Wählerische Studis, dreiste Vermieterinnen
Mein neues Jahr startet mit viel Veränderung: Ende Monat ziehe ich aus meiner bisherigen WG im Gundeli in eine neu gegründete im Klybeck. Statt 20er-Zone, die von Yuppies und ihren Kindern mit handgenähten Retro-Leder-Schultaschen bewohnt ist, heisst es dann Kleinhüningerstrasse. Mehr Verkehr, weniger Ruhe – dafür ist mehr los und der Heimweg nach dem Ausgang kürzer.
Zum ersten Mal ziehe ich als "Erwachsener" um. Beim meinem letzten Umzug bin ich von zu Hause ausgezogen, diesmal muss noch einmal mehr alles selbst organisiert werden. Zum ersten und hoffentlich einzigen Mal bereue ich, noch keinen Führerschein gemacht zu haben.
Daran, wer beim Umzug hilft, merkt man, wer die echten Freundinnen und Freunde sind. Das gilt insbesondere, wenn die Eltern langsam in einem Alter sind – sorry, Mama und Papa – in dem Rücken und Schultern das Kisten-Schleppen nicht mehr ganz so gut ertragen.
"Ich möchte nicht mit einem BWL-Studi
wohnen, der mir vom freien Markt predigt."
Weil der Umzug naht, müsste ich jetzt längst am Packen sein. Vorher möchte ich aber noch einige Dinge teilen, die mir von der Wohnungssuche geblieben sind. Im Kontakt mit Vermieterinnen und Vermietern lernt man so einiges über Menschen, die so viel Geld haben, dass sie nebenbei noch ein paar Häuser besitzen.
Immerhin habe ich nicht dasselbe erlebt wie vor zwei Jahren auf Wohnungssuche mit der letzten WG. Dort schickte uns eine Vermieterin statt einer einfachen Absage unsere – ohne bluffen zu wollen – ziemlich vielversprechende Bewerbung per Post zurück; zusammen mit einer Notiz, wir sollten uns doch politisch für mehr Wohnraum für Studierende einsetzen.
Dass sie, die im Besitz eines Hauses ist, am Hebel sitzt, um etwas zu verändern, kam ihr nicht in den Sinn. Gott sei Dank schickte sie uns armen Studis die Bewerbung zurück, dass wir uns beim nächsten Versuch Kosten für Druck und Papier sparen konnten.
Damals wie jetzt haben wir schliesslich trotzdem eine Wohnung gefunden, und bei den neuen Vermietern habe ich ein gutes Gefühl. Bei der darauffolgenden Suche nach "WG-Gspänli" kann man aber auch viel über sich selbst lernen: Aufgrund weniger Zeilen in den Anfragen auf die "Unimarkt"-Anzeige für das noch freie Zimmer müssen wir einschätzen, wen wir kennenlernen möchten und wen nicht.
Dieses Auswahlverfahren erinnert ein wenig an Dating-Apps, wo oberflächlich anhand einiger Bilder nach rechts oder links geswiped wird. Ich merke dabei, dass mir das Studienfach der sich für das Zimmer Bewerbenden eine grössere Rolle spielt, als mir lieb ist. Und noch schlimmer: Ob sie überhaupt studieren.
Ein Aufeinandertreffen unterschiedlicher Leute kann zwar spannend sein, andererseits haben diese Präferenzen auch ihre Gründe: Ein ähnlicher Tagesrhythmus und gemeinsame Themen, die einen interessieren, erleichtern das Zusammenleben.
Ich möchte echt nicht mit einem BWL-Studi zusammenwohnen, der mir vom freien Markt predigt, oder einem JSVPler, der von "Gender-Gaga" und Sprachpolizei fabuliert.
Solange dies nicht der Fall ist, steigt die Chance, auf einer gleichen Wellenlänge zu sein, deutlich. Möglichkeiten, sich im besten Sinn miteinander auseinandersetzen, gibt es sowieso genug.
Das beginnt manchmal schon damit, wie man die Geschirrtücher zusammenfaltet.
16. Januar 2023
"Gar kein so grosser Uterschied"
Schönes neues Bild! Eine aussichtsreiche Bewerbung für eine Berufswahl bei der Truppe, die "Männer mit Schnauz" sucht und – sozial grosszügig – gemessen an der Leistung zu wenig verdient.
Aber darauf will ich nicht heraus. Wie es schon der Titel (von der Redaktion?) des Artikels hervorhebt: Interessant finde ich, dass sich ein armer Student gar nicht so sehr von Leuten unterscheidet, die "so viel Geld haben, dass sie nebenbei noch ein paar Häuser besitzen". Ohne zu fragen, ob und wie sie sich das verdient hatten, wieviel von dem "vielen Geld" ihnen selbst oder der Bank gehört, wieviel von den Einnahmen in Zinsen, Gebühren, Unterhalt/Werterhalt etc. fliesst.
Beide wählen nämlich ganz offensichtlich nach eigenen, subjektiven Kriterien aus. Die Vermieter, ob eine Studenten-WG in die Gemeinschaft mit den anderen Mietern passt; aber auch, ob das Geld für die Miete tatsächlich eingeht und die Wohnung pfleglich behandelt wird. Der Student, ob man Mitbewohner wünscht, die sich in der eigenen "Blase" bewegen oder eben nicht.
Zum Glück leben wir in einem Land und einem System, das diese subjektive Freiheit erlaubt.
Peter Waldner, Basel