Wo sind die liberal Bewegten?
Sonntag, 3. März 2024: Volk und Stände stimmen der Volksinitiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Rente klar zu. Eine einfach verständliche Vorlage, die kontrovers diskutiert wurde und emotional bewegte, wurde vom sonst eher zurückhaltenden Schweizer Stimmvolk gegen den Willen des Bundesrats und der Parlamentsmehrheit deutlich angenommen. Da liegt die Frage nahe, wer wofür "die Quittung erhielt".
Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter, und der Misserfolg ist ein Waisenkind. Das "AHV-Verdikt" wird von Vielen als "Wink mit dem Betonpfahl" an ein politisch-ökonomisches Establishment empfunden, das – so der Eindruck – überheblich auftritt und wirtschaftliche Interessen rücksichtslos über die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung stellt. Eine tiefgreifende Zäsur ortet Christina Neuhaus in der "Neuen Zürcher Zeitung" vom 4. März: "Über eindreiviertel Jahrhunderte konnte sich die liberale Revolution von 1848 in der Schweiz halten", schreibt die Leiterin der NZZ-Inlandredaktion. Nun sei der "Sonderfall Schweiz" vorbei, "jedenfalls im Moment".
Als Mitglied der FDP, die sich zum Liberalismus bekennt und mit der Gründung des Bundesstaats 1848 und seinem Aufbau fast schon genetisch identifiziert wird, macht man sich Gedanken, wenn man solches liest. Um die Befindlichkeit der FDP geht es hier aber nicht. Die Frage, ob der Liberalismus als gesellschaftspolitische Idee abgewirtschaftet hat, ja ins Museum gehört, geht über das Parteigärtchen hinaus. Gibt es noch liberal Bewegte in diesem Land?
Liberalismus ist ein nie fertiges Bild.
Was macht Liberalismus aus? Sind es die "Eigenverantwortung" oder prägnante Maximen wie "Mehr Freiheit – weniger Staat", mit der die Freisinnigen 1979 in den Wahlkampf zogen?
In beiden Aussagen stecken wichtige liberale Anliegen. In ihrer Verkürzung jedoch werden sie liberalem Gedankengut nicht gerecht. Der Liberalismus lebt von der Unterschiedlichkeit und der Komplexität der Menschen. Er ist eine permanente Zumutung an jede und jeden von uns. Es tönt fast schon christlich: Bringe Dich ein, so wie Du bist. Versuche, Dich zu entwickeln, Deine persönlichen Stärken zu entfalten. Und schäme Dich nicht Deiner Schwächen. Du lernst aus Fehlern, was Dich stärker macht. Du bist als Mensch wertvoll – für Dich selbst, Deine Nächsten und die Gesellschaft. Liberalismus ist ein nie fertiges Bild.
Liberale entziehen sich einengenden Rahmen, die ihnen andere immer wieder überstülpen wollen. Liberale malen gelegentlich schräg, wo man etwas Gerades erwartet. Gleichmacherei ist kontraproduktiv. Sich "staatstragend" zu verhalten, wie das immer wieder gefordert wird (mit Vorliebe dann, wenn andere den Staat nach Herzenslust demontieren), kann keine liberale Prämisse sein. Liberalismus bleibt unbequem.
Abzockern und puren Egoisten schulden wir nichts.
Liberale setzen auf den Kopf und auf vernünftige, praktikable Lösungen. Die Offenheit für gute Ideen, woher sie auch kommen, ist unabdingbar. Ein Liberalismus aber, der ohne Herz, Feuer, Bewegung und Lebensfreude daherkommt, wird absterben. Klientelpolitik kann nicht sein, wenn man auf Kreativität, Innovation und Leistung der Menschen setzen will.
Abzockern und puren Egoisten schulden wir nichts. Lasst uns hinschauen und anpacken, wenn Bedürftige intelligente, massgeschneiderte Hilfe brauchen, damit sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.
