Der Drucker machts vor
Es geht nichts, Papierstau. Dabei wollten Sie, schon im Mantel, nur noch rasch den Text ausdrucken, den Sie nachher benötigen. Also geht es dem Drucker an die Eingeweide, Klappen auf und zu, Neustart, das ganze Programm, nirgendwo steckt Papier fest, kein bisschen. Nervenkrise, schliesslich wird der Text mit dem Handy vom Bildschirm fotografiert, die Zeit drängt, Sie stürmen aus der Wohnung – und dann rasselt das Ding doch noch los. Politik im Alltag.
Der Grosse Rat entscheidet dies und das, und die Regierung sollte umsetzen. Aber das dauert, denn zuerst schreibt sie einen Bericht. Damit sie den erstellen kann, benötigt sie Spezialisten und Expertinnen und Analysen und Umfragen. Deren Fazit bedarf dann der Auswertung, und es folgt die Ausarbeitung des Berichts mit vielen Bildern, in lesbarer Schrift mit lesbar langen Sätzen. Dazu eine weichspülende Medienmitteilung.
Alles wird schliesslich, nach vielen Monaten, mit warmer Stimme vorgetragen, endlich. Gleiches Vorgehen nach Debakeln aller Art: Die Aufarbeitung der Ereignisse erfolgt durch externe, unglaublich kompetente Beratungs- und Analyseteams. "Lessons learned", passiert nie wieder, wir haben es begriffen. Sagt die Regierung.
Gutachten vor Gericht sind ein Dauerthema, vor allem dann, wenn letztlich der Gutachter das Urteil fällt, und nicht das Gericht.
Das mit den Expertinnen kennen wir vom Gericht, dort heissen sie Gutachter. Reicht die versierte Anwältin eine Klage beim Gericht ein, dann legt sie ein Gutachten bei, das von einem Experten verfasst wurde, der jahrelange Erfahrung bei was auch immer hat und die Klage in allen Punkten und noch vielen weiteren abschliessend und umfangreich bestätigt.
Das kitzelt den Kollegen Gegenanwalt, und nach Ausschöpfung aller Fristerstreckungsmöglichkeiten reicht auch er, zusammen mit seiner Widerklage, ein Gutachten eines Spezialisten mit Professorentitel ein, das sämtliche Punkte der Klage in jeglicher Hinsicht widerlegt und der Widerklage fünf von fünf Sternen gibt.
So geht das dann weiter, schliesslich entscheidet das Gericht, dass ein gerichtliches Gutachten bei einer Expertin mit zwei Professuren zu erstellen ist. Vielleicht kommt dann noch ein Antrag auf ein Obergutachten. Bref, irgendwann ist die Sache verjährt, wenn nicht mit viel Glück doch noch ein Urteil gefällt wird.
Gutachten vor Gericht sind ein Dauerthema, und dies vor allem dann, wenn letztlich der Gutachter das Urteil fällt, und nicht das Gericht, weil dem Gericht nach all dem Theater nur noch der Kopf raucht und es sich auf das letzte und oberste aller Obergutachten verlässt.
Die Regierung macht weniger Umstände, sie begnügt sich in der Regel mit einer einzigen Analyse, dafür dauert es länger, bis der Bericht da ist. Denn erst müssen der Auftrag an die Experten-Spezialistin und die Fallstricke definiert und eliminiert werden. Dann geht es an die Arbeit, und die Sachkundigen liefern ihren ersten Bericht. Dieser muss noch überarbeitet und aufgerüscht werden.
Die Expertise erlaubt es, die Vorlage nicht so wahnsinnig gründlich durchlesen zu müssen.
Aber schliesslich ist es vollbracht, die Wahrheit liegt auf dem Tisch, schonungslos. Dabei wissen wir es: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Die Namen der Spezialistinnen, Experten und Fach- und Sachkundigen aller Art sind immer wieder die gleichen, man kennt sich. Aber egal, Medienmitteilung, und alle lehnen sich erleichtert zurück.
