Die Fasnachts-Euphorie bleibt aus
Es ist wieder so weit. Immer wenn ich in der Stadt unterwegs bin, trommelt und pfeift es aus jedem Keller und Innenhof. Selbst beim Joggen am Hafen entkommt man den begeistert-vorfreudig übenden Fasnächtlerinnen und Fasnächtlern nicht. Früher war das die Zeit, in der ich mit meiner Mutter im Keller an der selbstgebastelten Waggis-Larve kleisterte. Auch bei mir war die Vorfreude auf den Fasnachts-Dienstag riesig.
Inzwischen ist das anders: Abgesehen von jenen, die von Kindesbeinen an Fasnacht machen, bleiben die Gleichaltrigen in meinem Umfeld von der Vorfasnachtszeit mehrheitlich unberührt.
Bei vielen ist sogar das Gegenteil der Fall. Statt sich auf die "drey scheenschte Dääg" zu freuen, blicken sie verängstigt auf drei Tage voller Lärm, besoffener Männer und schwer zugänglicher Traditionen hinaus.
"Die Basler Fasnacht ist zu starr,
um zugänglicher zu werden."
Mir geht es zunehmend auch so. Zwar fliehe ich nicht gerade für die Fasnachtstage aus der Stadt, mein Fasnachtsbesuch hält sich aber meist in Grenzen: Nach einer halben Stunde Morgestraich direkt anschliessend an den Ausgang und einer teuren, lauwarmen Mehlsuppe, in der sich dann doch Fleischbouillon versteckt, werde ich auch dieses Jahr wieder genug haben.
Das klingt jetzt wie das typische Ablästern über traditionelle Feiertage, wie es vor Weihnachten ebenfalls zu hören ist. Begeisterte Fasnachtsmenschen finden bestimmt, ich lasse mich gar nicht darauf ein und habe die Fasnacht halt noch nie richtig erlebt.
Mein Ziel ist es nicht, anderen die Freude zu nehmen. Die Basler Fasnachtstradition scheint mir aber auf eine Weise gestaltet zu sein, dass man diesen Zugang gar nicht erst finden soll, wenn man nicht bereits dazugehört.
Sie ist meiner Meinung nach zu starr, um zugänglicher zu werden. Sie wirkt zu sehr, als gehe es immer ein wenig darum, zu markieren, wem die Stadt eigentlich gehört. Zudem wird wenig auf Kritik eingegangen, dass gewisse stereotypische und diskriminierende Darstellungen nicht mehr in Ordnung sind. Wie so oft, wenn es um Tradition geht.
Ich verstehe das Dilemma einiger der jungen Generation, welche die Idee der Fasnacht eigentlich mögen und sich das ganze Jahr hindurch engagieren, vielleicht aber auch sehen, dass sich gewisse Dinge ändern sollten.
Deshalb finde ich es nötig und bewundernswert, wenn Leute – egal welchen Alters – nicht nur Fasnacht machen, sondern diese längerfristig auch verändern möchten.
Vielleicht kehrt auf diese Weise die Fasnachtseuphorie bei jungen Erwachsenen irgendwann wieder zurück. Oder es muss zumindest niemand mehr für die drei Tage aus der Stadt fliehen.
13. Februar 2023
"Gehen Sie hin!"
Als "Auswärtiger", der vor 40 Jahren von Schaffhausen (praktisch keine Fasnacht) nach Basel zugezogen ist, sehe ich es so: Ich bewunderte und liebte diese wirklich grosse Tradition (Weltkulturerbe – zu recht!) vom ersten Moment an. Und das blieb bis heute so, obgleich ich immer nur Zaungast und nie aktiv war.
Ich finde, Max Kaufmann hätte die Chance, sich wirklich einzulassen, statt nur zu kritisieren. Nur dann kann sich wirklich etwas verändern. Ich finde jedoch das allermeiste schlicht grossartig und wunderbar. Vor einer Woche waren meine Frau und ich (beide 75) am "Fasnachtsbändeli" im Theater Arlecchino. Wie jedes Jahr lebt dort die Fasnacht ganz und gar herzerquickend. Es sind sehr viele Junge (beim Theaterspielen, Trommeln und Pfeifen und in Schnitzelbänken) aktiv auf der Bühne. Gehen Sie hin, Max Kaufmann, und erleben sie hautnah, was die Fasnacht bewirken kann und wie lebendig Traditionen sein können.
Fredi Vogelsanger, Oberwil
"Weichzeichner unserer Generation"
Teilweise muss ich Max Kaufmann recht geben und den andern Kommentierenden widersprechen. Ich habe vor 45 Jahren auch Fasnacht gemacht. Dass es damals keine Betrunkenen gab, ist der Weichzeichner unserer Generation. Die gab es sehr wohl – zur Genüge, heute ist das eher weniger der Fall, im Vergleich.
Ich persönlich wünschte mir, dass es mehr Fasnacht gibt, wie sie im letzten Jahr war, wild, unorganisiert, wunderschön.
