Werbung


Claude Bühler – Premiere am Theater Basel

<< [ 1 | (...) | 61 | 62 | 63 | 64 | 65 | 66 | 67 | 68 | 69 | 70 | (...) | 180 ] >>

Theater Basel, Kleine Bühne
Schweizer Erstaufführung

"Heuschrecken"

Autorin: Biljana Srbljanović
Inszenierung: Miloš Lolić
Bühne: Hyun Chu
Kostüme: Jelena Miletić
Dramaturgie: Almut Wagner
Komposition: Nevena Glušica
Licht: HeidVoegelinLights

Mit Pia Händler, Urs Peter Halter, Barbara Horvath, Katja Jung, Nicola Kirsch, Vincent Leittersdorf, Thomas Reisinger, Lisa Stiegler, Thomas Schweiberer, Michael Wächter


Sohn setzt Vater aus

Es ist furchtbar eng auf der Kleinen Bühne. Eine schwarze Stahlwand begrenzt die Spielfläche zu einem schmalen Streifen, und der ist von brusthohen Quadern durchbrochen, in die allerlei Spielutensilien gepfercht sind. Unter Ächzen und Stöhnen zwängt sich das Ensemble dicht aneinander gedrängt in die Spielkostüme, die Figur, gesellschaftliche Position und Generationenzugehörigkeit verleihen werden. Soviel schon jetzt: Das Ensemble macht die Aufführung sehenswert.

Wenn die Jungen und Alten bald in intimen Duos und Trios um Liebe, Zuwendung oder gesellschaftliche Positionen kämpfen, macht Regisseur Miloš Lolić ausgiebig von einem Kniff Rainer Werner Fassbinders Gebrauch: Immer hören alle zu, oft aus unmittelbarer Nähe, gelegentlich mit verächtlichem Grinsen. Es ist der Kunstgriff von Bühne (Hyun Chu) und Regie zum Paradox, in der Enge die Einsamkeit, in physischer Nähe die Kälte, im Aufeinanderhocken die Trennlinien in der kapitalistischen Hackordnung erkennbar machen zu wollen.

Die erwähnte Stahlwand symbolisiert eine Gesellschaft mit tabuisierter Kriegsvergangenheit. Und die serbische Autorin Biljana Srbljanović zeigt: Diese Vergangenheit dringt in ihrer Heimat mit einem brutalisierten Umgang im Mittelstand durch, in der nun westlich-kapitalistische, moderne Lebensformen die alte Welt ablösen. Sohn Fredi setzt seinen pflegebedürftigen Vater irgendwo auf dem Land aus, denn der hatte ja eh sein Schwulsein nicht akzeptiert. TV-Star Maks siezt seine Liebhaberin Nadezda, denn die ist ja nur Maskenbildnerin. Die Ärztin Zana wirft ihre Mutter aus der Wohnung; diese hatte sich, man kann es rücksichtslos finden, unangemeldet bei ihrer Tochter einquartiert.

Der serbische Regisseur gibt sich bei seiner ersten Schweizer Inszenierung Mühe, die tragikkomischen Szenen, deren (zuweilen derben) Humor wir hier am Ehesten noch von den Filmen Emir Kusturicas kennen, möglichst allgemeingültig darzustellen. Soweit es die Generationenkonflikte, die schiefen Liebesannäherungen betrifft, geht das Konzept auf. Gerade die Mutter-Tochter-Szene gelingt besonders eindringlich.

Aber insgesamt blickt man auf eine Welt, deren Hintergründe sich im Interview mit der Autorin (Programmheft) nachlesen oder aus den anspielungsreichen Dialogen erschliessen lassen, für die uns aber die Reflexe einer erlebten Geschichte fehlen. Vielleicht wurde das Stück von 2005 auch deshalb nicht früher in der Schweiz aufgeführt.

Die Serben leben eben noch heute mit den Realitäten von Polizeimännern wie Milan, die im "Süden" waren und dann "pensioniert" wurden: Das heisst, sie haben dort Kriegsverbrechen begangen. Oder dass der alte Herr Simic keine Stellung mehr auf der Universität bekommt: Weil er zum falschen Zeitpunkt Kommunist war. Dass ihm das gleichaltrige Akademiemitglied Ignjatovic nicht hilft: Weil er eben zum richtigen Zeitpunkt Kommunist war und seine eigene unsaubere Geschichte lieber ruhen lassen möchte.

