Theater Basel, Schauspielhaus Premiere
"Die bitteren Tränen der Petra von Kant"
Von Rainer Werner Fassbinder
Inszenierung und Bühne: Anna Bergmann Kostüme: Emilie Loiseau Musik: Heiko Schnurpel Lichtdesign: Henning Streck Ton: Ralf Holtmann Choreographie: Tabea Martin Dramaturgie: Inga Schonlau
Mit Carina Braunschmidt, Mala Emde, Nairi Hadodo, Anne Haug, Sina Kiessling, Suly Röthlisberger Der Mythos einer schönen LiebeUnglückliche Vorzeichen: Emilie Charriot hatte die Regie wegen einer Erkrankung in der Familie abgegeben. Anna Bergmann, Schauspieldirektorin am Bayrischen Staatstheater Karlsruhe, die das Stück schon einmal inszeniert hatte, sprang ein. Sie musste die Vorgabe ihrer Vorgängerin einer fast völlig leeren Bühne übernehmen – bis zur Premiere blieben gerade noch zweieinhalb Wochen.
Damit hing die Frage über der Aufführung: Was wird da noch einzuholen sein? Für eine gründliche Neusichtung von Fassbinders meistgespieltem Stück seit 1971 blieb keine Zeit. Wer sich noch des unter der Regie des Autors konzentriert ausgespielten Kammerspielfilms von 1972 mit Margit Carstensen in der Titelrolle, mit Hanna Schygulla und Irm Hermann, erinnert, weiss, dass sich das Drama nur in einer sehr subtilen Spielweise voll überträgt.
In Carstensens buntem Wohnatelier war es eng – hier scheint sich der Raum, als sich der schwarze Vorhang hebt, in die Dimensionen einer Industriehalle zu weiten. Alles kahl, graue Wände, schwarzer Boden, weisses Licht.
Von Kant bewohnt darin allerdings nur eine kleine Insel, die sie während des Abends nur selten verlässt, aus Kissen, Plattenspieler, Ginflaschen und Siebziger Jahre-Telefon: Das traurige Refugium einer von Hybris aufrecht gehaltenen, in abgestandenem Ruhm cool auffahrenden, aber eigentlich einer verweichlichten Romantikerin, die das Ende ihrer Karriere heranschleichen spürt und die das Scheitern ihrer Ehe nur schwer verdaut. Denn die Kollektionen der erfolgsverwöhnten Modedesignerin skizziert längst Hausdienerin Marlene, die wie ein schwarz gewandeter Geist erscheint und verschwindet, Kaffee und Orangensaft serviert, vor allem aber Champagner und Gin-Tonic für die Hausherrin.
Spätestens, wenn von Kant der verhassten Freundin Sidonie ihre bürgerlichen Ehe-Machtspiele vorhält, wie sie demgegenüber eine "schöne Liebe" leben wollte, in der man "immer ganz genau weiss, was geschieht, bei einem selbst und auch beim andern", wenn sie scharf analysiert, dass hinter ehelicher Verhätschelung immer die Unterdrückung lauere und sie diese abgeschüttelt habe, wird klar, dass dieses Stück vielleicht in seiner Form aus einer anderen Zeit stammt, mit seinen inhaltlichen Beiträgen aber noch immer anregend sein kann.
Und dass es auch hier auf der akustisch schwer zu bespielenden Riesenbühne mit seinem cleveren Spannungsaufbau einen langsamen Sog hin zur Eskalation entfaltet. Schnell wittert man die Katastrophe. Man leidet mit, wenn sich von Kant in die Arbeitertochter Karin, hier weiss im Discolook aufgeputzt, verliebt. Denn nach jeder Frage muss sie ihre Enttäuschung runterschlucken, wenn auf ihren hochgespannten Verstand Karins Antworten voll trägem Desinteresse an allem, aber von verstecktem Ehrgeiz treffen. Man leidet, weil von Kant nun Karin zu verhätscheln und zu unterdrücken, also zu einer Model-Karriere als Objekt zu disziplinieren beginnt, um das für sie quälende Gefälle an Kultiviertheit auszugleichen – und um die junge Frau zu besitzen.
Schliesslich haut Karin ab, die Verlassene ergeht sich in Hassausbrüchen und versackt in Suff und Chaos. Symbolistisch verteilt hier Marlene Telefone über die ganze Bühne, von Kant hetzt getrieben in Hoffnung auf Karins Stimme den Klingeltönen nach. Am Geburtstag tobt sich die nervlich Ausgefranste an Mutter, Tochter, Sidonie aus, schmeisst Teller und Gläser an die Wand.
Um die Aufführung wirklich auf die Spitze zu treiben, reicht die oft ordentliche durchgeführte Anlage nicht, hätte es einer vertiefteren Rollenauslotung bedurft, die unter diesen Umständen nicht stattfinden konnte. Der Entscheid zur Einhaltung des Premierendatums trotz Regiewechsels ist künstlerisch absolut fragwürdig.
Dass die Aufführung dennoch hält, immer wieder sogar zum Erlebnis wird, liegt an Carina Braunschmidt. Sie hat sich die Titelrolle fühlbar einverleibt und funktioniert aus ihr heraus bis in jede Regung. Das Süchtige-Abgründige und das Selbstische gehen organisch Hand in Hand. Von dieser Spannung bezieht sie eine Präsenz und eine Führung, die sie stets zum Fokus des Abends macht, ohne ihn je behaupten zu müssen. 6. Mai 2023
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