Theater Basel, Schauspielhaus Uraufführung
"Das Narrenschiff"
Inszenierung: Marthe Meinhold und Marius Schötz Bühne und Kostüm: Florian Kehl Komposition: Marius Schötz Licht: Cornelius Hunziker Dramaturgie: Anja Dirks
Mit Andrea Bettini, Barbara Colceriu, Jia Lim, Annika Meier, Julian Anatol Schneider
Live-Musik: Jia Lim Kindertheater für ErwachseneDas Publikum des 15. Jahrhunderts war hart im Nehmen. Anders lässt sich nicht erklären, dass die Satire "Das Narrenschiff" 1494 von Basel aus zu einem europäischen Erfolg, zum ersten literarischen Bestseller wurde. Spitz und derb geisselt der humanistische Rechtsgelehrte Sebastian Brant in über 100 Narren-Typologien die Sünden und Laster seiner Mitmenschen – weniger humorvoll, aber nicht unähnlich den Schnitzelbänggen.
Aber weit mehr Milde lassen Marthe Meinhold und Marius Schötz bei ihrer Bühnenversion walten, die den Stoff in die Jetzt-Zeit trägt. Mit dem Ensemble entwickelten sie bei ihrem Basler Debut eine Story, die Brant nur kurz als Bild anklingen liess: Eine Gruppe "Närrinnen, süss aber verrückt" fährt begeistert auf hohe See, "wo man Abgründe erfährt und überwindet, um schlussendlich wieder gesellschaftsfähig zu werden".
Das puppenkistenhafte Bühnenbild gibt viel her für Auge und Sinne: Eine romantisch hingemalte, leidenschaftlich wogende See im Hintergrund, vorne rollende Wellen mit bei Sturm aufleuchtenden LED-Konturen, dazwischen das hölzerne Schiff mit hohem Rumpf, wie man seit Jahrhunderten die Arche Noah malt – dies alles schafft die passende Szenerie für dieses Kindertheater für Erwachsene. Die Narren spielen betont "Gruppe", die ausser kurzen Zänkereien nichts auseinanderbringt. In ihren hautengen, karogemusterten Kostümen und grellbunten Narrenkappen wirken sie zumeist kindlich, gleichzeitig alterslos. Die Bedeutung der Geschlechter wird mit Querbesetzungen zurückgedimmt.
Sie erschrecken zur Gespensterstunde über die Dunkelheit, jammern über die "30 Jahre lange" Flaute, fischen besorgt Plastikmüll im Meer, und Barbara Colceriu singt hoch oben auf einer Schaukel gefühlig: "Wir, wir träumen allein, warum nicht gemeinsam? Bist Du nicht einsam?" Szenenapplaus. Die Übergänge in der Story holpern, so dass die Orientierung manchmal schwerfällt. Wie im Traum oder im Märchen wechseln abrupt die Begebenheiten. Ziellos gondeln wir mit der Arche durch den Abend, bis sie aufläuft.
So einfach ist das? Den harten Weg zu befreiten kreativen Narren-Potentialen, der auch über Zeiten der Einsamkeit führen kann, schildert das Stück nicht. Der Aufruf im Stück "Erkenne Dich selbst" ist gutgemeint. Und er entspricht auch Brants Ideal, der trotz der Drohung mit Höllenstrafen kein unmündiges Frömmlertum verficht, sondern auf dem beharrlichen Weg von Vernunft und Überwindung zur Freiheit gelangen will. Seine Weltauffassung ist da strenger, herber und wohl auch realistischer. Sein Anliegen beinhaltet auch Verzweiflung.
Es wäre aber unfair, die Aufführung an diesem Vergleich aufzuhängen. Sie bietet mit Ausnahme des etwas zäh geratenen Schlusses und des zuweilen geschwätzig geratenen Textes zwei witzige, vergnügliche Theaterstunden. Das Ensemble bewältigt mit Leichtigkeit komplexe Song-Arrangements und spielt mit Enthusiasmus und Präzision seine Stärken aus. Gerade die Ziellosigkeit der Fahrt ohne Längen zu füllen und doch fühlbar werden zu lassen, ist wohl das grosse Kunststück der Inszenierung. Sie besticht mit Liebe zum Detail. Und mit völliger Transparenz: Sie ist nie Illusions-Show, sondern zeigt alles von A bis Z als offenes Spiel, indem etwa auch Bühnenarbeiter auftreten, um das Schiff zu wenden.
Und Brant würde vielleicht heute auch milder und humorvoller schreiben, notiert er doch selbst, dass trotz aller "guter Ratgeber Lehr" und Bücher wie den seinigen "niemand bessert sich davon". 15. Oktober 2022
|
www.onlinereports.ch
© Das Copyright sämtlicher auf dem Portal www.onlinereports.ch enthaltenen multimedialer Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) liegt bei der OnlineReports GmbH sowie bei den Autorinnen und Autoren. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Veröffentlichungen jeder Art nur gegen Honorar und mit schriftlichem Einverständnis der Redaktion von OnlineReports.ch.
Die Redaktion bedingt hiermit jegliche Verantwortung und Haftung für Werbe-Banner oder andere Beiträge von Dritten oder einzelnen Autoren ab, die eigenen Beiträge, wenn auch mit Zustimmung der Redaktion, auf der Plattform von OnlineReports publizieren. OnlineReports bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen darum, Urheber- und andere Rechte von Dritten durch ihre Publikationen nicht zu verletzen. Wer dennoch eine Verletzung derartiger Rechte auf OnlineReports feststellt, wird gebeten, die Redaktion umgehend zu informieren, damit die beanstandeten Inhalte unverzüglich entfernt werden können.