Theater Basel, Kleine Bühne
"Kasimir und Karoline"
von Ödön von Horvath
Regie: Ulrike Quade
Dramaturgie: Martin Wigger
Bühne: Floriaan Ganzevoort
Kostüme: Jacqueline Steijlen
Komposition Musik: Jannik Giger und Lukas Huber
Choreographie: Joost Vrouenraets
In künstlerischer Zusammenarbeit mit der Ulrike Quade Company, Amsterdam
Mit Ivan Blagajcevic, Inga Eickemeier, Philippe Graff, Martin Hug, Lukas Huber, Florian Müller-Morungen, Cat Smits, Judith Strössenreuter, Raakesh Sukesh
Gehorsam zucken die Leiber
"Kein Wunder also, dass dem Zuschauer aus den Theaterstücken dieses glänzenden Desillusionisten das ziemlich Trostlose einer entzauberten, in ihrem schnöden Mechanismus blossgelegten Welt kalt anweht." Was der berühmte Theaterkritiker Alfred Kerr einst über Ödön von Horvath schrieb, gilt im besonderen Masse für "Kasimir und Karoline", jenem sozialkritischen Kleine Leute-Drama, das 1932 in Leipzip uraufgeführt wurde: Inmitten der mechanischen Lustigkeit des Oktoberfests entzweien sich die beiden. Für Kasimir ein doppelter Schlag: Gerade eben ist der Chauffeur "abgebaut" worden. Damit rücken Karolines Träume auf mehr vom Leben weiter weg. Eine spontane Bekanntschaft zeigt ihr aber, dass es noch andere Verehrer geben könnte.
Aufreizend ist bei dieser Tragödie nicht nur die Bezeichnung "Volksstück" sondern auch die vordergründige Beiläufigkeit einer an sich belanglosen Rummelplatz-Episode, mit der Horvath Existenzen vernichten, die Liebe zerbrechen und sie an den falschen Enden scheinbar wieder zusammen wachsen lässt, als handelte es sich beim Menschen um einen kopf- und auch herzlosen, vor allem aber willenlosen Mechanismus.
Gerade letzteres nimmt Regisseurin Ulrike Quade, die sich hier auf der Kleinen Bühne mit ihrer Amsterdamer Company zur Zusammenarbeit mit dem Schauspiel des Theater Basels verband, zum Urbild. Alles kommt immer von aussen, die Menschen reagieren bloss. Da scheint es eine Maschine zu geben, die nach eigenen Gesetzen lauten Techno auf die Menschheit loslässt. Gehorsam zucken minutenlang die Leiber des Ensembles zu den Stampf-Rhythmen, zelebrieren die Leute sklavisch den Gruppentanz heutiger Boygroups (Choreographie: Vrouenraets). Zum Repertoire dieser Maschine scheint auch der Zeppelin zu gehören, den die Karoline so sehnsüchtig anstiert: Hier besteht er aus Lichtbatterien. Das Ensemble blickt zu ihnen hoch als erwarte es Heilsbotschaften von einem Ufo. Und gärt plötzlich die Wut in der Gruppe und mischt sich ein Pferd unter sie, so zerreisst sie dieses wie es die Bakchen bei Euripides tun.
Auf den Rausch scheinbarer Selbstermächtigung folgt der Katzenjammer. Triumphierend grinst Karoline (Strössenreuter) im Tanz, weil sie nun glaubt, ihre mit der Trennung neu entdeckte Sexualität verschaffe ihr Macht und Bewegungsfreiheit. Aber am Ende wird sie sich auf den opportunistischen Kleinbürger Schürzinger (Hug) einlassen, den sie weder versteht noch ehrt noch begehrt. Und haben die Helden das Pferd zerfetzt, sitzen sie erschrocken und blutverschmiert da.
Kommen alle diese Vorgänge bei Horvath vor? Nein. Aber hat die Regisseurin Ulrike Quade das Stück ernst genommen? Ja, gewiss, mit ihren Mitteln der symbolischen, ja der surrealen Übersetzung. Das Bühnenbild zeigt keinen konkreten Rummelplatz-Nachbau (Bühne: Floriaan Ganzevoort) sondern funktioniert als Spielraum der Möglichkeiten, in dem ein bizarrer Riesenkopf auf vier Beinen in eine naturalistische Szene bricht, der Kommerzienrat Rauch sich als bauchhohe Puppe zwischen den Beinen von Karoline austobt oder das Ensemble gesamthaft unvermittelt in Slow-Motion-Bewegungen verfällt. Wir sollen so das Drama allgemeiner verstehen. Entsprechend bleibt vieles Stimmung und Andeutung. Oder seltsames Traumbild.
Sicher ist: Quade meint mit Rummelplatz zunächst einen Ort sexueller Erregung. Die Achterbahn ist eine menschliche Maschine, wo sich die Karoline, von Männerarmen umfasst, lustvoll ausschreien darf. Aus dem Getränkestand, wo sich die Karoline vom reichen Rauch einladen lässt, wird der sterile Techno-Sadomaso-Club der Nullerjahre.
Aber mir scheint, gemeint ist weder die Zukunft noch die Vergangenheit sondern eher der Blick in einen Kanal, wo die verschiedenen Zeiten zueinander rücken. Beim Wort "abgebaut" spürt man in dieser Inszenierung den ruppigen Charme von damals und die klinische Kälte von heute. Auch wenn die Kleinkriminelle Erna (Eickemeier) in Bomberjacke auftritt: Das soll das Stück nicht bloss ins heute versetzen, sondern als eine der Chiffren und Codes dieser Unterschicht-Welt erkennbar machen, die dieses Stück braucht. Und schliesslich kann man die grausame Pferdeszene als das deuten, was nach der Uraufführung von 1932 in Deutschland geschah, als eben jene Kleinbürger Adolf Hitler zur Macht verhalfen.
Frappierend ist die permanente Spannung über die ganzen 90 Minuten, erfrischend wirken die klar gesetzten Räume und Tableaux, erfreuen kann man sich daran, dass hier alles dem Ausdruck dient. Der Abend kennt keinen Wackler. Inga Eickemeier als geschundene Kleingangsterbraut zieht mit ihrer kühl geführten Artistik alle Aufmerksamkeit auf sich. Judith Strössenreuter spielt die erlebnishungrige Karoline als "guten Kerl", der naiv und doch eiskalt sein kann. In seinen besten Momenten erreicht Florian Müller-Morungen als Kleinkrimineller Franz Merkl bedrohliches Format. Und Philippe Graffs Kasimir ist ein einfaches Gemüt. Der starke Applaus war verdient für die künstlerisch bei weitem interessanteste Produktion der Saison.
Aber die Inszenierung hat einen Haken. Sie geht bei aller Sympathie nicht unter die Haut. Vom einfachen, modellhaften Spiel, das hier eingeübt und gespielt wurde, ist es ein weiter Weg zum nackten Ton, der die Tragik der Figur mehr herausstellt als die Figur es selber weiss. Die Figuren bleiben so ohne Geheimnis.
28. November 2014