Sowohl als auch statt entweder oder
Mitte der achtziger Jahre überzog in Peking zu Beginn der Heizperiode in geringer Höhe ein schwarzer Kohleschleier die Stadt. Das erinnerte Ihren Korrespondenten an die Kindheit im Kleinbasel und im Neubad.
Damals wurde noch mit Kohle geheizt, ob es die protestierenden klimabewegten Jugendlichen von heute glauben oder nicht. Jugendliche notabene, die heute selbstverständlich nie Auto fahren, nie fliegen, immer den öffentlichen Verkehr benutzen und im Winter nur Raumtemperaturen von 15 bis 16 Grad zulassen.
Die Kohlemänner von damals würden sich wundern. In der Kandererstrasse beim Erasmusplatz hatten sie gerade einmal fünf Meter bis zum Haus, wo sie ihre Kohlensäcke durch ein schmales Fenster in den Keller entleerten. Im Neubad beim Dorebächli war es dann schon komplizierter und anstrengender: Gute 150 Meter vom Eingang an der Tiefengrabenstrasse bis zum Fensterchen in den Keller. Die Kohlemänner mit den schwarzen Gesichtern machten es gerne, denn nach getaner Arbeit gab es Kaffee und Kuchen von der Hausherrin plus auf Wunsch noch einen gepfefferten "Kaffee Fertig".
Der Hausherr schaufelte jeden Abend und jeden Morgen gehörig Kohle in den Heizkessel der Zentralheizung. Klein Peter durfte – bewundernd – zuschauen. Geheizt wurde aber nicht wie heute das ganze Haus. Vielmehr wurden nur die Heizkörper in der Küche, im Wohn- und Esszimmer eingeschaltet. Die Schlafzimmer waren kalt, sehr kalt nach der Erinnerung Ihres Korrespondenten, jedenfalls weit unter 15 bis 16 Grad. Dafür aber gab es immer eine heisse Bettflasche, überdies waren Bettsocken de rigueur und die Bettdecke war dick, isolierend und warm.
"Chinas Kommunisten sind
nicht mehr so böse wie einst."
Die Basler Luft war damals ähnlich wie jene, die Ihr Korrespondent vierzig Jahre später in der Hauptstadt des Reichs der Mitte antraf: geschwängert von Kohle. Der Rhein, das nur am Rande, war damals eine stinkende Kloake, buntfarbig durch die Abfälle des Schlachthauses und der Chemie; die Kleinbasler Luft war durchweht von den Düften der Pharmaindustrie.
Im Unterschied zu Peking durfte in meiner Kindheit der Heizbeginn individuell festgelegt werden, also je nach Wetter. Bei den bösen Kommunisten im fernen China war das nicht so. Sie bestimmten einfach, dass unabhängig von der Aussentemperatur nur von Mitte November bis Mitte März geheizt werden darf, so ganz nach dem Gusto der heutigen, vom Klima bewegten Protestjugend.
Doch Chinas Kommunisten sind nicht mehr so böse wie einst, schliesslich haben sie Chinesinnen und Chinesen dank Reform und Öffnung zu einem bescheidenen Wohlstand verholfen. Neuerdings befragen die Behörden, zumindest in Peking, die Bewohner sogar, ob vielleicht eventuell möglicherweise denn wegen der aktuellen Wettersituation nicht schon vor dem 15. November geheizt werden könnte, so ganz nach dem Prinzip der guten Kommunisten, ja die "soziale Stabilität" nicht zu gefährden.
Ob tatsächlich früher geheizt werden kann, ist noch offen, denn China beklagt derzeit einen Mangel an Kohle. Und mit Kohle wird gut 65 Prozent der Elektrizität erzeugt. Die Zentralregierung versucht derzeit, die Kohle-Produktion wieder anzukurbeln. Gleichzeitig hält sie aber an ihrem Klimaziel – neutral bis 2060 – fest. Rationierung von Elektrizität führte im ganzen Lande zu Engpässen oder gar zur Stilllegung von Betrieben. Das Wirtschaftswachstum fiel deshalb bislang schwächer aus als erwartet.
In Zahlen ausgedrückt: Verzeichneten die Statistiker Corona-bedingt im ersten Quartal noch einen steilen Anstieg der Volkswirtschaft um 18,3 Prozent, waren es im zweiten Quartal noch 7,9 Prozent und im dritten Quartal magere 4,9 Prozent. Doch das Ziel der Partei unter Führung von Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping mit einem bescheideneren Wachstum in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren nachhaltiger zu wirtschaften, wird wohl aufgehen. Mitte November beim jährlichen Powwow des 300-köpfigen Zentralkomitees der Partei wird man Genaueres wissen.
Die Kohlemänner mit den schwarzen Gesichtern meiner Jugend erinnern mich immer an die Kohlemänner mit den schwarzen Gesichtern im Peking der achtziger Jahre. Die Pekinger Kohlemänner allerdings fuhren nicht mit dem Lastwagen vor, sondern strampelten sich mühsam auf einem mit Briketts beladenen Lastdreirad ab. Im Unterschied zu den Basler Kohlemännern gibt es immer noch einige Pekinger Dreirad-Brikett-Fahrer. Mit Kohle zu heizen ist heute zwar streng verboten.
Aber in einigen wenigen Altstadthäuschen geht es einfach nicht anders. Oder anders herum: In China denkt man prinzipiell nach dem Grundsatz "Sowohl als auch" und nicht wie im Westen und mithin in Basel nach der Maxime "Entweder oder". Bei der Analyse Chinas sollte dieser grundlegende Unterschied eigentlich immer mit einfliessen.
25. Oktober 2021
"Verwöhnte Jugendliche spielen sich auf"
Der Seitenhieb gegen die Klimabewegung Basel ist überhaupt nicht deplatziert. Hier spielen sich verwöhnte Jugendliche zu etwas auf, von dem sie keine Ahnung haben. Sie werden von gewissen reichen Gruppen dazu benutzt, gegen etwas zu demonstrieren, nämlich die Klimaerwärmung. Haben Sie nie in der Schule gelernt, dass früher die Dinosaurier in der Umgebung von Basel in einem tropischen Meer lebten? Auch wenn man sich mit der Geschichte beschäftigt, so weiss man, dass die Wikinger Grönland als grünes Land bezeichneten. Aber der Glauben macht ja bekanntlich selig und heute ist die Klimabewegung die neue Religion.
Alexandra Nogawa, Basel
"Völlig deplatziert"
Der Seitenhieb gegen die klimabewegten Jungen ist völlig deplatziert. Wir müssen froh sein um jeden, der sich beim wichtigsten Problem unserer Zeit engagiert.
JP Wassermann, Hersberg