Wem schulden wir die Dienstpflicht?
Die letzten Wochen vor Uni-Beginn verbringe ich gerade mit einem vierwöchigen Zivildiensteinsatz. Zum dritten Mal in Folge leiste ich, vor allem aus praktischen Gründen, meine jährliche Dienstpflicht im selben Basler Altersheim.
Das hat einige Vorteile: Ein mühsames Einarbeiten blieb mir und auch dem Pflegepersonal erspart. Glaubt mir, ein Bett zur Zufriedenheit der Bewohnenden und vor allem deren Angehörigen frisch zu beziehen, will gelernt sein.
Stattdessen wurde ich am ersten Tag wie ein alter Bekannter herzlich begrüsst – von den Mitarbeitenden zumindest. Die alten Menschen erinnerten sich meist nicht mehr an mich, aber das sei ihnen vergönnt.
So weit so gut. Alles wieder wie in den letzten Jahren, dachte ich mir zuerst. Aber etwas hat sich mit der Zeit verändert: Ich hinterfrage die Dienstpflicht grundsätzlich.
"Das Einzige, was ab und zu erfreut,
ist die Wertschätzung."
Im August 2019, vor genau drei Jahren, schrieb ich kurz nach meinem Militär-Orientierungstag eine Kolumne dazu. Ein wenig arrogant belächelte ich die Überzeugungs-Versuche, mit denen sie mich doch noch für die Rekrutenschule begeistern wollten.
Vielleicht war ich auch einfach nur froh, dass ich mit dem Zivildienst eine Möglichkeit hatte, diese lästige Pflicht hinter mich zu bringen, ohne über Monate von autoritätsbegeisterten Waffennarren umgeben zu sein.
Inzwischen ist aber einiges passiert: Der Zivi ist jetzt schon unattraktiv und soll es noch mehr werden. Stichwort “Tatbeweis“. Bereits jetzt gilt: ein ganzes Jahr Dienst, die Hälfte davon extrem unflexibel an einem Stück und in nur drei möglichen Einsatzbereichen zu leisten.
Pflege, Erziehung oder Unkraut jäten.
Wer schnell studieren und Karriere machen will, geht ins Militär. Dauert weniger lang, optimiert Zeit und schafft Netzwerk. Zivis müssen, Stand jetzt, schon eineinhalb mal so lange Dienst leisten. Dabei sollte es doch schon genug Tatbeweis sein, freiwillig im Altersheim oder an einer Schule zu arbeiten, statt mit Steuergeld Männerspielchen zu betreiben.
Ich finde es recht absurd, wenn unter dem Motto "Dienst an der Gesellschaft" die Dienstpflicht verteidigt oder sogar eine Ausweitung dieser auf alle Geschlechter gefordert wird. Wem schulden wir die? Den vorherigen Generationen (Contrat Social und so)? Dann hätten sie aber bitte schön nicht unsere künftige Lebensgrundlage zerstören sollen.
Die Arbeit kommt mir ausserdem weder als "edlen Dienst" vor, wie sowohl das Militär als auch der Zivildienst stets behaupten, noch ist sie "eine gute Erfahrung, um mal gearbeitet zu haben".
Stattdessen wirkt es oft so, als würde man Tätigkeiten übernehmen, für die aus Spargründen wenig Personal angestellt oder wegen der schlechten Arbeitsbedingungen keines gefunden wird.
Das Einzige, was ab und zu erfreut, ist die Wertschätzung im direkten Kontakt mit Bewohnenden und Mitarbeitenden. Die hilft vielleicht, den Dienst durchzustehen. Sie ist aber nicht Grund genug, um das mit der "Wehrpflicht" zukünftig nicht grundsätzlich zu überdenken.
29. August 2022
"Billionen schwerer Militarismus"
Dass Max mit seinem neuen Aufsatz anecken wird oder sogar schockiert, dürfte ihm auch klar sein. Eventuell war das gewollt. Natürlich braucht es ein bisschen Mut in der heutigen Zeit, über das Thema zu schreiben. Aber wenn man wie er überzeugt ist, dürfte es nicht schwer fallen.
Ich kann das sehr gut nachvollziehen, sind meine zwei ältesten Enkel in der gleichen Situation, beide "leisten" auch ihren (sozialer)-Zivildienst. Nicht überraschend, dass auch ich (82) ein Dienstverweigerer war und das war damals schon Landesverrat. Kommt noch dazu, dass ich Aktivist der so genannten Münchensteiner Initiative war, die erste Volksinitiative zur Einführung eines Schweizer Zivildienstes, was andere Länder schon längst hatten. Diese erste Initiative ging natürlich beim Schweizer Volk bachab, erst die dritte Initiative wurde angenommen, zum Ärger der Militärköpfe.
