Werbung


Claude Bühler – Premiere am Theater Basel

<< [ 1 | (...) | 61 | 62 | 63 | 64 | 65 | 66 | 67 | 68 | 69 | 70 | (...) | 180 ] >>

Theater Basel, Schauspielhaus
Uraufführung

"Die Bacchen"

Autor: Euripides in einer Bearbeitung von Roland Schimmelpfennig
Inszenierung und Bühne: Robert Borgmann
Kostüme: Lili Anschütz
Musik: Philipp Weber
Video: Lianne von de Laar
Licht: Cornelius Hunziker
Dramaturgie: Constanze Kargl

Mit Michael Gempart, Pia Händler, Katja Jung, Steven Höld, Nicola Kirsch, Nicola Mastroberardino, Cathrin Störmer, Thiemo Strutzenberger, Ingo Tomi, Philipp Weber (Musiker) und Kinderstatisterie


Anarchistenfahne in Theben

Auf dünnes Eis begibt sich das Theater Basel, wenn es Euripides Drama von 405 vor Christus als Uraufführung anpreist. Die Version, die der Dramatiker Roland Schimmelpfennig 2009 für den verstorbenen Regisseur Jürgen Gosch aus verschiedenen Quellen verfasste, ist weder Neuübersetzung noch neue Stückschöpfung. Sie steht inhaltlich und in der Szenenabfolge kaum von der traditionellen Euripides-Übersetzung J. A. Hartungs aus dem Jahre 1848 ab. Natürlich, der Ton ist ein anderer: weniger lyrisch-expressive Vergegenwärtigung, eher mental-flächig, für heutige Ohren leichter verständlich. Aus dem wuchtigen Aufbäumen beim Einstieg "Ich, Sohn des Zeus, Dionysos" wird ein profanes "Jetzt bin ich endlich hier".

Der junge Regisseur Robert Borgmann, der erstmals am Theater Basel inszenierte, dreht den eher nüchtern-heutigen Zug Schimmelpfennigs ins Fatalistische weiter; im göttlichen Bringer von entgrenzter Lebensfreude, Dionysos, kann er nur eine Heimsuchung der negativen Art sehen, die in der Vernichtung der Opfer endet. Kein Diskurs, der weitere Perspektiven anbietet: Wir folgen einer mit psychedelischen Sounds, Licht- und Bühnenraucheffekten, Videobildern aufbereiteten Erzählung bis zum Niedergang, deren Tragik einzig durch ironische Brechungen gemildert wird.

Die im Text als unschuldig geschilderten Spiele der verzückten Bacchen werden in einem Vorspiel als düsteren Spektakel vorgestellt: Das Ensemble, eben noch scherzend bei Wein und Trauben sitzend, übergiesst sich plötzlich ohne äusseren Anlass mit Theaterblut, verschmiert sich mit Erde, wälzt sich verschlungen im Dreck, bildet einen sinnlich-orgiastisch gestimmten Menschenhaufen. Der Stadtgründer Kadmos schwenkt die schwarze Anarchistenfahne.

Aus dem Chaos hervor tritt Dionysos, der mit seinem Kult Theben erobern will. Die Frauen hat er in die Berge gelockt und zu seinen Verehrerinnen, den Bacchen, gemacht. König Pentheus, der ihn nicht als Gott anbetet, will er eine Lektion erteilen. Thiemo Strutzenberger gibt einen infantilen, zornig aufschreienden Jungdespoten, der später zu einem schillernden, weichlichen Narzissten mutiert: Im weissen Anzug wirkt er wie ein Mittelding zwischen Model, Esoterik-Guru und Kokaindealer.

Ins Chaos stakst das Gegenprinzip im schwarzen Herrenanzug: Ingo Tomi als Pentheus spielt keinen sturen Rechtschaffenen, sondern einen rationalen Managertyp, der aus Machtanspruch Dionysos verhaften und seinen Kult eliminieren will. Wenn ihn die beiden Alten, der Seher Teiresias und der Stadtgründer Kadmos aufhalten wollen, so tun sie es nicht aus frohgemuter Altersweisheit, sondern aus Angst vor Dionysos, und weil der Gott ihnen mit dem Weinrausch die Realitätsflucht ermöglicht: Wie senile Trottel wackeln Steven Höld und Michael Gempart über die Bühne.

