Tierkreiszeichen-Hype: Es steht in den Sternen
Da ist es, das Sommerloch. Die Prüfungen sind vorbei und endlich bleibt wieder Zeit, sich auch ein wenig dem Oberflächlichen zu widmen: Gleich nach dem Log-Out aus der letzten Online-Prüfung habe ich mir einen Coiffeur-Termin gebucht.
Auch das natürlich online – ich musste dazu nicht einmal das Browser-Fenster verlassen.
Und was gibt es jetzt zu tun? Ich habe etwas nachzuholen. Meistens erkläre ich hier ja, was bei uns jungen Erwachsenen so abgeht, und versuche zu erklären, was ältere Generationen vielleicht nicht auf Anhieb verstehen. Das mit dem Gendern zum Beispiel.
"Die Horoskope sind bei mir
sowieso so dramatisch positiv."
Aber manchmal verstehe ich auch nichts mehr; und deshalb versuche ich über den Sommer die Faszination meiner Generation an Sternzeichen zu verstehen. Ich meine damit ein Interesse, das darüber hinausgeht, Horoskope in "20 Minuten" zu überfliegen. Diese sind bei mir sowieso so dramatisch positiv, dass ich – wenn sie stimmten – jede Woche Heiratsanträge stellen oder erhalten müsste.
Der "Hype" um Sternzeichen geht aber weiter als das: In Alltagssituationen werden sie verwendet, um die aktuelle Stimmung zu erklären. Weshalb man gerade so schusslig oder überdreht ist beispielsweise. "Ich kann nicht anders, bin ja Aquarius", heisst es dann.
In den sozialen Medien trenden aktuell Witze, die mit den Vorurteilen über gewisse Sternzeichen spielen. Alle Krebse seien Softies, Skorpionen dürfe man nicht vertrauen und Zwillinge hassen eh alle.
Mein Glück: Fische gelten als ausgeglichen und gefühlvoll. Mein Pech: Ich verstehe die meisten Sprüche nicht. Die Posts verwenden meist die englischen Namen der Sternzeichen, weil Zodiac Signs cooler klingt als Tierkreiszeichen. Diese kenne ich aber nicht und so muss ich die meisten Posts zum Thema wieder wegklicken.
Vielleicht bleibt mir so auch einiges erspart.
Grundsätzlich frage ich mich: Wo liegt der Reiz an Sternzeichen? Darin endlich mal ausserhalb des Physikunterrichts mit Planeten zu tun zu haben? Würden die Sternzeichen inzwischen nicht auf Englisch verwendet, wäre das Ganze nämlich nicht plötzlich wieder alltags- und internettauglich. Dann würde das alles viel zu sehr an die eine schrullige Tante erinnern, die schon seit 30 Jahren die Launen der ganzen Familie und die Zukunft aus den Sternen liest.
Dass ich laut Zodiac Sign mit zwei Löwen in der WG wohne, denen man grosses Selbstbewusstsein nachsagt, ist aber selbst mir sternenklar. Sie haben beide meterhohe Spiegel in ihren Zimmern.
14. Juni 2021
"Man nannte das Kaffeesatz lesen"
Sehr geehrter Herr Kalt, warum nur fällt mir nach ihren Zeilen plötzlich ein, dass viele Politiker als "sinnstiftende" Erzählungen das Metier Horoskop regelrecht pflegen?
Vor nicht allzu langer Zeit sagte man dem doch Kaffeesatz lesen. Ich habe das Gefühl, das ist noch immer so.
Bruno Heuberger, Oberwil
Transzendente Narrative des Umbruchs"
Danke für einen weiteren erhellenden und amüsanten Einblick in die junge Erwachsenenkultur. Ich wusste nicht, dass Horoskope aktuell ein kleines Comback feiern. Aber dazu fällt mir die Aussage vom Historiker und Schriftsteller Philipp Blom ein, der mit Blick auf das 17. und 18. Jahrhundert (damals waren die Astrologie und Horoskope in höchsten politischen und gesellschaftrichen Kreisen en vogue) aber auch auf die jüngste Vergangenheit (mit den zum Teil abstrusen Welterklärungs-Modellen wie die Flatearthler und Verschwörungstheorien) feststellt, dass jedes Zeitalter des Umbruchs seine transzendenten Narrative pflegt. Solange diese Ideen eine gewisse Leichtigkeit behalten, dürfen sie uns belustigen.
Stephan Kalt, Basel