Solche Zusammenhänge lassen sich auch deshalb nicht in der Tiefe mitfühlen, weil den Szenen auf ihre Kerninhalte eingekürzt die leiseren Zwischentöne fehlen und das Bühnenbild  für intime, ungestörte Atmosphäre zu wenig Platz bietet. Besonders bitter wird das bei der Szene fühlbar, in der Simic eben Ignjatovic um Unterstützung bittet, und der sich lieber mit seiner Enkelin Alegra abgibt: ein Demütigungsakt zwischen zwei einstigen Freunden. Aber aus der subtilen Szene wird hier ein Stück Klamauk.

Srbljanovićs Regieanweisungen betonen verborgene Seiten beim Personal, die nun in der Betriebsamkeit wenig Chancen haben. Das ist bedauerlich, die Leute verlieren ihr tragisches Potential. Das wäre notwendig, denn wer das Stück liest, muss sagen: Es ist kälter, härter, abgründiger, letztlich ernster gedacht. Unverkennbar wollte uns die Autorin mit Realitäten konfrontieren, politischen und psychologischen. Die Regie spielt von Beginn weg Komödie, wattiert so die Realitäten aus.

Regie und Dramaturgie stellen eher ein gesellschaftliches Panorama als psychologisch ausgeformte Figuren hin und besetzten diese bis auf eine Ausnahme ohne Rücksicht auf das Alter. Diese Ausnahme bildet Fredis und Dadas Vater: Wenn Fredi ihn am Ende abduscht, wird der zerbrechliche, entblösste Alte zur Ikone eines gedemütigten Schmerzensmannes, der vielleicht weniger wegen Demenz, sondern wegen der verhärteten Gesellschaft verstummte.

Die Kostüme dienen nicht als Illusionshilfe, sondern sollen nur Funktion und Alter kenntlich machen; die Schauspieler (Frauen mitgemeint) spielen sich (weitgehend) selbst, als sich selbst in die dramatische Lage eingefügt. Aber das vollführen sie (fast alle) glänzend, über Strecken virtuos, dass die Aufführung trotz aller Einwände zur Regie zu einem Erlebnis wird.

Erwähnt seien Thomas Reisinger als TV-Star Maks, der seine angstgetriebene Karriere-Geilheit charmant einzubetten weiss. Katja Jung als zehnjährige Alegra: eine infantile Tyrannin und doch Opfer. Pia Händler als medial begabte Maskenbildnerin Nadezda: Die Gutmütigkeit hilft ihr, nicht zum Opfer zu werden. Thomas Schweiberer lässt als intriganter Sohn Mitgefühl durchblicken. Vincent Leittersdorf als Milan: ein stumpf blickender Ausgestossener in Bomberjacke. Schliesslich Nicola Kirsch: viel zu intelligent für die Wetteransagerin Dada, einnehmend mit ihrer spielerischen Agilität.

23. April 2016
 Ihre Meinung zu dieser Kolumne
(Mails ohne kompletten Absender werden nicht bearbeitet)
Claude Bühler, ist Journalist und Schauspieler in Basel. Er arbeitete erst als Freier Journalist bei Printmedien sowie als Medienverantwortlicher von act entertainment. Lange Jahre war er Redaktor und Produzent bei Telebasel. Heute arbeitet er als Redaktor bei "Prime News". Als Schauspieler war er in verschiedenen Regie-Arbeiten der Basler Schauspielerin und Regisseurin Ingeborg Brun sehen, beispielsweise als Jean in "Fräulein Julie" (A. Strindberg), aber auch als Professor Siebegscheit im Märli "Froschkönig" des Theater Fauteuil oder als Lucky in "Warten auf Godot" (S. Beckett) des Theater Marat Sade. © Foto by OnlineReports.ch

Claude.Buehler@gmx.net

(Die Kolumnisten sind in ihrer Meinung frei;
sie braucht sich nicht mit jener der Redaktion zu decken.)

www.onlinereports.ch
© Das Copyright sämtlicher auf dem Portal www.onlinereports.ch enthaltenen multimedialer Inhalte (Text, Bild, Audio, Video) liegt bei der OnlineReports GmbH sowie bei den Autorinnen und Autoren. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Veröffentlichungen jeder Art nur gegen Honorar und mit schriftlichem Einverständnis der Redaktion von OnlineReports.ch.

