Theater Basel, Schauspielhaus Eine Klage
Regie: Sahar Rahimi Bühne und Kostüm: Evi Bauer Musik und Sounddesign: Niklas Kraft Chorleitung: Julia Kiesler Dramaturgie: Kris Merken
Mit Edgar Eckert, Katja Gaudard, Julian Schneider
Chor (Studentinnen Hochschule der Künste Bern): Sascha Annina Bitterli, Katharina Gieron, Lilly Hartmann, Emma Madita Mösch, Alina Maria Schmidli
Mädchen: Magdalena Tränen, Pop und Apokalypse"Die Perser" des griechischen Tragikers Aischylos, uraufgeführt 472 vor Christus, gilt als das älteste vollständig erhaltene Theaterstück der Welt. Es beschreibt die Vorgänge um die Schlacht bei Salamis (480 v. Chr.) aus der Perspektive der griechischen Feinde, der Angreifer und späteren Verlierer, der Perser. Dabei frappiert, wie mitfühlend er deren Leid vergegenwärtigt. Ob zur griechischen Schadenfreude oder ob aus humanistischem Anliegen, das diskutiert die Fachwelt. Aber Aischylos billigt dem "Schwesternvolk" (im Stück) tiefes Ehrgefühl, differenzierte Empfindungskultur, hingebungsvollen Götterkult zu.
Bange wartet der Chor auf Nachrichten vom Heereszug, die Königinmutter Atossa ergeht sich in Metaphern dunkler Vorahnung, ein Bote schliesslich berichtet von der Katastrophe, der tote Königsvater Dareios, aus der Unterwelt heraufbeschworen, vervollständigt das Bild: Das Perserheer mit all den Helden vernichtet, die noch Lebenden rettungslos. Der Hochmut seines Sohnes Xerxes sei die Ursache. Ältere Männer hätten den jungen Mann als zu wenig männlich gehänselt, heisst es. Die persische Tyrannis wird explizit der noch jungen Demokratie der Griechen gegenübergestellt, die listig mit kleinerem Heer für ihre Götter, Frauen, Kinder, Selbstbestimmung gekämpft hätten.
"Die Perser" ist ein sprachgewaltiges Gedicht, das nicht bloss erzählt, sondern das Leid vergegenwärtigt: beinahe feierlich jeden Moment auskostend und die eigene Existenz auslotend. Es ist eine grosse Klage, nicht bloss über die Niederlage, sondern auch über den Krieg, besonders über die männlichen Schwächen wie Ehrsucht, Geltungsdrang, Handeln aus Affekten, devote Hierarchiegläubigkeit.
Mit "eine Klage" hat Sahar Rahimi auch ihre Inszenierung untertitelt. Die iranischdeutsche Regisseurin kam den Erwartungen nach, im Schauspielhaus, das an der Front mit der Parole des iranischen Freiheitskampfes "Frauen – Leben – Freiheit" angeschrieben ist, auf Aktualitäten wenigstens anzuspielen: die iranischen, patriarchalen Machthaber und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.
Der Chor, der sich zu Beginn versammelt, besteht nicht aus den alten Männern, die beim Feldzug zurück geblieben sind, sondern aus wütend skandierenden Girlies. Widersprüchlich zur feministischen Setzung wirkt es da, dass die allesamt blonden Frauen zu Beginn erst mal – im Gedenken an ihre Herrenhelden? – zur sentimentalen Popsülze "Nothing compares to you" weinen müssen.
Darauf fügt Rahimi ein Bild apokalyptischer Drastik ins Stück. Im Hintergrund eine Projektion auf Bühnenbreite: Bomben explodieren, Soldaten rennen. Davor: Eine zerbombte Endzeitlandschaft, in der zwei sterbende Soldaten liegen, der eine mit herausquellenden Gedärmen. Während langen Minuten ächzen sie im Todeskampf. Da schleicht sich der flugs zu Rachegöttinnen mutierte Chor heran. Lasziv machen sie die Männer an, foltern sie im nächsten Moment, filmen sich dabei, reissen dem einen die Gedärme heraus. Zu viel für vereinzelte Zuschauerinnen, die den Saal verliessen.
So virtuos die Splatterszene den (aktuellen) Irrsinn bündelt - das Mitleid, die Faszination, die Geilheit, die Gefühlskälte –, es bleiben Fragen. Kennen wir diese Bilder nicht alle? Erleben wir bei Rahimi das Vordergründige, Spektakuläre, Allgemeine, bei Aischylos aber in dicht gefassten Sprachbildern das Leiden der jeweiligen Person?
Auftritt der Bote, der das Grauen der Schlacht schildert. Der lyrische Text wird naturalistisch gestammelt, mit Kunstpausen unterbrochen. Die oft langen, geschachtelten Sätze werden so ohne Vorkenntnisse kaum verständlich. Ohne Prägnanz und Fülle kann der Text seine Wucht und seinen Reichtum nicht entfalten. Fast über die ganze Aufführung wird "Literatur" gesprochen, die Aussagen werden nie zur (persönlichen) Tatsache. Katja Gaudard versucht sich immerhin gefühlsmässig der Figur der Atossa zu nähern.
Vor TV-Bildern mit Oligarchenjachten erhebt sich hustend Dareios aus dem Grab. Selber verkörpert er eher einen Zuhälter von der Gasse: zu weit offenes Hemd, schmierig, fliehender Blick. Sein Auftritt widerspricht gänzlich seiner kühlen Kriegsanalyse, seiner Kritik an der Hybris seines Sohnes oder dass man den Reichtum nicht ins Totenreich nehmen könne.
Die wirkliche Tabuzone unserer Tage berühren wir kaum eine Sekunde in den zwei Stunden: Die vom mentalen Ballast freigelegten Empfindungen in der Krise, die Aischylos als Chance anbietet. Rahimi vermochte es nicht, ihre Absichten im Klassiker schlüssig und eindeutig lesbar zu realisieren. 18. März 2023
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