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Bei Sommerwetter: Wem gehört die Stadt?Der Sommer ist endlich da. Alle schwitzen und jammern über die Hitze, wollen aber trotzdem täglich aperölen, grillieren, baden oder ihre Slackline aufspannen und beanspruchen dafür den öffentlichen Raum. Dabei kommt man sich unweigerlich in die Quere, die Mehrfachbenutzung führt zu Konflikten.
Diesen Frühsommer werden diese Konflikte nach meinem Empfinden besonders heftig ausgefochten. Vielleicht, weil wir endlich einen Sommer erleben, der sich fast wie vor der Pandemie anfühlt.
Am Rhein ist es am schlimmsten. Dort trifft Wasserfahren auf Baden und Feierabendbier: Vornehmlich mittelalte Männer stochern sich in ihren Weidlingen den Fluss hoch und schreien sich gegenseitig an, wenn einer falsch gestachelt hat und mit einer Boje kollidiert. Das am Ufer sitzende, nicht in diese Sportart eingeweihte Publikum und dessen Körperteile lassen sie völlig ausser Acht.
Im letzten Moment heisst es dann "Füess uffe!" und "Tue nit so, ich ha jo Achtung gseit", bevor sie so nah an einem vorbeirauschen, dass dir ihr Schweiss auf das Sommeroutfit spritzt. "Is this a Swiss thing?", fragte kürzlich ein "Art"-Besucher seinen Basler Kollegen hinter mir. Dieser meinte nur: "Yes, maybe. Aber ich verstands au nit." "Ich könnte mich darüber aufregen, dass die Wir sassen dann alle weiter am Ufer, wichen von Zeit zu Zeit einem Stehruder aus und machten uns gemeinsam Sorgen um die Schultern, Rücken und Knie der Sporttreibenden. Gesund sieht das nicht aus. Ist aber wahrscheinlich gesünder als mit einem Bier in der Sonne zu sitzen.
Der Raum in der Stadt war letzte Woche aber nicht nur am Rhein umkämpft: Ähnliches spielte sich zwischen den Menschen, die am 14. Juni zum feministischen Streik auf die Strasse gingen, und der Polizei ab. Diese marschierte in Massen auf. Scheinbar muss sie seit dem 1. Mai den Bürgerlichen und Liberalen dieser Stadt beweisen, dass sie es immer noch kann und übertreibt deshalb vorsorglich mit ihrer Präsenz.
Wegen der "Art Basel" kam letzte Woche noch eine weitere "Konfliktpartei" dazu: Sie ist daran zu erkennen, dass sie grölend im grossen Shuttle-Taxi vor dem Club vorfährt. Wir "Einheimischen", die mit dem Velo in den Ausgang fahren, zeigen uns gegen aussen vom protzigen Messepublikum genervt. Insgeheim haben wir aber Freude daran, dass der Glamour für eine Woche ein wenig auf uns und die Stadt abfärbt. Und wenn der Ausgang wegen der Kunstmesse schon am Mittwoch beginnt, hat auch niemand etwas dagegen.
Am Feiern freuen sich aber nicht alle. Bei unserem offiziellen Semesterabschluss am Petersplatz zitierte mich eine ältere Frau mit einem Wink ihres Zeigefingers zu sich. Sie fragte freundlich, aber besorgt, wann die aggressive Musik ende. Ihr Mann sei schon ganz nervös.
Ich musste in diesem ereignisreichen Frühsommer jedoch feststellen, dass nicht nur die Alten empfindlich geworden sind. In einem "Bajour"-Beitrag beklagt sich der etwa gleichaltrige Praktikant und Münsterplatz-Anwohner über den Lärm von Feiernden. Den Text beendet er mit der – ich hoffe sehr – selbstironischen Aussage "Auch die Bourgeoisie hat Gefühle".
Ich hätte daraufhin fast eine Kolumne über die Spielstrasse im Gundeli, in der ich wohne, geschrieben. Ich könnte mich darüber aufregen, dass all die sehr bewusst und anti-autoritär erzogenen Kinder rumschreien als gäbe es kein Morgen und ihre Väter mit Hipsterbärten manchmal sogar noch um halb zehn abends direkt unter meinem Balkon Pingpong spielen und Craft Beer trinken. Arbeitstitel: "Auch Studis im Yuppie-Quartier haben Gefühle."
Immerhin weiss ich jetzt, dass es nicht, wie in meinen Kolumnen oft dargestellt, zwingend Konflikte zwischen Alt und Jung sind, die den Alltag in der Stadt prägen. 20. Juni 2022
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