen aus Afrika oder Ex-Jugoslawien vom Internationalen Gerichtshof verurteilt worden. Doch amerikanische Kriegsverbrecher sind nicht darunter, schon gar nicht Verteidigungsminister Robert McNamara, der nach seinem Ausscheiden von 1968 bis 1981 sogar noch Präsident der Weltbank wurde. Einzig Leutnant William Calley wurde für das Massaker in My Lai, das 1968 rund 500 Vietnamesen, vor allem Frauen und Kindern das Leben kostete, zu lebenslanger Haft verurteilt, bald aber von Präsident Nixon begnadigt.
Das Gefühl der absoluten Geborgenheit im Luftschutzkeller war im Rückblick ein Schweizer Luxus. Dass viele Millionen Kinder das nie erleben durften, ist nach so vielen Jahrzehnte bedrückend. Und vielleicht Ansporn für die junge Generation.
22. Februar 2021
"Nicht unbedingt ein Ruhepunkt"
Der Zweite Weltkrieg war für Basel nicht unbedingt ein Ruhepunkt, obwohl man von den Medien den Eindruck gewinnt, die Schweiz hätte sich in Wohlstand gesuhlt. Man hatte Angst, dass die Deutschen angreifen würden, und meine Grossmutter ist ins Welschland geflohen, wo allerdings jenseits der Grenze bereits die Deutschen standen.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren alle froh, dass die Gefahr vorbei war, doch ganz im Gegenteil, die Allierten überzogen die Schweiz mit Bombenangriffen. Der Bundesrat behauptete zwar, das wäre ein Versehen gewesen, aber schon als Kind habe ich das nicht geglaubt. Ich kann nur sagen, dass in Basel die Villenquartiere angegriffen wurden und zwar in Grossbasel. Ein Pilot, der seine sieben Sinne noch beieinander hat, müsste genau wissen, dass die Grenze entlang des Rheines verläuft und dann nicht Grossbasel angreifen und die chemische Industrie in Kleinbasel verschonen und dort auch den Badischen Bahnhof.
Wäre ich Historikerin gewesen, wäre ich einmal der Sache nachgegangen, wer den Befehl zum Angriff gab und wie er begründet wurde. Warum ergründet das nicht einmal ein Schweizer Doktorand? Weil sie wahrscheinlich keine Professoren finden, die wagen, dieses Thema anzuschneiden und sich selbst nicht interessieren.
Alexandra Nogawa, Basel