Das Parlament goutiert das. Denn die Expertise – extern, da glaubwürdiger – erlaubt es, die Vorlage nicht so wahnsinnig gründlich durchlesen zu müssen. Wenn der Fach- und Sachmensch, Experte, spezialisierter als das ganze Rathaus, dies so sagt, dann ist es auch so. Dennoch bleibt die beunruhigende Frage: Wer regiert denn nun wirklich, wer legiferiert? Regierung und Parlament, oder etwa doch Mediensprechende, Gutachterinnen und Experten? Was ist wirklich geschehen, was ist wirklich Sache?
Der Drucker druckt am Ende nach dem Papierstau genau das, was er drucken soll. Ob es die Spezialistin, der Experte, das Gutachterteam, die Kommunikationsfirma und der Medienbeauftragte ebenso machen? Es muss nicht immer alles gesagt werden. Zuweilen reicht es, zu schweigen. Und einfach nur das zu drucken, was jemand eingegeben hat. Mit ein bisschen Papierstau, vielleicht. Ende gut, alles gut.
25. März 2024
"Sie meinen, alles und jedes regeln zu müssen"
Am Anfang steht der Grosse Rat, wo "dies und das" entschieden wird, ohne sich je über Kosten und andere Konsequenzen Gedanken zu machen. Neue, zusätzliche Gesetze müssen her, "gerecht" müssen sie sein und jeden einzelnen Ausnahmefall berücksichtigen, weil dieser stets als Beispiel für die Ungerechtigkeit dieser Welt herhalten muss.
Für jedes Produkt muss ein Entsorgungskonzept geschaffen werden. Logisch. Warum gilt das nicht auch für Gesetze? Für eine unübersehbare Masse von Texten mit Regeln, Vorschriften, Strafbestimmungen etc., die in einer Sprache verfasst sind, die kaum mehr ein "normaler Mensch" versteht, in denen Ausdrücke vorkommen, die im Duden nicht existieren. Die sich widersprechen. Die definitiv jeden "gesunden Menschenverstand" streng verbieten. Warum ist es kein Menschenrecht, dass jede Oma die Gesetzestexte auch verstehen können muss?
Fazit: "Experten" braucht es nur, weil der Grosse Rat (und alle anderen Parlamente) ihren Job falsch verstehen; weil sie meinen, alles und jedes regeln zu müssen. Ohne dabei selbst über die Übersicht und das Verständnis zu verfügen, was es schon gibt.
Peter Waldner, Basel
"Expertokratie"
Die ersten zwölf Jahre dieses Jahrhunderts war ich beim Basler Erziehungsdepartement als sogenannter wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt. Die sogenannte Demokratie habe ich dabei vor allem als Expertokratie erlebt. Sie hat beispielsweise dem Kanton Basel-Stadt das beschert, was sich jetzt im Sinne der sogenannten integrativen Schule definitiv als ein Rohrkrepierer zu erweisen droht.
Mit der Expertokratie ging es für mich in den nächsten und letzten zwölf Jahren weiter, wo ich als Einwohnerrat in Allschwil einen Gemeinderat erlebt habe, der dem Parlament für beispielsweise die Bereiche Alter, Bauen, Bildung, Finanzen, Stadtentwicklung und Verkehr laufend Grundlagen vorgelegt hat, die extrem aufwendig und teuer von ortsfremden Firmen arbeitet worden waren: nach dem Drucker-Prinzip von Frau Strahm für Entscheidungen, die sich – wenn letztendlich überhaupt – von Links über die Mitte bis nach Rechts als politisch mehrheitsfähig erwiesen haben.
Mit einer echten und nachhaltig zukunftsfähigen Demokratie hat das nach meinem Dafürhalten so wenig zu tun wie der Osterhase mit den Ostereiern: Weshalb ich als Botschafter für eine Neue Politik unterwegs bin.
Ueli Keller, Allschwil