Theater Basel, Schauspielhaus
Uraufführung
"Mumbo Jumbo"
Ein simultanes Familiendrama von Tomas Schweigen/FADC (Far a day cage)
Regie: Tomas Schweigen
Bühne: Stephan Weber
Kostüme: Anne Buffetrille
Dramaturgie: Anja Dirks
Musik: Martin Gantenbein
Mit Julian Hackenberg, Chantal Le Moign, Florian Müller Morungen, Johannes Schäfer
Far a day cage: Philippe Graff, Jesse Inman, Mareike Sedl, Vera von Gunten, Silvester von Hösslin, Stephan Weber
Der Sprengsatz macht nur Zisch und Puff
Das Publikum irritieren, kann lobenswert sein. Aber Irritation im Sinne von ergriffenem "Ich muss alles neu überdenken" und Ratlosigkeit in der Art von "Ich weiss nicht, was das hätte sein sollen" können so weit auseinander liegen wie gut und gutgemeint. Das musste nun die group-in-residents "Far a day cage" FADC am Theater Basel erfahren.
Nach deren neusten Eigenkreation unter dem Titel "Mumbo Jumbo" herrschte nämlich vor allem Ratlosigkeit: "Das Stück ist nicht fertig", so ärgerte sich ein Theaterbesucher reiferer Jahre beim Verlassen des Schauspielhauses. Ein an sich sehr versierter Kritikerkollege blickte grinsend umher: "Ich komme noch immer nicht draus." Schon in der Schlussviertelstunde der 75-minütigen Aufführung hatten einzelne Zuschauer laut herum gefragt: "Ist es jetzt fertig?" Oder: "Dauert es noch lange?" und hatten das Theater verlassen. Unsicher plätscherte der Applaus am Ende dahin.
Das Programmheft legt eine Spur: "Mumbo Jumbo ist eine englische Redewendung und bedeutet so viel wie Hokuspokus, fauler Zauber, Brimborium, bedeutungslose Sprache oder Geschwafel. Sie wird im Englischen häufig verwendet für umständliche und unsinnige bürokratische Formulierungen oder Vorschriften." Kein Schelm, wer dabei nun Böses denkt.
Denn die Aufführung hebt erstens mit allerlei Erklärungen, zweitens mit einer vertrackten Spielanleitung an. Erstens sind obige (und weitere) Sätze über Lautsprecher zu hören. Zweitens tritt Julian Hackenberg mit oben zugeknöpftem weissem Hemd, Intellektuellen-Grinsen und dünner Brille auf und wirft sich als Familientherapeut in Pose: Ensemble und Publikum seien als eine "grosse Seele" zu verstehen, die als Gruppe an einem Ritual zusammen arbeiten solle, das Konflikte lösen könne. Ein beleibter, etwas verwahrlost wirkender Komparse wird auf die Bühne geholt. Aus Olis Hosensack hängt ein Bändel der "Basler Mittwochsgesellschaft". Er habe von Papi seit drei Jahren nichts mehr gehört. Beschwörend wendet sich der Moderator ans Publikum: "Keine Zuwendung? Keine Liebe?"
Olis Familiengeschichte sei nun der Anlass des Spektakels. Zwei Bühnen werden dazu nebeneinander im Parallelbetrieb gesetzt. Links werden die dramatischen Ereignisse in der Geschichte von Olis Bürgerfamilie, rückwärts bis zum Jahre 1900 zurück springend, vorgespielt. Man sieht eine Bürgerstube mit schwerem Buffet, dominantem Holzkreuz und mit Porträtgemälden von würdigen Herren mit schwerem Schnurrbart an den Wänden.
Rechts, in einem weiss ausgemalten WG-Arbeitszimmer, möbliert wie aus dem Billigmarkt, entwickelt eine Gruppe ein Theaterstück, mit dem sich Begriffe wie "soziales Drama", "Schwellenmoment" und die potentiell heilsame Funktionsweise von Ritualen abbilden liesse. Klar für heutige Theaterbesucher, dass die Theorien und Ideen in der WG rechts dann links in der Bürgerstube dramatisch ausgetragen werden. Absehbar auch, dass die parallelen Geschehnisse schon bald ineinandergreifen, anfangs nur mit Worten oder Sätzen, die erst im WG-Raum fallen, und gleich darauf in der Bürgerstube aufgegriffen werden.
