Wenn mein Herz ohne mich weiterschlägt
Kürzlich suchte ich eine dieser Karten, Sie wissen schon: Bankkarte, Masterkarte, Maestrokarte, Visakarte, Identitätskarte, PostFinance Karte, Cumuluskarte, Supercard, Manorkarte, Ochsnersportkarte, Nespressokarte, Krankenkassenkarte. Ich fand sie schliesslich, die gesuchte.
Und noch eine fand ich, aus dünnem Karton: meinen Organspende-Ausweis, datiert 23. Juli 1989. Seit dreiunddreissig Jahren begleitet er mich, mein halbes Leben lang. Der Gedanke, gesunde Organe, die Leben retten können, den Würmern zum Frass vorzulegen, fand ich damals unerträglich und finde es noch immer. Es ist für mich tröstlich zu wissen, dass ein Teil von mir weiterleben darf, Leben rettet, ganz ohne mich.
Das sehen nicht alle so. Sie ziehen es vor, ihre gesunden Organe zu zerstören. Haben sie Angst davor, bei lebendigem Leib ausgenommen zu werden? Davor, dass sich die Seele nicht in Ruhe entfernen kann? Kann sie das denn nicht bei einem Unfall oder anderem, plötzlichen, traumatischen Tod? Es sind irreale, irrationale Ängste. Spenderorgane werden erst entnommen, wenn der Hirntod zweifelsfrei und irreversibel festgestellt worden ist.
Damit dies gelingt, muss rasch gehandelt werden, denn gesunde Organe einer verstorbenen Person können nicht lange konserviert werden. Nur zu oft gelingt es nicht, rechtzeitig einen Spenderausweis zu finden oder Hinterbliebene zu befragen, und dann sind die Organe verloren.
"Jeder Mensch soll das Recht haben, eine
Organentnahme zu verbieten."
Die psychische Belastung der Hinterbliebenen, die in ihrer tiefen Trauer unter Zeitdruck entscheiden müssen und ihre Überforderung machen es auch für die Ärztinnen und Ärzte schwer. Aber da ist ein sterbender Mensch, der gerettet werden könnte, mit einem neuen Organ, dem Organ eines Menschen, der gerade aufgehört hat, zu leben. Und dessen Hinterbliebene fassungslos dastehen und entscheiden müssen.
Es soll jeder Mensch das Recht haben, eine Organentnahme zu verbieten. Sein Widerspruch gegen die Organentnahme wird in einer zentralen, rasch konsultierbaren Datenbank erfasst. Ist kein Widerspruch erfasst, dürfen gesunde Organe entnommen werden und Leben retten.
Eine Vielzahl derer, die mit gesunden Organen sterben, hat gar nicht über eine Spende nachgedacht. Sie hätten nichts dagegen, aber extra einen Spenderausweis auf sich zu tragen, war zu kompliziert. Und so gehen gesunde Organe auch dann verloren, wenn der oder die Verstorbene eine Spende gewollt hätte.
Wer hingegen keine Organentnahme will, hat sich intensiv mit dem Thema befasst. Auch mit dem Konflikt, ob er als Empfänger oder für seine Kinder im Notfall auf eine lebensrettende Spende verzichten würde. Es ist ihm zuzumuten, seinen Widerspruch eintragen zu lassen.
Es sterben tagtäglich unzählige Menschen, weil sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhalten, Menschen, die noch eine Chance auf ein Leben gehabt hätten, junge Menschen, mit noch kleinen Kindern, die jahrelang leiden, in die Dialyse müssen, schliesslich sterben. Das kann doch nicht sein.
Deshalb ein Ja zur Widerspruchslösung. Damit wir wissen, dass zumindest unser Herz für einen andern Menschen weiterschlagen darf, wenn wir selbst von dieser Erde müssen.
Meinen Organspender-Ausweis von 1989 finden Sie übrigens zwischen Postcard und ID, im Organspende-Register eingetragen bin ich auch, und meine Töchter wissen Bescheid. Aber bald wird ein Blick ins Widerspruchsregister genügen, hoffentlich.
9. Mai 2022
"Neuen Begriff 'Hirntod' kreiert"
Es gibt auch Menschen, die verunfallen und bewusstlos als hirntot erklärt werden. Bei lebendigem Leib werden ihnen die Organe entnommen, denn wenn sie tot sind, sind auch die Organe tot. Sie müssen also noch lebenden Menschen entnommen werden, daher hat man neu den Begriff Hirntod kreiert. Er ermöglicht gute Geschäfte durch eine Organentnahme an noch lebenden Menschen. Den Chinesen wird nachgesagt, ob zu Recht oder Unrecht, dass sie ihren politischen Gefangenen Organe entnehmen und zum Beispiel in die USA weiterverkaufen. Wenn Andrea Strahm ihre Organe verkaufen will, dann bitte. Ob sie noch viel wert sind, bleibe dahingestellt.
Alexandra Nogawa, Basel
"Plötzlich muss man elementarste Grundrechte einfordern
Sehr geehrte Andrea Strahm, mit Interesse habe ich Ihre Ausführungen zur anstehenden Abstimmung über die "Widerspruchslösung" hinsichtlich Organtransplantationen gelesen. Allerdings zweifle ich, ob Sie verstanden haben, was man dagegen einwenden kann. Sie schreiben: "Deshalb ein Ja zur Widerspruchslösung. Damit wir wissen, dass zumindest unser Herz für einen andern Menschen weiterschlagen darf, wenn wir selbst von dieser Erde müssen."
Aber – mit Verlaub – darum geht es gar nicht! Das Hauptargument, das mich bewogen hat, ein Nein in die Urne zu legen, ist, dass ich den Übergang von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung problematisch, ja falsch finde. Es kann doch nicht sein, dass ich plötzlich elementarste Grundrechte (das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Selbstbestimmung, was mit mir und meinem Körper passieren darf) aktiv reklamieren muss, ansonsten ohne weiteres angenommen wird, dass ich darauf verzichte. Das ist in meinen Augen völlig verkehrt.
Kommt das Argument dazu (auch von Ihnen erwähnt), dass durch den Wechsel von der Zustimmungs- zur Widerspruchlösung Angehörige entlastet werden. Das kann ich nicht verstehen (und glaube es auch nicht): Wie ich las und hörte, werden auch bei der Widerspruchslösung Angehörige um ihre Zustimmung befragt. Ihnen kommt nach wie vor eine zentrale Bedeutung zu (sind Angehörige nicht bekannt oder nicht erreichbar, darf keine Organentnahme erfolgen!). Wo ist da die Entlastung?
Dass in der Schweiz zu wenige Organe für eine Transplantation zur Verfügung stehen, ist unbestritten, und es ist genauso unbestritten, dass ich diesen Umstand bedaure und es den Vielen, die auf ein geeignetes Organ warten, von Herzen gönnen würde, wenn mehr Organe zur Transplantation verfügbar wären. Die Widerspruchslösung ist da aber nach meiner Einschätzung nicht das geeignete Vorgehen – man müsste meines Erachtens viel eher die Informationen über das Thema fördern zusammen mit der Ermunterung, sich damit zu befassen und einen individuellen Entscheid zu fällen.
Florian Suter, Basel