Frauen, nehmt endlich Anlauf!
Mit dieser Kolumne laufe ich in den Hammer, ich schreibe sie trotzdem. Zudem liest die Zielgruppe meine Kolumnen eh nicht. Sondern folgt lieber Kim Kardashian auf einem ihrer Influencer-Youtube-Tictoc-Whatever-Kanäle und inhaliert dabei Werbung für Eyeliner, Lipfiller, Gelnägel und Extensions. Extensions sind künstlich verlängerte Haare.
Die Forderung nach gerechter Verteilung der Jobs auf Frauen und Männer ist ein Dauerthema. In den Hochlohnklassen, nicht auf dem Rangierbahnhof, natürlich. Damit die gerechte Verteilung gelingt, bräuchten wir Frauen mit Jahrgang 1975 und jünger. Frauen, die Karriere machen wollen, in Verwaltungsräte wollen, an die Schalthebel der Macht wollen. Die das nötige Talent haben. Sie wären auch da, gestylt und schick, mit tadellosem CV.
Und rühren keinen, auch nicht den kleinsten Finger der linken Hand (Rechtshänderinnen) für irgendetwas, was nicht gut bezahlt und vergoldet wird. Sie sehen nicht, dass Vorarbeit gefragt ist, Gratisarbeit, Ehrenamt, Networking. Dass sie sich erstmal einsetzen müssten für irgendetwas, zum Beispiel bei den Pfadfindern, in einer Fasnachtsclique, in der Quartierarbeit, beim Sport, der Musik. Damit man sie kennt, sie einordnen kann, sich Vertrauen bilden kann.
"Tatsache ist: Die gläserne Decke
haben auch die Männer."
Ich habe kürzlich entsprechende Leute gesucht. Es kamen drei junge Männer. Frauen? Nicht in Sicht, nicht eine. Die Mechanik wird von den Frauen offensichtlich nicht verstanden. Aber sie beklagen sich. Sie würden nur bis zu einer gewissen Hierarchiestufe gefördert, dann komme die gläserne Decke, die Männer überholten sie links und rechts.
Fakt ist: Die gläserne Decke haben auch die Männer. Sie starten aber auf dem Niveau Gratisarbeit und Ehrenamt, nehmen Anlauf und rammen ihren Schädel durch das Glas. Brechen durch, mit Beulen und Schrammen, und kommen so nach oben. Sie haben sich einen Namen gemacht, Einsatz und Engagement bewiesen, ein Netzwerk erarbeitet. Das ist die Startrampe, denn an diesem Punkt entsteht das Vertrauen, das es braucht, wenn jemand wichtige Funktionen übernehmen und man ihn wählen soll. Dort zeigt sich die Persönlichkeit eines Menschen.
"Die" Männer und "die" Frauen greift sodann zu kurz. Die allermeisten Frauen und Männer kommen gar nicht erst bis zur gläsernen Decke. Es gibt Frauen, die nach viel ehrenamtlicher Arbeit durchstarten, und es gibt Männer, die entsetzt die Flucht ergreifen, wenn sie die gläserne Decke sehen. Es sind aber viel mehr Männer, die sich nach oben kämpfen.
Die Frauen, die sich am stärksten für die Gleichberechtigung der Frauen einsetzen, sind zudem nicht die, die Karriere machen und in die obersten Salärstufen vorstossen wollen. Diese Frauen leisten Gratisarbeit, engagieren sich und halten feurige Reden für die andern Frauen. Aber es sind auch sie, die sich bewusst für weniger Geld entscheiden.
Die, die Karriere machen wollen würden, bleiben unsichtbar. Sie arbeiten durchaus, ackern sich durch Prüfungen und schreiben Papers und Gutachten, karriereorientiert. Aber sie bleiben grau. Trotz Lipstick von Kim Kardashian und Cüpli-Bild in den Social Media.
Frauen, wenn ihr nach oben wollt, nehmt Anlauf. Meldet euch, wenn es euch braucht, und nicht nur, wenn es sich finanziell lohnt. So lernt man euch kennen. Setzt euch für andere ein. Dann klirrt es, wenn ihr an die gläserne Decke stösst, und ihr brecht durch. Nur dann.
31. Mai 2021
"Traurig, aber wahr"
Liebe Frau Strahm, Sie haben vollkommen recht; es ist traurig, aber wahr. Wir und unsere (Berufs)-Kollegen machen die gleichen Erfahrungen. Dass nämlich die angestellten Damen während der Arbeitszeit lieber ihre Facebook/Pinterest/Tiktok-Beiträge pflegen, rechtzeitig Feierabend machen möchten und bei jedem Mehraufwand empört aufmucken ...
Die Krönung dieser Einstellung äusserte sich bei der Bekanntgabe des jährlichen Weihnachtsessens für die Mitarbeitenden, als eine junge Frau fragte: "Gilt das als Arbeitszeit, kann man das kompensieren?" Früher hatten die Frauen die Ausrede, sie müssten sich um Kinder und Haushalt kümmern und könnten deshalb nicht den gleichen Einsatz leisten wie die Männer. Welche Ausrede haben sie heute?
@ Herrn Lorenz Kurth: Es können halt nicht alle Firmen liquidieren, als Säckelmeister Geld verwalten und von der Ferienhaus-Vermietung leben - es gibt Menschen, die ihr Geld verdienen müssen und deshalb die von Frau Strahm genannten Erfahrungen machen.
Christiane Widmer, Basel
"Völlig neue Einsicht"
Herzlichen Dank Frau Strahm, Sie gewähren mir mit dieser Kolumne eine völlig neue Einsicht: So viel Unsinn in so wenig Text verpacken zu können, ist auch eine Fähigkeit!
Lorenz Kurth, Basel