Dionysos überlistet Pentheus schliesslich mit dessen Lüsternheit, den Bacchen in den Bergen zusehen zu wollen. Das gehe aber nur getarnt in Frauenkleidern mit Perücke. Borgmann inszeniert die Szene wie eine scheiternde Vermählung indem Pentheus sich immer wieder auf Dionysos stürzt und ihn mit Küssen übersäht. Dazu demütigt er die Figur zusätzlich, indem er Pentheus mit zwischen den Beinen eingeklemmtem Penis vorn übergebeugt über die Bühne trippeln lässt. Ein quälender Anblick; in der Pause verliess eine Reihe von Zuschauern das Theater.

Stellt der Chor im antiken Drama so etwas wie die unveränderliche Volksmitte dar, so dreht Borgmann auch hier bildlich weiter an der Abwärtsspirale: Anfangs sind die beiden Chorfrauen schwärmerische Bacchen, später blutspeiende Amazonen, nach der Pause zynische Höllenschwestern in Goth-Montur.

Borgmann katapultiert im Finale mit einer Reminiszenz an den Science-Fiction-Film "2001 a space odyssey" das Drama in eine Art zeitlosen Meta-Raum, ohne Dreck und Blut, aber mit Biedermeiersofa, mit kultischem Monolithen. Kadmos, gewandet in der Mode von 1790, symbolisiert einen Vertreter der hier hilflosen Aufklärung, der sich auf das Altertum abstützen will.

Ein "Mann" schildert geschockt, wie Pentheus von seiner Mutter Agaue und den Bacchen im Wahn, es sei ein Löwe, zerrissen wurde. Agaue tritt auf mit Pentheus Kopf in den Armen. Als ginge es darum, das Mass voll zu machen, lässt Borgmann Agaue ihren Vater Kadmos erwürgen. Der "Mann" überschüttet die beiden mit Erde und zerhackt den kultischen Monolithen; eine Welt zu Ende, keine Lösung.

Auch wenn die Sprechweise zuweilen bewusst gedehnt wird, die Bilder nicht immer auf Anhieb zu entschlüsseln sind, entwickelt die dreistündige Aufführung einen Sog, der an keiner Stelle abreisst. Das Publikum applaudierte lang und heftig.

12. März 2016
 Ihre Meinung zu dieser Kolumne
(Mails ohne kompletten Absender werden nicht bearbeitet)
Claude Bühler, ist Journalist und Schauspieler in Basel. Er arbeitete erst als Freier Journalist bei Printmedien sowie als Medienverantwortlicher von act entertainment. Lange Jahre war er Redaktor und Produzent bei Telebasel. Heute arbeitet er als Redaktor bei "Prime News". Als Schauspieler war er in verschiedenen Regie-Arbeiten der Basler Schauspielerin und Regisseurin Ingeborg Brun sehen, beispielsweise als Jean in "Fräulein Julie" (A. Strindberg), aber auch als Professor Siebegscheit im Märli "Froschkönig" des Theater Fauteuil oder als Lucky in "Warten auf Godot" (S. Beckett) des Theater Marat Sade. © Foto by OnlineReports.ch

Claude.Buehler@gmx.net

(Die Kolumnisten sind in ihrer Meinung frei;
sie braucht sich nicht mit jener der Redaktion zu decken.)

www.onlinereports.ch
© Das Copyright sämtlicher auf dem Portal www.onlinereports.ch enthaltenen multimedialer Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) liegt bei der OnlineReports GmbH sowie bei den Autorinnen und Autoren. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Veröffentlichungen jeder Art nur gegen Honorar und mit schriftlichem Einverständnis der Redaktion von OnlineReports.ch.

