Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Das Sparschwein"
Autor: Eugène Labiche
Übersetzung: Botho Strauss
Inszenierung: Martin Laberenz
Bühne: Volker Hintermeier
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Musik: Arno Waschk
Licht: Anton Hoedl
Dramaturgie: Katrin Michaels
Mit Liliane Almuat, Andrea Bettini, Carina Braunschmidt, Mario Fuchs, Urs Peter Halter, Florian Jahr, Nicola Mastroberardino, Max Rothbart, Myriam Schröder, Ingo Tomi, Arno Waschk
Wildschweinkopf und Beethoven
"Paris", ruft Max Rothbart als Bauernsohn Sylvain begeistert im goldenen Glitzersmoking, immer wieder "Paris" und "Pa-Pa-Pa-Paris", um irgendwann Maschinengewehrfeuer nachzuahmen, das er gegen das Publikum richtet. Gleich darauf kracht mit "Kiss The Devil" just jenes Stück herein, das die amerikanische Band "Eagles of Death Metal" in dem Moment im Pariser "Bataclan"-Club spielte, als die Terroristen das Feuer in die feiernde Menge eröffneten.
"Eine Geschmacklosigkeit", empörte sich ein Theaterbesucher in der Pause. Zumindest unpassend wie die leicht bekleidete Hostess auf der Kühlerhaube am Automobilsalon ist der "Gag", wenn weder in der harmlosen Geschichte Labiches (1864), in der sechs einfältige Bürgerleute vom Land einen turbulenten Tagesausflug in Paris erleben, noch in der Aufführung sonst auch nur die geringsten Bezüge zur Bluttat in Paris erkennbar werden.
Daran muss man nicht die ganze über dreistündige Aufführung aufhängen. Aber die Szene ist ein Hinweis dafür, dass Regisseur Martin Laberenz kein taugliches Rezept für den fröhlich-frechen und halt auch sehr zeitgebundenen Vaudeville gefunden hat. Er wollte ihn übersteigern zur permanenten Exaltation. Von Beginn weg geht alles auf Tutti und Tempo, gestisch, mimisch, stimmlich. Auf "Witz, komm raus" wird mit Klamauk draufgehauen. Die Landleute schreien bald "Aaah", bald "Oooh", sei der Anlass noch so geringfügig. Aufgerissene Augen und aufgerissener Mund gehören wenigstens im ersten Teil zum Standardgesicht. Das halbe Ensemble ist nach einer halben Stunde heiser.
Der junge Notar Félix kommt in Koitus-Stellung über seinem späteren Schwiegervater zu liegen, wenn er um die Hand von dessen Tochter Blanche anhält. Wenn die Dörfler das Sparschwein mit den Spielgeldern aus deren wöchentlichen Kartenspielrunden schlachten wollen, gerät Blanche zufälligerweise unter die gierige Meute: Liliane Almuat quiekt wie ein Schwein. Zuerst wird ein blutiges Riesenmesser gezückt, dann der Zweimeter-Vorschlaghammer hervorgeholt. Und wenn Blanche sich später beim Besteigen einer Plattform irgendwo halten muss, so nimmt sie den nackten Penis von Sylvain.
Für Laberenz' Outrage-Theater ist Botho Strauss' Übersetzung und Bearbeitung von 1987, die das Absurde im biederen Geschwätz mit Hilfe kurzprägnanter Figurenzeichnung immer wieder aufblitzen lässt, oft zu fein ziseliert. So wurden Sätze auf Lacheffekt frisiert. Bauer Colladan: "Als ich meine tote Frau geheiratet hab', ..". Oder Steuereinnehmer Baucantin betont beim Vorlesen aus einem Inserat so: "Ein Same (Einsame) sucht ein Samen (Einsamen) ...". Oder Heiratsvermittler Chalamel weist einen Gast an: "Setzen Sie sich mit dem Klavier zum Rücken". Und so weiter.
Schrill auch Kostüme und Bühne: Zwischen den goldenfarbenen Spielplattformen dient eine Vorhangschnur als Tarzan-Liane. Die heiratswillige Léonide trägt einen Wildschweinkopf im Hut. Spektakulär ist Blanches halbmeterhohe Rokoko-Frisur. In Paris angekommen überfüllen die Beiden mit Einkaufspaketen die Bühnenfläche. Kommissar Béchut ist mit Mephisto-Augenbrauen und Lederfrack ein Dunkelmann. Der Rentier Champbourcy ist bis zur Groteske dick ausgestopft.
Wozu das alles? Laberenz ist die Vaudeville-Bühnenrealität nicht genug. Er unterläuft und weitet sie zugleich. Der Kommissär reisst dem Bauern Colladan den Schnurrbart weg: Das soll uns durchaus wehtun. Mehrfach schmettern die Landbürger den Revolutionsmarsch "Marseillaise"; Champbourcy behauptet, sie aus Anlass eines Feuerwehrfestes selbst komponiert zu haben. Und zum lächerlichen Geschehen auf der Bühne stimmt Pianist Arno Waschk Beethovens erhabene Arietta aus dessen letzter Sonate an; das ist so bezugslos, dass es weder Kommentar noch (nur) Kontrast sein kann, vielmehr wird damit Empfindungskultur als hübscher Zierrat lächerlich gemacht.
Zu Fall gerät das Konzept im zweiten Teil, wenn über eine geraume Strecke nicht mehr die ganze Gruppe für Betrieb sorgt. Plötzlich enthüllt sich die Betriebsamkeit als hohl, der Humor der Inszenierung als dümmlich; Laberenz war an den Leuten nur soweit interessiert, als sie als Witzfiguren funktionieren, das geht hier nicht mehr auf. Hätten Nicola Mastroberardino als Colladan, Florian Jahr als Can-Can-tanzender Diener, Andrea Bettini als Kommissär oder die in verschiedenen Rollen agierende Carina Braunschmidt ihre Figuren nicht so eigenwillig gezeichnet, ja hätte nicht das gesamte Ensemble in der Hektik Kontur behalten, so wäre auch schon der erste Teil allzu fadenscheinig geworden. Höflicher Schlussapplaus.
18. Dezember 2015