Liberale heissen – unabhängig von sozialem Status und Nationalität – alle willkommen, denen die Freiheit und die Würde der einzelnen Menschen am Herzen liegt: Piloten, Pflegefachleute, Lehrpersonen, Strassenkünstler, Bankiers, Auszubildende, Forschende, Gewerbetreibende, Staatsangestellte, Hardrock-Fans, Unternehmerinnen und Unternehmer, die eine Firma aufbauen.
Das könnte eine Lehre des 3. März sein: Liberale bleiben in Bewegung, rege im Geist und empathisch gegenüber denen, die sich ihren Fähigkeiten, Kräften und Wünschen entsprechend in unsere Gesellschaft einbringen wollen.
Die liberale Revolution kann weitergehen!
18. März 2024
"Wenn Politiker immer noch jammern"
Für einmal muss ich Frau Nogawa voll zustimmen. Es wirkt sehr peinlich, wenn Politiker immer noch jammern, wie die 13. AHV finanziert werden soll.
Genau von solchen Volksvertretern hört man diesbezüglich keinen Ton bei anderen wichtigen finanzrelevanten Themen, die uns Bürger betreffen.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Misstrauensvotum gegen den Bundesrat und das Parlament"
Wie alle Gesinnungsgenossen vom rechten Flügel reduziert Marc Schinzel die Abstimmung auf einen Kampf zwischen Liberalismus und Sozialismus, dabei hatte sie für die meisten Schweizer Bürger überhaupt nichts mit dieser Frage zu tun. Es war ein wuchtiges Misstrauensvotum gegen den Bundesrat und das Parlament.
Wir wurden immer gedrängt, zu sparen und kein Geld auszugeben, damit für die nötigen Ausgaben auch genügend Geld vorhanden sein wird. Was sehen wir aber? Unsere Volksvertreter schmeissen das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinaus, für Migranten, die sich mit dem Geld mehr leisten können als ein Rentner, die aber nicht im Traum dran denken zu arbeiten, für die Hilfe in die Ukraine oder den Nahen Osten oder andere Gegenden der Welt, sind Beiträge, die die AHV–Jahresbeiträge übersteigen, keine Diskussion wert.
Wir müssen alles offen legen, aber für wie viele Milliarden die Schweiz Impfstoffe eingekauft hat, das dürfen wir nicht wissen. Auch viele unserer Volksvertreter wollen es gar nicht wissen, sie wollen lieber in die EU. So ist das Resultat der AHV-Abstimmung zu verstehen und nicht anders.
Alexandra Nogawa, Basel
"Einfach lächerlich"
Was diese Annahme der 13. AHV-Rente für tiefgründige Gedanken auslöst. Ich meine ja, dass es viel einfacher ist: Jeder, der das "Prinzip AHV" kennt, hat erkannt, dass man sich meilenweit von dem "Existenzminimum" entfernt hat. Das hat gute Gründe. Aber als man dann die Erhöhung (vor einem Jahr) an der Inflation gemessen hat, die den Lebensstandard mit allem "Luxus" widerspiegelt, hat verdeutlicht, dass man damit (nach Abzug der Steuern!) etwa gerade die Prämienerhöhung der Krankenkassen finanziert. Keine Verteuerung der Energie, der Mieten etc., die AHV-Empfänger voll trifft.
Und jetzt studiert man an der "Finanzierung" rum. Dabei gehört die extrem soziale Finanzierung durch Einkommensprozente doch nicht nur zur DNA der AHV, sondern wäre auch völlig logisch. Darüber zu diskutieren, ob und wie man deswegen die arbeitende Bevölkerung wieder entlastet – das wäre der richtige Weg. Von anderen "Kässeli" das AHV-Kässeli zusätzlich zu speisen, ist einfach lächerlich.
PS: Für die Definition von "Liberal" würde mir schon reichen: Soviel (Gesetze, Vorschriften und Bürokratie) wie nötig und nicht (wie jetzt!) wie möglich.
Peter Waldner, Basel