Die Redaktion bedingt hiermit jegliche Verantwortung und Haftung für Werbe-Banner oder andere Beiträge von Dritten oder einzelnen Autoren ab, die eigenen Beiträge, wenn auch mit Zustimmung der Redaktion, auf der Plattform von OnlineReports publizieren. OnlineReports bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen darum, Urheber- und andere Rechte von Dritten durch ihre Publikationen nicht zu verletzen. Wer dennoch eine Verletzung derartiger Rechte auf OnlineReports feststellt, wird gebeten, die Redaktion umgehend zu informieren, damit die beanstandeten Inhalte unverzüglich entfernt werden können.

 

https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif
"Bitte schenken Sie uns 2 Minuten Ihrer Zeit und bewerten Ihren Kontakt."

Swisscom
Bewertungs-Mail an einen Anrufer nach einem Kontakt mit dem Kundendienst am 14. September 2023
https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif

Aber nur, wenn Sie die zehn Minuten in der Warteschlaufe zurückschenken.

RückSpiegel


persoenlich.com vermeldet mit Verweis auf OnlineReports den Wechsel der Basler Journalistin Andrea Fopp von Bajour zur NZZ.

Happy Radio greift den Bericht von OnlineReports über die Deponie Höli Liestal AG auf.

Die Volksstimme bezieht sich in einem Porträt über den freiwilligen Verkehrsregler in Rickenbach, Robert Bussinger, auf einen früheren Artikel von OnlineReports.

Die bz greift den Bericht von OnlineReports über den Eklat am Baselbieter Kantonsgericht mit dem sofortigem Rücktritt eines Vizepräsidenten auf.

Die bz zitiert in ihrem Nachruf auf Hans Rudolf Gysin aus dem OnlineReports-Porträt "Die Hans Rudolf Gysin-Story: Auf der Spur eines Phänomens".

Zahlreiche Medien haben die Nachricht über den Tod von Hans Rudolf Gysin aufgenommen: Basler Zeitung, bz und weitere Titel von CH Media, Prime News, Volksstimme, Bajour, Baseljetzt, SRF-Regionaljournal Basel, Happy Radio, nau.ch.

Weitere RückSpiegel

Werbung






In einem Satz


Götz Arlt tritt am 1. Januar 2024 die Nachfolge von Christian Griss an und übernimmt die Stufenleitung der Sekundarschulen I im Bereich Volksschulen des Erziehungsdepartements Basel-Stadt.

Michael Gengenbacher tritt am 1. Februar 2024 seine neue Stelle als Chief Medical Officer (CMO) und Mitglied der Spitalleitung beim Bethesda Spital an.

Markus Zuber übernimmt am 1. Oktober die Leitung der St. Clara Forschung AG (St. Claraspital).

Das Präsidium der Juso Baselland besteht neu aus Clara Bonk, Angel Yakoub (Vize) und Toja Brenner (Vize).

Am 1. Juni 2024 übernimmt Veronika Röthlisberger die Leitung der Gebäudeversicherung Basel-Stadt von Peter Blumer, der danach pensioniert wird.

Hanspeter Wäspi (57, Rheinfelden) ist neuer Geschäftsleiter von Procap Nordwestschweiz.

Die Leitung der Abteilung Finanzen und Controlling im Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt obliegt ab 1. Dezember Thomas Schneider, der die Nachfolge des Bald-Pensionierten Daniel Hardmeier antritt.

Stefan Binkert wird neuer Rektor des Wirtschaftsgymnasiums und der Wirtschaftsmittelschule Basel; er folgt in dieser Funktion auf Patrick Langloh, der ab 1. Januar 2024 die Leitung des Bereichs Mittelschulen und Berufsbildung im Erziehungsdepartement übernimmt.

Das Co-Präsidium des Jungen Grünen Bündnis Nordwest besteht neu aus Clara Bürge (19, Basel) und Linus Dörflinger (19, Wintersingen).

Jan Blöchliger (Jg. 1977) folgt im August als neuer Vorsteher des Betreibungs- und Konkursamtes Basel-Stadt auf Gerhard Kuhn, der in Pension gehen wird.