Später dann stürzt der Erich (Johannes Schäfer) aus der Bürgerfamilie, der sich 1958 ausgerechnet an seinem Hochzeitstage nach Afrika absetzt, ausgerechnet dann in die Theater-WG als diese zu Techno-Gestampfe im Bühnenrauch mit gehörnten Fellkostümen, einem riesigen Baby-Ungeheuer und einem blutigen Fötus das Ritual eines archaisierten Fruchtbarkeitstanzes nachzuspielen ausprobiert.
Und ab dann eben – die Bürgerfamilie ist mittlerweile bei 1900 angekommen und schimpft, von einem Theaterabend heimkehrend, über die "Hottentotten-Tänze" und den blutigen Fötus, über die "abscheuliche" Vorstellung, bei der sich Goethe und Schiller im "Grabe umdrehen" würden – wird es verwirrlich. Der Theaterbesucher oben hatte meines Erachtens recht: Die Stückemacher haben nicht gewusst, wie mit der Sache zu Ende zu kommen. Statt dass ein Höhepunkt alle Dämme brechen lässt, wird "Chaos" gespielt und lässt FADC die Aufführung ausfransen.
Die Theater-WG bricht in die Bürgerstube herein, einer (Philippe Graff) macht aus der Wohnwand guckend den Kuckuck, zwei Frauen (Vera von Gunten, Mareike Sedl) provozieren aufreizend lächelnd den Bürgervater (mit Rauschebart Florian Müller Morungen). Die Bürgermutter (Chantal Le Moign) kanzelt von der Bühne herunter ein Komparsenpaar ab, das sich zum Weggehen anschickte. Knallfrösche lärmen. Das Ensemble verschwindet von der Bühne. Das Licht geht aus. Gefühlte zehn Minuten lang sitzt das Publikum im Dunkeln und hört über die Lautsprecher freche Garderoben-Kommentare über die Zuschauer. Da wurde es den ersten zu bunt oder eher zu langweilig und sie verliessen das Auditorium. Immer wieder wurde in der Folge das Ritual (Achtung: Theater-WG-Thema!) des Applauses herausgezögert.
Zum Urbild des braven Abends wird die Aktion mit dem Sprengsatz: Bühnenbildner Stephan Weber bringt ihn ins Publikum grinsend in der Bühnenmitte an. Mit harmlosem Zisch und Puff entlädt er sich. Denn was boten die Theatermacher nicht alles auf, um das Schicksal der Bürgerfamilie (links) so recht dramatisch wirksam zu machen: Heroinsucht, Alkoholismus, Flüchtlinge im zweiten Weltkrieg plus Gestapo-Razzia, Todesfälle, Zerwürfnisse, zerknirschte Abbitten. Wie beflissen und eifrig legt sich (rechts) die Theater-WG ins Zeug. Hüben wie drüben ist es nicht mehr als eine Soap, rechts aber unehrlich, weil pseudo-natürlich naturalistisch.
Die Ritual-Idee drum herum bringt nichts weiter hervor, als dass sich zum Schluss das Publikum und das Ensemble zu sphärischen Klängen mit den Handy-Schweinwerfern anleuchten. Immerhin ein Anlass, sich gemeinschaftlich anzugrinsen. Und die witzige Pointe, dass Oli mitten im Applaus einen Anruf von Papi kriegt.
Für den wirklichen Theater-Mumbo Jumbo, für die sinnbefreite Bühnenaktion fehlten aber der Mut und der anarchische Humor.
9. Mai 2014
"Herrlicher Kommentar"
Herrlicher Kommentar. Konnte an der Premiere nicht dabei sein, werde aber aufgrund dieser Besprechung zweifellos noch hingehen.
Walter P. von Wartburg, Basel