Was manche Zeitgenossen einfach vergessen, ist die Tatsache, dass viele soziale Einrichtungen ohne Zivis schlicht nicht funktionieren würden. Meine Meinung ist aber heute noch die gleiche wie früher: Das ganze Elend und traurige Theater auf der Welt steht und fällt mit dem aber Billionen schweren Militarismus, heutzutage ein todsicheres florierendes Geschäftsmodel. Beispiele gäbe es ja zu Tausende, wer’s nicht glaubt, ist gewaltig blind. Übrigens waren meine Enkel auch im gleichen Oberwiler Gymi wie Max.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Mir fehlte der Mut zur Dienstverweigerung"
Vor sechzig Jahren, als ich vor der Entscheidung stand, Militärdienst oder Dienstverweigerung – den Zivildienst gab es damals noch nicht –, hatte ich nicht den Mut den Militärdienst zu verweigern. Eine mehrmonatige Gefängnisstrafe wollte ich nicht auf mich nehmen. Rückblickend bereue ich meinen damaligen Entscheid. Kriege haben Probleme auf dieser Welt noch nie gelöst.
Seit der Einführung des Zivildienstes wird jungen Männern eine Alternative geboten einen sinnvollen Eisatz für die Gesellschaft zu leisten, mit einem beträchtlichen Mehraufwand. Diese Leistung sollte mit Anerkennung gewürdigt werden. Es gibt ja auch Leute, die sich mit vorgeschobenen Behinderungen vom Militärdienst dispensieren lassen.
Der Zivildienst darf keine "Strafe" sein, sondern eine sinnvolle Aufgabe an unserer Gesellschaft.
Bernard Kaufmann, Zofingen
"Aus der geschützten Position eines Zivis"
Das finde ich schon mutig: In Zeiten von Krieg in Europa und von drohenden Umweltkatastrophen den Wehrdienst zu hinterfragen! Ich brauche nicht einmal den gerade aktuellen Einsatz der Armee für den Schutz des Zionistenkongresses zu erwähnen, sondern ich habe ein weitaus verständlicheres Beispiel: Während der "Euro 08" in Basel hat die Armee (Ter Div 2) die zivilen Blaulicht-Organisationen der Region massgeblich entlastet (Park- und Verkehrsdienste, Be- und Überwachungen der Stadien etc.), so dass die Rettungsdienste weiterhin die Aufgaben für die Zivilbevölkerung wahrnehmen konnten.
Man kann immer über Flugzeug- und Waffenkäufe für die Armee diskutieren. Das ist das Recht und die Gepflogenheit der Demokratie. Aber aus der geschützten Position eines Zivis die Wehrpflicht zu hinterfragen mit der Begründung, dass die "Bewohnenden" dankbar seien, ist zu kurz gedacht. Ich war während der "Euro 08" auch dankbar, zu wissen, dass die Polizei für mich Zeit hätte, wenn ich sie dann gebraucht hätte.
Daniel Thiriet, Riehen
"Es bleibt nur die gut gerüstete Miliz-Armee"
Ein Artikel, der mich bedrückt. Zumal er sicher nicht nur eine Einzelmeinung ausdrückt.
Der Zivildienst ist tatsächlich ein billiger Kompromiss, ein Zugeständnis an alle jungen Männer (leider nur Männer), welche eine Verteidigung unseres Landes nicht mehr einsehen. Das darf nicht verwundern, hat es doch nun seit 77 Jahren keinen Krieg mehr in unserer unmittelbaren Nachbarschaft gegeben. Der Zweite Weltkrieg war der letzte. Längst ferne Geschichte. Seitdem der von der Sowjetunion geführte Warschauer Pakt vor 41 Jahren aufgelöst worden war, entfiel auch der "Bö Fei" – der "böse Feind" – das Gegenstück der von den USA geführten Nato.
Und so sind nun zwei Generationen herangewachsen, die nur Zivilisation und Frieden kennen, keine Gefahren gegen unsere Nation, nur gefühlt weit entfernte Gräuel; Bilder im Fernsehen und nur noch kollektive, medial bestätigte Feindbilder in Einigkeit mit unseren Nachbarländern; lästig (aber hinnehmbar) bleiben nur Flüchtlinge und Hilfsgelder Sammlungen.
Ernsthaft wird auf breiter Front die Kooperation oder gar Zugehörigkeit zur NATO diskutiert, sogar unsere Neutralität angezweifelt. Wie wenn Neutralität die Verteidigung der Menschenrechte, der Kriegsgesetze und überhaupt die Menschlichkeit je untersagt hätte. Hatte denn nicht schon Henry Dunant zu einer Zeit, in der die Schweiz schon neutral war, vorgemacht, wie auch ein Schweizer (die Schweiz?) etwas Gutes in fremden Kriegen bewegen kann?
Nicht nur unser Land, sondern auch unsere Neutralität ist auf die glaubwürdige, effektive militärische Verteidigung angewiesen. Schliesslich konnten sich nur deshalb die europäischen Grossmächte nach Napoleon darauf einigen, die Schweiz als unabhängige Nation zuzulassen.
Das Milizsystem – die Basis der angezweifelten Dienstpflicht – könnte nur durch eine Berufsarmee ersetzt werden, die tatsächlich glaubwürdig und fähig sein müsste, unser Land gegen eine Übermacht verteidigen zu können. Ich halte das für unmöglich. Bleibt also nur die (grosse, gut gerüstete!) Miliz-Armee; oder halt die fröhliche (naive) Überzeugung, dass halt sowieso nie mehr etwas passieren wird, das unserem Land die Freiheit nimmt.
Es sei denn, dass uns unsere Freiheit eigentlich nicht mal mehr das Opfer einer Dienstpflicht für die Allgemeinheit wert ist.
Peter Waldner, Basel