Theater Basel, Schauspielhaus
Schweizer Erstaufführung
"Dear Wendy"
Regie: Sebastian Nübling
Stück nach einem Drehbuch von Lars von Trier
Vom Ensemble ins Schweizerdeutsch übersetzt
In Koproduktion mit dem jungen theater basel
Mit Claudio Bagno, Alma Handschin, Lucien Haug, Till Lauer, Julia Lehner, Manuel Miglioretto, Hans Jürg Müller und Andrea Bettini als Dorfpolizist Kugler
Ra-ta-ta-ta-ta-ta-ta-ta ...
... knatterten Maschinengewehrsalven, die jungen Leiber zuckten und zappelten getroffen, stürzten auf den dunklen Bühnenboden, junges Leben dahingemäht. Tot. Einzelne Zuschauer lachten auf, Polizeisirenen heulten, der jungverstorbene Glamgott Marc Bolan sang "What ever happened to the teenage dream". Aber kein Ende, noch nicht: Die sechs jungen Helden der "Dandies" erhoben sich nochmals. Ra-ta-ta-ta-ta. Zucken. Stürzen. Liegen. Und nochmals. Ra-ta-ta-ta-ta. Aus. Dunkel. Jubelgeschrei erfüllte das Schauspielhaus. Das Teenager-Publikum feierte seine toten Helden wie Märtyrer. Dieses Ende war wie ein furchtbarer Rausch nach 80-minütigem, unablässigem Spannungsaufbau gewesen. Das Ensemble bestehend aus Gymnasiasten hatte sich dabei ganz auf das Wesentliche konzentriert: Handlung und Emotion.
Regisseur Nübling (Jahrgang 1960) hatte uns die jungen Leute auch allerliebst ans Herz gelegt, die sich mit Pistolen vor der Erwachsenenwelt abschotteten. Der bleichwangige Brillenträger Sämi erklärt uns treuherzig auf Baseldütsch: "Mir sinn totali Losers (Verlierer), aber sit ass mir unseri Partner (Pistolen) hänn, fühle mir uns stark." Sämi hat seine "Bad Deal", Sarah ballert wie eine Zahnspangen-Lara-Croft mit zwei Pistolen in der leeren Fabrikhalle herum. Dandy-Chef Nik hat seine "Wendy". Es ist eine Obsession. Die Waffe im Hosensack gibt ihm "e Gfühl vo Wichtigkeit". Es sind propere Pfadi-Typen, mit Gruppenrufen, Gruppenritualen, Gruppenidealen und Einzelzelten. Kein einziges Glas Cherry trinken sie ohne speziellen Feieranlass.
Eifrig halten sie eigene Ballistik-Seminare ab, Schiesskurse, studieren auf Fotos Einschusslöcher, ergehen sich in Pistolenträger-Typologie: Welches Ding passt zu welchem Mann? Dunkel ahnen sie, dass sie so ihre aufkeimende Sexualität sublimieren. Sarah etwa hat ihre Pistole beim Schritt versorgt, muss sie alle paar Sekunden wieder hochschieben, damit sie nicht aus der Jacke fällt. Und Dandy-Chef Nik ist in bläuliches Licht und kühle Ambient-Klänge gehüllt, wenn er einsam dasitzt: Es ist eine Angst-Atmosphäre wie beim ersten "Alien"-Film, wenn das Monster sein erstes Opfer tötet. Hier ist das Monster innen, und dagegen muss ein Werte-Kodex her: "Mir bhalte unseri Partner (Pistolen) im Dunkle", sagt Sarah. Sie ziehen nie, schwören sie.
Mit der jungen Proletarierin Hanna, die der Trottel-Dorfpolizist Krugler bei den Dandies zur Sozialreintegration parkiert, bekommen die romantischen Vorstellungen den entscheidenden Schlag: Sie giesst den Cherry ab Flasche in sich hinein – auch ohne spezielle Feier, macht sich sexuell direkt an Sarah heran und feuert auch mal mit Niks "Wendy". Damit rammt sie das Regelwerk der Dandy-Parallelwelt. Nik lässt die Dandies zu einer "Übung" in der Realität, im eigenen Dorf antreten. Sie endet im Kugelhagel der Polizei-Gewehre.
Was der einstige Dogma-Regisseur Thomas Vinterberg 2005 im Originalfilm als Blutbad vorführte, das ein ganzes Polizeiheer anrichtet, zeigt Nübling auf der Bühne wie Meister-Regisseur Akira Kurosawa in "Kagemusha": Wir hören nur die Salven krachen, und sehen die Opfer zusammenbrechen. Und mit der ganz leeren Bühne (Magda Willi) und ihrem schwarzen Boden erweisen die Basler Macher Von Triers "Dogville" ihre Referenz. Trotz aller filmischen Zitate: Nübling löste die Geschichte aus dem Film-Kontext der kleinen kanadischen Bergbaustadt, zeigte anstelle von narzisstischen Anti-Stars einfache Menschen und schuf so mit derselben Handlung und denselben Dialogen eine eigenständige Bühnenerzählung. Und wo im Film als "Störenfried" der Schwarze Sebastian auftauchte, platzierte er - politisch korrekter - die blonde Hanna. Was wohl die Beweggründe für diesen Entscheid waren?
7. Mai 2009