Theater Basel, Kleine Bühne
Premiere
"Konstellationen"
Autor: Nick Payne
Übersetzung: Corinna Brocher
Inszenierung und Ausstattung: Ramin Gray
Dramaturgie: Brigitte Auer
Licht: Oliver Mathias Kratochwill
Übernahme vom Schauspielhaus Wien
Mit Nicola Kirsch, Thiemo Strutzenberger
Love-Story im Multiversum
Kann man zu Silvester mit der Premiere eines Stückes Erfolg haben, in dem Sterbehilfe, Gehirntumor, theoretische Kosmologie und Eheprobleme vorkommen?
Nach dem langen, begeisterten Schlussapplaus für das hervorragend aufspielende Ensemble drängte sich das Publikum in froher Stimmung ins Foyer, um dort auf Einladung des Hauses Champagner zu trinken. Denn das Stück "Konstellationen" des Briten Nick Payne ist eine abstrakte Spekulation, die zwar auch ernste Lebenslagen durchaus ernstgemeint behandelt, einen aber nicht weiter irritiert.
Der preisgekrönte Autor beschäftigte sich vor der Niederschrift mit Quantenphysik und stellte 2012 die Liebesgeschichte der Quantenphysikerin Marianne und des Imkers Roland wie in einem Multiversum vor. Nach dieser umstrittenen physikalischen Theorie leben wir nicht bloss an einem Ort, sondern in verschiedensten Universen, in deren Gesamtheit sich alles durchspielen soll, was überhaupt passieren könnte.
So lässt Payne uns durch Universen zappen, in denen Szenen sich zu deren Beginn auch wiederholen, die aber jeweils anders enden. Bei der ersten Begegnung an einer Party passiert gar nichts, weil Roland bereits in einer Beziehung steckt. Die zweite misslingt auch. Er wimmelt Marianne mit einer Trennungsgeschichte ab. Endlich klappt es dann doch. Auch vom ersten gemeinsamen Abend gibt es mehrere Versionen. Sie heiraten, sie betrügen sich, trennen sich, sie begegnen sich wieder ohne Fortsetzung, mit Fortsetzung, Marianne ist sterbenskrank, gleich darauf ist ihr Tumor dann doch gutmütig, später will sie zur Sterbehilfe wegreisen.
Das Stück folgt für den Betrachter in etwa der Strukturidee des experimentellen Filmes "L'année dernière à Marienbad" (1961), der inhaltlich widersprechende Szenen chronologisch durcheinander wirft. Man kann sich als Handlung zusammenreimen, was man sich wünscht, oder das Ganze als Tableau der verschiedenen Varianten auf sich wirken lassen. Alles kann, nichts muss; das Drama wirkt mehr als ob und temporär statt zwingend.
Die meist mit sehr kurzen Repliken vorangetriebenen Dialoge, die scharfen Cuts, die kurzen Szenen, das alles sorgt für viel Zug. Payne zeigt boulevardeskes Talent, wie er etwa Ehestreitigkeiten tragikomisch aufbereitet, als hätte er dem Alltag Pointen abgelauscht. Dass wir aber atemlos 70 Minuten lang dem Reigen der Szenensplitter folgen, liegt am konzentrierten Spiel und der gestalterischen Kraft von Nicola Kirsch und Thiemo Strutzenberger.
Die Inszenierung von Ramin Gray wäre eine hervorragende Übung an den Schauspielschulen, wie man auf leerer Bühne, nur unterstützt von Lichtwechseln, in eine komplett neue Begebenheit eintaucht und den eigenen Charakter blitzschnell neu frisiert. Kirsch und Strutzenberger beherrschen nicht nur diese Wechsel virtuos, ihre durchaus alltäglichen Figuren rühren einen an, auch wenn ihnen das Stück nur geringen Raum zur Ausbreitung lässt. Die teilweise spröde oder zu Starrheit verführende, minimalistische Sprache Paynes wird bei ihnen natürlich.
Die fast gelassene Selbstverständlichkeit, mit denen die Beiden agierten, wird wohl auch damit zusammenhängen, dass sie schon vor zwei Jahren am Schauspielhaus Wien in gleicher Regie das Stück aufführten, sich der Stoff also setzen konnte. "Konstellationen" ist dank Kirsch und Strutzenberger ein für die jetzigen Schweizer Verhältnisse eher seltenes Schauspiel-Ereignis.
Gerne würde man erfahren ob Mariannes Wiederbegegnung mit Roland nur ein angehängtes, hoffnungsvolles Ende ist, um das Stück nicht ihrem Tod beschliessen zu müssen. Payne liefert keine weiteren Antworten. Er tippt vieles an, dringt aber auch nicht tiefer in seiner kosmologischen Betrachtung vor, wie es sich genau mit unserer Wahlmöglichkeit angesichts der Möglichkeit eines Multiversums verhält.
Die Erläuterungen der Quantenphysikerin Marianne dazu hätten das Thema des Stückes sein können, bleiben aber dramaturgisch Papier. Die unterschiedlichen Szenenausgänge bieten keine erweiterte Erkenntnis. Man könnte "Konstellationen" aber auch als ernüchternden Kommentar dazu lesen, was aus unserer romantischen Liebe und unserer seelischen Wahrnehmung geworden ist: ein Splitterhaufen aus typischen Kernszenen.
Auch in Wien setzte Andreas Beck die Premiere von "Konstellationen" auf Silvester, wohl um unsere Neigung zu Vorsätzen mit den Möglichkeiten des Multiversums thematisch zum Aufprall zu bringen. Der Silvester-Abend zeigte wie gut der neue Theaterdirektor bereits in Basel angekommen ist: Nicht nur "Konstellationen" auf der Kleinen Bühne war ausverkauft sondern auch das stark kritisierte "Sparschwein" im Schauspielhaus und ebenso "Die Zauberflöte", deren eigenwilliger Ansatz und deren Bühnenbild zu Diskussionen Anlass gab. Glückwunsch!
1. Januar 2016