Die Redaktion bedingt hiermit jegliche Verantwortung und Haftung für Werbe-Banner oder andere Beiträge von Dritten oder einzelnen Autoren ab, die eigenen Beiträge, wenn auch mit Zustimmung der Redaktion, auf der Plattform von OnlineReports publizieren. OnlineReports bemüht sich nach bestem Wissen und Gewissen darum, Urheber- und andere Rechte von Dritten durch ihre Publikationen nicht zu verletzen. Wer dennoch eine Verletzung derartiger Rechte auf OnlineReports feststellt, wird gebeten, die Redaktion umgehend zu informieren, damit die beanstandeten Inhalte unverzüglich entfernt werden können.

 

https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif
"Bitte schenken Sie uns 2 Minuten Ihrer Zeit und bewerten Ihren Kontakt."

Swisscom
Bewertungs-Mail an einen Anrufer nach einem Kontakt mit dem Kundendienst am 14. September 2023
https://www.onlinereports.ch/fileadmin/templates/pics/gelesen.gif

Aber nur, wenn Sie die zehn Minuten in der Warteschlaufe zurückschenken.

RückSpiegel


persoenlich.com vermeldet mit Verweis auf OnlineReports den Wechsel der Basler Journalistin Andrea Fopp von Bajour zur NZZ.

Happy Radio greift den Bericht von OnlineReports über die Deponie Höli Liestal AG auf.

Die Volksstimme bezieht sich in einem Porträt über den freiwilligen Verkehrsregler in Rickenbach, Robert Bussinger, auf einen früheren Artikel von OnlineReports.

Die bz greift den Bericht von OnlineReports über den Eklat am Baselbieter Kantonsgericht mit dem sofortigem Rücktritt eines Vizepräsidenten auf.

Die bz zitiert in ihrem Nachruf auf Hans Rudolf Gysin aus dem OnlineReports-Porträt "Die Hans Rudolf Gysin-Story: Auf der Spur eines Phänomens".

Zahlreiche Medien haben die Nachricht über den Tod von Hans Rudolf Gysin aufgenommen: Basler Zeitung, bz und weitere Titel von CH Media, Prime News, Volksstimme, Bajour, Baseljetzt, SRF-Regionaljournal Basel, Happy Radio, nau.ch.

Weitere RückSpiegel

Werbung






In einem Satz


Götz Arlt tritt am 1. Januar 2024 die Nachfolge von Christian Griss an und übernimmt die Stufenleitung der Sekundarschulen I im Bereich Volksschulen des Erziehungsdepartements Basel-Stadt.

Michael Gengenbacher tritt am 1. Februar 2024 seine neue Stelle als Chief Medical Officer (CMO) und Mitglied der Spitalleitung beim Bethesda Spital an.

Markus Zuber übernimmt am 1. Oktober die Leitung der St. Clara Forschung AG (St. Claraspital).

Das Präsidium der Juso Baselland besteht neu aus Clara Bonk, Angel Yakoub (Vize) und Toja Brenner (Vize).

Am 1. Juni 2024 übernimmt Veronika Röthlisberger die Leitung der Gebäudeversicherung Basel-Stadt von Peter Blumer, der danach pensioniert wird.

Hanspeter Wäspi (57, Rheinfelden) ist neuer Geschäftsleiter von Procap Nordwestschweiz.

Die Leitung der Abteilung Finanzen und Controlling im Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt obliegt ab 1. Dezember Thomas Schneider, der die Nachfolge des Bald-Pensionierten Daniel Hardmeier antritt.

Stefan Binkert wird neuer Rektor des Wirtschaftsgymnasiums und der Wirtschaftsmittelschule Basel; er folgt in dieser Funktion auf Patrick Langloh, der ab 1. Januar 2024 die Leitung des Bereichs Mittelschulen und Berufsbildung im Erziehungsdepartement übernimmt.

Das Co-Präsidium des Jungen Grünen Bündnis Nordwest besteht neu aus Clara Bürge (19, Basel) und Linus Dörflinger (19, Wintersingen).

Jan Blöchliger (Jg. 1977) folgt im August als neuer Vorsteher des Betreibungs- und Konkursamtes Basel-Stadt auf Gerhard Kuhn, der in Pension gehen wird.