Theater Basel, Schauspielhaus
Uraufführung/Auftragswerk
"Im Turm zu Basel"
Autorin: Theresia Walser
Inszenierung: Sebastian Schug
Bühne: Christian Kiehl
Kostüme: Nicole Zielke
Musik: Johannes Winde
Licht: Cornelius Hunziker
Dramaturgie: Constanze Kargl
Mit Liliane Amuat, Carina Braunschmidt, Vincent Glander, Katja Jung, Orlando Klaus, Thomas Reisinger, Johannes Winde, Simon Zagermann
Flurgespräche der Zentralbanker
Schon länger wird in Basel jene Geschichte wie ein Bonmot herumgereicht, wonach eine Boutiquen-Verkäuferin einer stadtbekannten, immer unscheinbar gekleideten Milliardärin die Seidenblusen nicht habe zeigen wollen, "weil Sie sich ja so was doch nicht leisten können". Hier lacht man über die Verkäuferin. Dem ortsfernen Blick enthüllte die Affäre wohl eher die Kultur der Diskretion, die hier obwaltet, und die die Kleinstadt zum geeigneten Standort der "Bank für Internationalen Zahlungsausgleich" (BIZ) macht: Die wichtigste Bank der Welt, deren 70 Meter hoher Turm beim Bahnhof SBB jeder kennt, und über die niemand etwas weiss.
Hier, so schrieb es etwa der Buchautor Adam Lebor, treffen sich alle zwei Monate an einem Sonntagabend die wichtigsten Zentralbanker der Welt, um eine Stunde lang ohne Protokoll miteinander zu reden: EZB-Präsident Mario Draghi, Fed-Präsidentin Janet Yellen, der deutsche Bundesbankpräsident Jens Weidmann und weitere.
Kein Lokalreporter hat ihnen je abgepasst. Nun aber hat der Basler Theaterdirektor Andreas Beck der deutschen Sprachkünstlerin Theresia Walser den Auftrag gegeben, das öffentlichkeitsscheue Institut mit dunkler Geschichte mal unter die Lupe zu nehmen.
Über das Unternehmen, dessen Interventionen oder interne Dramen erfährt man in "Im Turm zu Basel" jedoch kaum etwas. Es ist fast so, als bliebe man draussen auf dem Flur. Hausangstellte und Banker spekulieren über die Hackordnung, den Hausgeist und das Pflichtgefühl von Hortensien.
So what? Es ist kein Novum am Theater, dass Banker als superdiskrete, machtbesessene, speichelleckende Schurken mit seltsamen Vorlieben vorgestellt werden. Aber Walser bringt das Publikum 90 Minuten lang immer wieder zum Lachen, etwa wenn es während dem jetzt laufenden städtischen Wahlkampf von einer "Turmherrin Tronje" hören muss: "Demokratie ist Sandkasten für die Armen im Geiste. Die dürfen ruhig mitreden, wo es um nichts geht." Und zum Verstummen, wenn das Wort "Zahngold" im Zusammenhang mit den historischen BIZ-Vermögensbeständen fällt.
Die Banker stilisieren ihre BIZ zum Tempel der Eingeweihten hoch, wo der "Finanzwelt-Papst" Greeper "wie Jesus zu den Märkten" rede, wo der "monetäre Zölibat" gelte, während Wall Street eine "Spekulationsgosse" sei. Hier im "unpolitischen" Basel sei der Euro "gezeugt" worden, ja Geld werde zu Geist.
Der erwähnte Sonntagabend gilt als eine Art Gottesdienst. Das Wasser wird "dorfbrunnenkalt" gereicht. Zum Kalbsgeschnetzelten gibt es immer etwas zu wenig Sauce: Exerzitium des Masshaltens. "Die Unsichtbaren" (Stückuntertitel) enthüllen hochherzige Menschenverachtung und atemberaubende Hybris. Man müsse "wie Gott aufs Ganze" blicken. "Die Katastrophen der einen sind das Glück der andern. Nur können Sie das dem einfachen Mann auf der Strasse da unten nicht erklären. Der verzweifelt an solchen Wahrheiten." Wohl eher daran, dass ihm keiner hilft.
Es will einem aber nicht so recht in die Knochen fahren, was Walser aus realen Aussagen von Bankern herausdestilliert und fabulierend hat weiter wuchern lassen. Weil auf der Bühne "Groteske" gespielt wird. Weil Ulkeinlagen die Inhaltswucht verwedeln. Und weil Regisseur Sebastian Schug das an sich versierte Ensemble nicht konsequent an den Punkt lenkt, dass diese Leute nicht nur vermindert realistische Bühnenfiguren sind. Sondern dass sie einen realen Kern haben und dass sie diesen entblössen, wenn sie ihre todernst gemeinten Wahrheiten aussprechen.
Thomas Reisinger als Greeper, äusserlich elastisch-elegant, innerlich versteinert, entwickelt auf diese Weise Sogwirkung. Sagt ihm ein Banker, er komme nicht zum nächsten Treffen, seine Mutter liege im Sterben, so antwortet sein Greeper völlig neutral: "Ja, eine Mutter stirbt nur einmal", und dabei weht einen der eiskalte Marschbefehl an, der da lautet: "Du kommst."
Den finalen Sonntagabend, klischiert arrangiert wie das Abendmahl da Vincis, lässt Schug in Blödelei ausarten. Dabei läge die Magie von Walsers BIZ-Welt wohl eher darin, dass sie auf immer und ewig genau gleich fortbesteht – mit den seit der Gründung (1930) wie Hausgeister amtierenden Saaltöchtern Lynn und Fine, mit der textlich oft beschworenen Stille und Abgeschiedenheit. Selbst wenn der Chef Greeper stirbt, wird er von einem Schattenherrscher weiter verkörpert. Und wenn sich ein Argentinier als Nichteuropäer in die Hierarchie drängt, wird er erschossen. Fine und Lynn unbeteiligt: "Immer das Gleiche. Jedes Mal das Gleiche."
Walser tendiert hier eher zu Thomas Bernhard als zu Yasmina Reza, mit der sie schon verglichen wurde, indem sie eine groteske Welt verdichtet, aus der das Reale wie Hammerschläge dröhnt. Auch wenn es fast nur Flurgespräche sind.
16. September 2016