Vreni Gramelsbacher, Basel
"Man muss nicht Berufsfasnächtler sein"
Lieber Herr Kaufmann, es tut mir leid zu lesen, dass bei Ihnen die Fasnachts-Euphorie ausbleibt. Es ist aber nicht so, dass man Berufsfasnächtler sein muss, um der Fasnacht etwas abgewinnen zu können. Es müssen auch nicht für jeden die "drey scheenschte Dääg" sein. Aber vielleicht können auch Sie für sich an der Fasnacht zumindest ein paar schöne Momente oder Bilder entdecken.
Die Fasnacht ist ein farbenfrohes Potpourri. Man darf sich auch einfach das rauspicken, was einem entspricht. Für den einen ist es ein Trommelwirbel, für den anderen ein Teller Mehlsuppe, für den dritten das Laternenleuchten in der dunklen Stadt.
Oder ein guter Schnitzelbank. Als Obmann des Schnitzelbank-Comités würde ich Sie gerne an einen unserer Abende voller Pointen, Helgen und Ohrwürmer einladen. Gerne mit Begleitung im Theater oder Schauspielhaus jeweils am Montag- oder Mittwochabend.
Und falls Sie das noch nicht überzeugt, gibt es noch eine Möglichkeit: Sie können selber mitmachen und die Fasnacht besser und zugänglicher machen für eine neue Generation. Warum nicht als Schnitzelbänkler?
Eduard Etter, Obmann des Schnitzelbank-Comités, Basel
"Höchste Zeit für einen Quantensprung"
Lieber Max, ich bin Basler Trommler seit Kindsbeinen und trommle seit 62 Jahren an der Fasnacht. Seit 52 Jahren trommle ich bei den Wilden. Da habe ich viele Veränderungen erlebt. Die Toleranz für andere Musikstile ist gewachsen. Jetzt ist es höchste Zeit für einen Quantensprung. An der Fasnacht sollte die ganze Bevölkerung aktiv sein dürfen. Hier leben Menschen aus 160 Nationen. Wie schön wäre es, wenn die hier lebenden Musikerinnen und Musiker aus den verschiedensten Kulturen mit ihren Klängen und Rhythmen die Fasnacht beschenken, bereichern und noch farbiger gestalten könnten! Als kleine Kostprobe: an allen 3 Tagen startet um 20 Uhr die Wundergugge "the grand wazzoo". Der Groove wird dir gefallen.
Lars Handschin, Basel
"Fasnacht hat sich sehr wohl verändert"
Alle Menschen haben ihre eigene "Fasnachts-Euphorie" – oder halt eben nicht. Das macht gar nichts, denn die Druggedde ist immer enorm.
Als Köchin einer im ganzen Bekanntenkreis hoch geschätzten Mäählsubbe weiss ich, dass in einer solchen eine "Fleischbouillon" drin ist, die sich "Fond" nennt und der aus ausgekochten Kalbsfüssen und -Markbeinen besteht.
Ich werde dieses Jahr das 40. Mal uff d’Gass gehen mit meinem Piccolo und darf sagen, dass sich die Fasnacht sehr wohl verändert hat in den letzten 40 Jahren.
Ein Beispiel: als ich jung war, durften Mädchen nicht in einer Clique das Pfeifen lernen. Unglaublich, aber wahr. Frauen meines Alters (plusminus 75) lernten beim legendären Willy Geissmann exzellentes Pfeifen in Kursen. Die Cliquen öffneten erst viel später ihre Musikschulen für Frauen. (Sowohl für Pfyffere als auch für Dambuurinnen.) Auch Guggenmuusigen gab es früher nicht so viele.
Besoffene gab es "früher" keine - und "nach dem Ausgang" ging man auch nicht an den Moorgestraich. Am Sonntagabend pfiff man die Laterne ein und legte sich noch ein paar Stunden aufs Ohr.
Sie sehen, Max Kaufmann, es gibt durchaus Veränderungen. Halt keine solchen, wie Sie sich das wünschen. Und: Junge aller "jungen Altersstufen", die eine andere Fasnacht wollen, gründen eigene Grübbli, Schyssdräggzüügli oder Glygge. Das wäre doch eine Anregung.
Rosemarie Mächler, Aesch
"Ich sah selten Besoffene"
Während meinen 50 Jahren Aktiv-Trommler sah ich ganz selten "Besoffene". Über "die erscht Lektion" kann man das Fasnachtsvirus bekommen, so denn man will. Cliquen schalten regelmässig Aufrufe zur Mitgliedschaft oder zum Pfeiffen, Tromeln, Musik machen lernen. Das ist freiwillig. Ebenso freiwiliig ist die Fasnacht gut zu finden,oder eben nicht. Gerade über Cliquen können die Gemeinsamkeit, Integration und Inklusion gelebt werden.
Für x Tausende ist die Fasnachts-Euphorie vorhanden. Wenn das für andere nicht gilt, auch ok. Herr Kaufmann, was wären denn Ihre Vorschläge ?
Ruedi Basler, Liestal