Theater Basel, Kleine Bühne
Uraufführung
"Die Propellerinsel"
frei nach dem Roman von Jules Verne
Regie: Tomas Schweigen
Dramaturgie: Anja Dirks
Bühne: Stephan Weber
Kostüme: Anne Buffetrille
Musik: Martin Gantenbein
Mit Philippe Graff, Vera von Gunten, Silvester von Hösslin, Jesse Inman, Mareike Sedl, Stephan Weber
Kartonhäuschen statt Mega-City
Wieder tragen die Herren Zylinder, wieder staunt das 19. Jahrhundert über verrückte Erfindungen: Nur eine Woche nach "Frankenstein" von 1818 stand mit "Die Propellerinsel" von 1895 erneut der damalige naivere Fortschrittsglaube auf dem Spielplan, Katastrophe inklusive. Thematisiert wird er aber in beiden Romanbearbeitungen nicht. Mary Shelleys Schauergeschichte konnte mit einem mitleidwerbenden Monster unterhalten, das in filmrealistisch aufgemachten Tableaus herumstapfte und Leute umbrachte.
Was aber hat die ins Haus integrierte Truppe Far a day cage (FADC) mit der "Propellerinsel" zu bieten? Eine Miniatur-Stadt aus kleinen Kartonhäuschen, die die Bühne zu weiten Teilen bedeckt. Und eine sechsköpfige Truppe, die sich eifrig bemüht, Jules Vernes skurrile Romanvision einer im Meer schwimmenden Stadt mit 10'000 Einwohnern vor das geistige Auge des Publikums zu zaubern.
Aber jedes Mal, wenn ein Schauspieler versehentlich in einen der wadenhohen Strassenzüge tritt und eins der Häuschen umfällt, hat man den Eindruck, ein Erwachsener habe sich an einem freien Nachmittag in einen Kindergarten verirrt. Gegen den mickrigen Eindruck, den diese Modelstadt macht, kommen auch die weitschweifigen Erklärungen der stolzen Stadtbewohner von "Standard-City" nicht an. Die kilometerlange und -breite Insel der Glückseligen, auf der mit modernstem Luxusstandard glückliche, amerikanische Milliardäre durch den Pazifik schippern, mit deren Beschreibung Jules Verne detailverliebt den Leser zum Staunen, Schwelgen und Schmunzeln bringt – hier bleibt sie eine allzu spröde vorgestellte Behauptung.
Laut dem Programmheft wurden in früheren Jahrzehnten Jules Vernes Romane mit grossem Erfolg als bombastische Bühnenspektakel mit grosser Statisterie und sogar mit Elefanten aufgeführt. Hier dagegen wird unsere Vorstellungskraft zusätzlich strapaziert, weil die nur sechsköpfige Truppe nicht allein ein Ensemble aus Musikanten spielt, die es als die Story-Helden auf die Insel verschlägt, sondern die Darsteller auch in zahlreiche andere Rollen als Inselbewohner schlüpfen müssen.
Als für Regisseur Tomas Schweigen schwierig erweist sich zudem die an grotesken und gefährlichen Zwischenfällen reiche Abenteuerfahrt, von der er einiges antippt, nur weniges durchführt, aus der er kein eigentliches Drama herausgeschält hat. Wenn am Ende die Insel wegen des Streits der beiden mächtigsten Familien auseinanderbricht, so wirbelt ein riesiges Mobile über den Akteuren im Kreis. Der einzige bildkräftige Moment des Abends.
Eine inhaltliche Chance hätte sich angeboten, wenn FADC die Geschichte der christlichen Luxus-Insel, die etwa muslimische Schiffbrüchige nur halbherzig aufnimmt und sie gleich wieder loswerden will, konsequent aktualisiert hätte. Zu diesen Themenkreisen hätte es reichlich Material gegeben. Mit den wenigen eingespielten Nachrichtenbildern zum Flüchtlingsdrama in Nordafrika aber, die nicht zum Rest der Aufführung passen, wirkt die Inszenierung halbherzig.
Konsequent und detailversessen ist sie da, worum es FADC geht: Den Blick auf jene Truppe, die nicht bloss die Musikanten und andere Figuren darstellt sondern auch die Bemühung, die Theatervorstellung durchzuziehen: Die raschen Kostümwechsel auf offener Bühne, die ebendort betont dilettantisch produzierten Szenengeräusche, die organisatorisch komplexen Murks-Abläufe, mit denen die Truppe absichtlich ungeschickt das Fehlen von weiteren Ensemble-Mitglieder kaschiert und gleichzeitig immer wieder neu das Bühnenbild assortiert.
Dies alles vollziehen Philippe Graff, Vera von Gunten, Silvester von Hösslin, Jesse Inman, Mareike Sedl und Stephan Weber mit putzmunterer Bereitwilligkeits-Miene, hinter der gute Clowns Verzweiflung vibrieren lassen. Da und dort spendet ein kleiner Song oder eine flotte Tanzeinlage Trost im ewigen Kampf um eine geglückte Szene. Armes Theater, dilettantisch-verspielt, aber engagiert: Das ist die Story, die FADC wirklich erzählt.
Aber leider erzählte Tomas Schweigen diese selbstbezogene Ensemble-Story in den letzten zwei Jahren seit ihrem Start mit "Traumspiel" von August Strindberg fast mit jedem Stoff. Mit dieser letzten Arbeit als Group in residence (abgesehen von der Abschiedsproduktion im nächsten Juni) in Basel stellt sich nun der Eindruck ein: Wir haben es gesehen, wir kennen den Gag.
27. September 2014