Gar nichts, schon gar nicht Fasnacht
Auf einmal waren die Tiere da, als Franz Hohler einst an seinem Schreibtisch sass. Adler, Hirsche, Wölfe, mitten in der Stadt. Es wurden immer mehr, unaufhaltsam. Die Natur, die verdrängte, schlug zurück, unerbittlich.
Wie die Fasnacht in Basel, die menschgemachte Naturgewalt. Liess sich nicht ausrotten, lag bloss im Dämmerschlaft, ist wieder da. Kein Cortège, aber Fasnacht.
Voll war Frau Fasnacht nicht zurück, noch rieb sie sich den Schlaf aus den Augen. Ein bisschen taumelnd, suchend. Der grauenhafte Krieg in der Ukraine und die wieder stark steigenden Ansteckungszahlen von Corona haben sichtlich Spuren hinterlassen. Die grosse Party blieb aus, der überwältigte Freudentaumel über die wiedererreichte Normalität war es nicht.
Da ist noch keine Normalität, da sind noch Wunden, da ist viel Nachdenklichkeit. Was hat die Pandemie mit uns gemacht, was macht dieser schreckliche Krieg noch mit uns?
"Es geht um Fakten versus Fake News,
es geht um Ukraine versus Putin."
Einige der Aktiven haben die schwierigen Themen zum Teil und in letzter Minute noch versucht umzusetzen, und einigen gelang dies grossartig. Andere haben sie ignoriert. So hat sich ein mancher Schnitzelbank mutlos mit Sprüchen gegen Zürcher oder Deutsche auf ausgelatschten Trampelpfaden bewegt.
Das kam sichtlich schlechter an als auch schon. Denn eines haben die vergangenen Jahre und hat die gegenwärtige Krise bewirkt: Man ist ein stückweit zusammengewachsen. Es geht nicht um Basel gegen Zürich. Es geht um Fakten versus Fake News, es geht um Ukraine versus Putin.
Fasnacht ist in Basel zynisch, sarkastisch, böse, Fasnacht muss zustechen, auf den Punkt bringen, anprangern. Fasnacht war in Basel noch nie nett, und soll es, um Himmels Willen, auch nie werden. Die Larve erlaubt es, Klartext zu reden, in aller Schärfe, kreativ und originell. Mit Pauken und Trompeten, in aller Ehrlichkeit und ohne Konsequenzen. «Gäll de kennsch mi nid».
In wunderschöner Verpackung zudem, in früheren Jahren, Tambouren und Pfeifer, Guggen und Wäägeler. Das kam in diesem Jahr zu kurz. Zwar fand eine Art Cortège statt, die Passiven säumten die Freie Strasse, einige wunderschöne Formationen zogen durch. Aber es bot sich nicht das gewohnte, witzige, ästhetisch abgerundete Bild der Aktiven mit einer Formation nach der andern, einem Feuerwerk von Kompositionen aus Laternen, Requisiten und Kostümen.
Es war, mit Verlaub, ein Hühnerhaufen, der da herumirrte. Das Comité hat sichtbar gefehlt. Viele Aktive liefen ohne Larve und Perücke durch die Gegend. Riesenweiber mit Riesenbusen und oben ragte ein glatzköpfiges Männerköpfchen heraus. Ein Waggis, aber vom Hals an aufwärts Tussi mit geishamässigem Make-Up. Nicht schön. Nicht witzig. Gar nichts, schon gar nicht Fasnacht.
Aber verständlich. Es war ein Sehen und Gesehenwerden, und nicht ein «Gäll de kennsch mi nid». Ich bin noch da, und du? Wie ist es dir gegangen? Es war ein Suchen, ein Finden, ein Wiederfinden und Wiedersehen. Dazu mussten sich auch die Aktiven sichtbar machen.
Das Alltägliche, so schrieb es einst die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zur Erzählung von Franz Hohler, hat jene Sprünge erhalten, die nachdenklich stimmen. Das trifft es auch hier. Aber die Fasnacht stand immer wieder auf, Phoenix aus der Asche. Der Anfang ist gemacht.
14. März 2022
"Wir reden später nochmals darüber"
Lieber Herr Handschin, Sie beschreiben die Sache völlig richtig, aber eben völlig richtig dramatisch: Uns Wohlstandsverwahrlosten ist offenbar alles egal, solange es uns nicht trifft und bevorzugen stattdessen Diskussionen über unsere "Werteordnung", offenbar ein "Exportschlager" erster Güte! Aber warten Sie ab, wie sich eine Gesellschaft mit mangelhafter Empathie entwickeln wird; wir reden dann später nochmals darüber. Haben Sie im übrigen mitbekommen, dass Schätzungen davon ausgehen, das 90 Prozent der Ukrainer künftig in Armut leben werden? Geht das ebenso an Ihnen und uns vorbei?
Dieter Troxler, Rünenberg
"Ist das alles weniger schlimm?"
Werter Herr Troxler, ich kann Ihre Befindlichkeit verstehen. Ihr Blick aber ist sehr eng. Es herrscht schon überall auf der Welt Krieg und Elend. Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind an Hunger. Wir haben uns daran gewöhnt, dass flüchtende Menschen im Mittelmeer ertrinken. Ist das alles weniger schlimm als der grausame Krieg in der Ukraine? Dieser Krieg beherrscht jetzt alle Schlagzeilen, als würde all das andere Elend nicht existieren. Jede Stunde müsste es in den Nachrichten heissen: wieder sind 720 Kinder verhungert. Jeden Morgen: Gestern sind wieder 17'000 Kinder verhungert. Das heisst, auf jede Fasnacht und jegliche Feierlichkeiten sollte verzichtet werden. Und den Leidenden geht es dann besser?
Lars Handschinn, Basel
"Diese Fasnacht zu feiern, war obszön"
Nach meinem Gusto hätte Andrea Strahm deutlicher formulieren müssen und können. Dass mitten in einer humanitären Katastrophe zufolge der putinschen (nicht russischen) Invasion in die Ukraine die Basler Fasnacht feiern, halte ich für obszön.
Ich erinnere mich noch gut, wie lange die Gedenkzeit an den Zweiten Weltkrieg dauerte und diese geschichtlichen Katastrophe auch im Volk mit Respekt begegnet wurde.
Irgendwie scheinen heute aber Kriegsbilder – auch wenn sie sich vor der eigenen Haustüre ereignen – quasi als Konsumgut, ohne weiterreichende Konsequenzen. Dass die Basler Regierung nicht zur Besinnung statt Fasnacht aufgerufen hat, ist ja leicht nachvollziehbar, hocken doch die meisten selbst in massgeblichen Zünften oder dachten wohl eher an kommende Wahlen: wer wählt schon einen Kandidaten, der zur Besinnung statt Basler Fasnacht aufruft?
Dieter Troxler, Rünenberg