Weg mit dem Grümpel am Strassenrand!
Ich komme ganz nach Urgrossmutter Widmer-Plüss, sagt meine Mutter. Da wir einen weit verzweigten Stadtbasler Clan haben, findet sie stets jemanden in der Ahnengalerie, nach dem ein Sprössling geraten ist. Eine meiner Cousinen etwa ist ganz Urgrossmutter Danzeisen-Stöckli, Oetlingerstrasse 75, weisst du die, die mit den Dalangs befreundet waren. Ich weiss gar nichts, das war zu Zeiten des Ersten Weltkrieges. Dalangs machten Nudeln, mein Urgrossvater war Chef Druck und Versand bei den "Basler Nachrichten", wahrscheinlich hat die beiden Familien das Plattwalzen von Papier und Teig verbunden. Aber ich schweife ab.
Urgrossmutter Widmer-Plüss also. Sie hatte zwölf Kinder, ging auf die Gant und den Flohmarkt, und konnte feilschen, was das Zeug hielt. Und ja, ich bin auch ein Secondhand-Junkie. Früher klapperte ich den Sperrmüll ab und kam so zu einer stattlichen Sammlung alter Blechbüchsen. Nun sind es die Flohmärkte, auf denen ich herumschnüffle, und auch mit Ricardo führe ich eine innige Beziehung.
Inzwischen kann ich mich immerhin damit herausreden, dass Secondhand ökologisch ist. Es macht aber vor allem Spass. Alte Dinge haben ein Leben, Spuren, eine Geschichte – auch Secondhand-Kleider, was meine Mutter entsetzt: Brandneu und letzte Mode musste bei ihr alles sein. Sie kam halt nicht nach Urgrossmutter Widmer-Plüss.
"Dieses 'Gratis!! Zum Mitnehmen!!'
ist nichts anderes als illegale Entsorgung."
Mein Spleen hat aber seine Grenzen. Dort nämlich, wo mich auf Schritt und Tritt Zeug auf dem Trottoir verfolgt, das als "Gratis!!" oder "Zum Mitnehmen!!" gekennzeichnet ist. Mit unzähligen Ausrufezeichen. Von der Matratze bis zur gesprungenen Vase steht alles da rum, angebrannte Pfannen, vergilbte Bücher, Spielzeug, alles.
Das müsste mein Flohmi-Herz eigentlich hüpfen lassen. Tut es nicht, ich bin nicht in Dauerstöberlaune, will nicht um jede Ecke alten Grümpel aufgedrängt erhalten. "Gratis!" ist denn hier vor allem die Entsorgung. Nimmt das keiner "gratis!" mit, steht es tagelang herum, im Regen, zerpflückt, in aufgeweichten Schachteln. Dieses "Gratis!! Zum Mitnehmen!!" ist Tat und Wahrheit nichts anderes als illegale Entsorgung und eine Zumutung.
Kürzlich ging ich in der Nähe der Pauluskirche an einem wunderschönen Haus vorbei, bei dem über der umgebenden Mauer ein fixes, wetterfestes "Gratis!" Schild angebracht war. Die Bewohner haben die Gratis-Entsorgung sozusagen institutionalisiert, extra einen Ort auf ihrer Mauer definiert und markiert. Stellen alles Überflüssige mal hin, findet sich ja vielleicht ein Depp, der das mitnimmt. Gratis!!
Nein, mein Flohmi-Herz schlägt nicht höher, ganz und gar nicht. Zunächst sieht es potthässlich aus, wenn entlang den Häusern derartiger Schrott herumliegt. Ob Fisher-Price Kinderküche oder Regal: es gehört da nicht hin. Es gibt Flohmärkte, Brockenhäuser, Ricardo, Tutti, Anibis, Facebook, es gibt unzählige Möglichkeiten, noch brauchbare Dinge loszuwerden. Und es gibt noch immer Sperrgut für alles, was unbrauchbar ist und nicht in den üblichen Müllsack passt. Entsorgung kostet, also mit Vignette auf das Trottoir damit, und zwar dann, wenn Abfuhr ist. Nur dann.
