Theater Basel, Schauspielhaus
Uraufführung
"Der Menschen Feind"
Autor: PeterLicht nach Molières "Der Menschenfeind"
Inszenierung: Claudia Bauer
Bühne und Kostüme: Patricia Talacko, Dirk Thiele
Musik und Soundscapes: Peer Baierlein
Licht: Anton Hoedl
Dramaturgie: Constanze Kargl
Mit Liliane Amuat, Carina Braunschmidt, Elias Eilinghoff, Mario Fuchs, Florian von Manteuffel, Max Rothbart, Myriam Schröder, Simon Zagermann
Tätowierung auf der Eichel
Für die Szene würde man PeterLichts Menschenfeind-Neuerfindung auch ein zweites Mal besuchen: Alceste gesteht Célimène seine "Superliebe", um ihr in den "ersten Minuten unserer Beziehung" gleich die Trennung zu verkündigen, respektive anzudrohen. "Bei allem nicht vorhandenen Respekt", sie müsse sich ändern, dürfe nicht weiterhin mit anderen Männern "rummachen". Nur so könne sie den "Hass-Anteil" seiner Superliebe "minimieren". Ihr Äusseres sei "kanonenhaft", ihr Inneres aber "unter aller Sau". Dennoch: Noch nie habe es in der Geschichte der Menschheit einen anderen Menschen gegeben, der "so stark geliebt hat wie ich, was ich durchaus bestätigen kann".
Molières Menschenfeind als einen bis ins Groteske gesteigerten Egozentriker, der die Welt dafür verantwortlich erklärt, dass sie ihm auf die Nerven geht: "Ihr lauft mir drauf rum, als ob es Eures wäre, ... aber es ist nicht Eures, es ist meins", ruft er ins Publikum. Selten paart sich Komik und Hintersinn so glücklich über die Widersprüche einer Figur. Die Souffleuse bittet er um Textanschluss, raunzt sie danach an, sie habe ihn unterbrochen – bei einem seiner Endlos-Monologe; vielleicht Regie-Einfall, vielleicht Improvisation aus augenblicklicher Textschwäche, es passt jedenfalls. Oder über ihr Unglück: Draussen der "wundervollste Tag", drinnen er von sich selbst eingesperrt in einem Raum, "der aber ohne meine Anwesenheit ein besserer Raum wäre". Jeder, der sich schon als Einzelgänger fühlte, kennt das.
PeterLicht lotet noch tiefer, um nichts zu finden. In der Eingangsszene, situiert in einen öden Hinterbühnenraum, fordert Alceste von Freund Philinte, er solle etwas Wahrhaftiges sagen. Max Rothbart antwortet ehrlich, er sei Schauspieler: Wenn er den fremden Text aufgesagt habe, gehe er nach Hause. Und Alceste? Wiegt sich in Ideen von "etwas Tieferem", das er nicht nennen kann. Seine Wahrhaftigkeit: demaskiert als Vorstellung. Seine ruppige Ehrlichkeit: Beziehungslosigkeit.
Entgegen PeterLichts ansonsten luzider Charakterisierung wirkt da die gesellschaftliche Aufteilung seines Alceste fast banal: Erstens, die "unokay" sind, zweitens, die "okay" wären, aber nicht bemerken wollten wie "unokay" die Unokayen seien, und drittens, ihm als Einzigem, der es bemerke und der selber okay sei. Wie schon in seiner ersten Molière-Bearbeitung ("Der Geizige", 2010) zeigt der Autor die Leute in anbiedernder Ausdrucksbeschränkung: viel Prolo-Slang, infantilisierende Namensnennung wie Kasti, Céli, Arsi etc.
Mit bitter-melancholischem Humor führt er die Jetzt-Zeit als Pandämonium vor. Oronte, einer der vielen Verehrer Célimènes, hat sich ihr Passfoto in die Eichel tätowieren lassen, und will nun dafür von Alceste bewundert werden. In Célimènes Salon fordert die Abendgesellschaft einen "Handlungsstrang", an den sie sich halten könne, bis einer die "Flüchtlinge" im "Mittelmeer" erwähnt (die Worte werden schamvoll verschluckt): Man solle denen doch Kreuzfahrten statt Schlauchboote verkaufen, das wäre erst richtiger Kapitalismus.
Dass die Leute hier Monsterperücken und barocke Kostüme tragen, soll in der Verfremdung durchaus die heutige Neigung zu oberflächlicher Exzentrik vor Augen führen. In ihrer Gier nach Reizen, wo die Rede von Schmerzmitteln im Endstadium zur Idee eines potentiell tödlichen Sauna-Wettbewerbs wechselt, geht die Gesellschaft zu einem Workshop gegenseitigen Sich-Drückens über, was den Leuten endlich wieder ein Eigengefühl verschaffen soll.
Hier, bei dem Stück, das der Autor fast nur aus Alcestes Perspektive erzählt, wird PeterLicht selber zu Molières Alceste, der mit hochgespannter Sensibilität seine Umgebung analysiert. Seine Figur Alceste jedoch – es wirkt wie Resignation – lässt er, da und dort aufmuckend, mitmachen, ja nach einem Ausbruchsversuch aus der Gesellschaft sogar wieder zurückkehren. Florian von Manteuffel zeigt in seinen besten Momenten, dass sein Alceste die Gefangenheit in sich selbst bemerkt, macht aber im übrigen viele Faxen, die das Publikum erfolgreich auf der Lachspur halten.
Das Ensemble wirft sich mit sichtlichem Genuss in seinen Spielspass. Regisseurin Claudia Bauer hat den Stoff mit teilweise derbem Klamauk, gegen Ende als Komikshow aufbereitet, die manche Nuance glättet oder unter sich begräbt. Aber die Bündelung, die zupackende Formung hat PeterLichts Text wohl auch gebraucht, der szenisch unterschiedlich dicht wirkt. Und der die Monologe und Dialoge allzu oft in allerlei Betrachtungen (Kapitalismus, Pop-Kultur, Feedback-Kultur, Wertefreiheit, Flip Flops im Sommer etc. etc.) im Comedy-Stil von "Das wollte ich auch noch sagen" abschweifen lässt.
15. April 2016