Meine Urgrossmutter Widmer-Plüss hätte wohl "Das gheert sich nid!" gerufen, ihre aufgearbeiteten Secondhand-Röcke gerafft und wäre mit erhobener Nase vorbeigerauscht. Ausser sie hätte aus den Augenwinkeln eine Trouvaille erblickt, natürlich. Was ich mir verkneife. Alles was recht ist, man hat doch seinen Stolz, von und zu Basel.
11. April 2022
"Ein Weg aus der Wegwerfgesellschaft"
Wenn es gerade nicht genug Mist auf der Welt gäbe, worüber man sich Sorgen machen müsste, dann würde mich die Meinung von Frau Strahm in dieser Sache tierisch ärgern. Weil erstens glaube ich, dass die Kolumnistin noch nie ein Möbelstück oder ein gebrauchtes Badekästchen der Brockenstube vorbeigebracht hat. Das ist nämlich meist unmöglich, da diese Institutionen auch nicht mehr alles annehmen, was da geliefert wird (wir haben das bei der Wohnungsauflösung unseres verstorbenen Vaters gesehen: Am Schluss half nur noch eine 4 m3-Mulde).
Zweitens ist das eine wunderbare Gelegenheit, der Wegwerfgesellschaft, über die wir uns bei jeder Gelegenheit ärgern, die Stirn zu bieten. Warum kann nicht jemand zwei Bar-Stühle brauchen, die ich nicht mehr einsetzen kann? Und drittens gibt's eine ganze Menge Leute, die gerne in solchen "illegalen Deponien" wühlen, um ein Schnäppchen zu machen. Klar, manchmal kommen diese Menschen im weissen Lieferwagen mit französischer Nummer. So what!
Und viertens: Eine Nachbarin von uns hat das Haus ihrer Mutter mittels "Flohmarkt-System" leeren wollen und hat den Fehler gemacht, zu inserieren: Sie hat erlebt, was er heisst, sich mit der professionellen Schnäppchen-Jäger-Gilde anzulegen! Und dann noch fünftens: Wenn Frau Strahm sich über Menschen mit roten Haaren ärgern würde, dann sähe sie jeden Tag Dutzende davon. Es ergeht ihr genau so, mit den "Gratis"-Schildern: Ihrer Kolumne zu Folge, gibt's solche Schilder tausendfach.
P.S. Bitte meiden Sie in nächster Zeit den Grenzacherweg in Riehen. Ich mache eine Frühjahrsräumung.
Daniel Thiriet, Riehen
"Schon oft froh um Gratisersatz"
Ich war schon oft froh um sofortigen Gratisersatz von zerschlagenem Geschirr. Vor allem wenn man ausnahmsweise einen anderen Weg nach Hause nahm. In Freien Strasse lagen in einer Mulde grosse Mengen guter stabiler Bügel.
Michael Przewrocki, Basel
"Voll im Sinne der Stadtreinigung"
Bravo Strau Strahm! Sie schreiben voll im Sinne der Stadtreinigung Basel-Stadt!
Barbara Wilhelm, Basel
"Dann kamen die Lieferwagen aus dem Elsass"
Das waren halt noch Zeiten, als "Entsorgung" noch zum "service public" gehörte, der aus Steuergeldern finanziert wurde. Das hat unsere liebe "Staatsmacht" durch Kostenpflicht und Strafandrohung ersetzt, wobei letzteres – einmal mehr – nicht wirklich durchgesetzt werden kann. Weil es halt etwas kostet, ein Gesetz durchzusetzen. Und ob der vielen neuen Gesetze ist Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz längst überlastet, die Gefängnisse teuer und ausgelastet.
Leuten, die kein Geld haben, teure Gerichtskosten und Bussen aufzubrennen, beschäftigt am Ende auch nur das Betreibungsamt. Und so zahlen unsere Steuergelder halt nicht mehr die Entsorgung, sondern die Polizei, Justiz und das Betreibungsamt.
Das waren halt noch Zeiten, als man an zwei Tagen im Jahr den ganzen Sperrmüll "gratis" am Abend auf die Strasse stellen durfte. In der Nacht kamen dann die kleinen Last- und Lieferwagen aus dem Elsass, die alles Brauchbare einsammelten. Zuhause putzten und reparierten sie es dann, um es beim nächsten marché de puces den Baslern wieder zu verkaufen, denen das Flohmi-Herz dabei fröhlich höher schlug.
Peter Waldner, Basel