Theater Basel, Schauspielhaus
Premiere
"Hexenjagd"
Autor: Arthur Miller
Regie: Florentine Klepper
Bühne: Martina Segna
Projektionen: Bastian Trieb
Musik: Tobias Hofmann
Mit Urs Bihler, Eleni Haupt, Hendrik Heutmann, Claudia Jahn, Pascal Lalo, Barbara Lotzmann, Chantal Le Moign, Florian Müller-Morungen, Katharina Schmidt, Jörg Schröder, Peter Schröder, Bastian Semm
Die Mädchen: Marie Jung, Pascale Pfeuti, Anja Schreiber, Sarah Speiser
Sex, Tod und Dreck
Sex, Folter, Mord, Tod, Teufel, Gott, Lügen, Gerichtsprozesse, das Leiden der Gerechten, und die grosse Frage, wer wie dabei am Ende herauskommt: Millers Drama enthält alles, was spannend ist. Nicht oft war das Publikum einer Aufführung in diesem Haus derart gebannt gefolgt, zumal einer dreistündigen. Bitteres Auflachen und Zischen ertönten über den Wahnwitz der mörderischen Überzeugungstäter von Kirche und Justiz im amerikanischen Puritaner-Städtchen Salem im Jahre 1692. 19 Personen wurden damals gehängt, einer zu Tode gefoltert, vier starben im Gefängnis, 30 wurden zum Tode verurteilt, weit über 100 Personen verhaftet. "Hängt sie hoch über die Stadt!", befahl der imposante Jörg Schröder als Gouverneurs-Stellvertreter Danforth. Licht aus. Der Applaus rollte an, schien nicht mehr enden zu wollen.
Einem Grossteil des Premieren-Publikums – ausverkauft – dürfte bewusst gewesen sein, dass Miller 1953 wahre Ereignisse (mit wahren Personen unter ihrem wirklichen Namen) zum packenden Zweiakter dramatisierte. Spielte Miller damals auf die amerikanische Kommunisten-Verfolgung in der McCarthy-Ära an, so genügt uns zur Empörung heute die Salemer Geschichte, die exemplarisch vorführt, wie weit es christlich genannter Fanatismus und unterdrückte Sexualität gepaart mit obrigkeitlicher Arroganz bringen können.
Mehrere Mädchen tanzen nachts im Wald, einige davon nackt, sie werden entdeckt. Ihnen drohen harte Strafen wie Auspeitschen. Kaum geschehen machen Gerüchte von Hexerei und Teufelsanbetung die Runde. Das reiche Ehepaar Putnam, dem mehrere Kinder wegstarben, treibt den feigen Reverend Parris und den beflissenen Pastor John Hale an, nach Schuldigen für die okkulten Machenschaften zu suchen. Unter Anleitung der jungen Abigail verfallen nun die Mädchen darauf, wahllos Bürgerinnen und Bürger der Stadt als mit dem Teufel im Bunde zu beschuldigen. Das Beweisverfahren wird zum Exempel von Absurdität. Wen die Mädchen nennen, der wird verhaftet, wen sie beschuldigen, zum Tod verurteilt. Bauer John Proctor kann den Wahn nicht stoppen. Ihn behindert dabei eine ehebrecherische Affäre, die er mit Abigail hatte. Auch er landet in der Todeszelle.
Die Wut des Publikums wird am besten optimiert, wenn die Sache und das Stück ernst genommen werden: Darauf setzte die neue Hausregisseurin Florentine Klepper (33) bei ihrer zweiten Basler Arbeit. Das Räderwerk der Dummen und Perversen wirkt am Erschreckendsten, wenn man es ganz ohne ironische Brechung sondern direkt mit klarer Figurenzeichnung laufen lässt. Das konnten nicht alle Ensemble-Mitglieder gleich gut. So zündete der Funke emotional nicht immer.
Grossartig war die Darbietung Urs Bihlers, der den alten Farmer Giles Corey mit Inbrunst gab. Einen Stoss ins Herz gab es einem, als er vor Verzweiflung vor Gericht aufschrie, dass seine Frau wegen seinen unbedachten Worten verhaftet wurde. Dieses simple Gemüt ist eine so ehrliche Haut, dass es einem weh tut, was es leiden muss.
In die gleiche Kategorie gehörte Florian Müller-Morungens Thomas Putnam, der reiche Bauer: Ein Gemisch aus Unterwürfigkeit, Selbstgerechtigkeit, materieller Gier und Bigotterie. Die beiden Schauspieler verbindet, dass sie gekonnt Hintergründe ihrer Figuren fühl- und erkennbar machen. Diese hätten uns auch im Falle der Hauptfiguren Abigail (Schmidt) oder John Proctor (Lalo) interessiert – bei allem Einsatz der Darsteller blieben diese ohne fassbare Kontur.
Das ist im Falle von Proctor schade, da an ihm Miller die Schwäche des modernen Mannes durchexerziert, der zwar eine starke Einsicht hat, aber zu schwach ist, ihr nachzuleben. Und Abigail, die mehrere Menschen in den Tod schickt, tut dies sicher auch nicht allein aus pubertärem Ausprobieren, wie dies Schmidts Spiel suggerierte. Bei beiden wäre mehr Tiefenschärfe vonnöten gewesen – und wohl auch mehr Ablösung von ihrer Privatperson. Auch Jörg Schröder beispielsweise erarbeitete für seinen eitlen Danforth kein neues Terrain, sondern liess den Schröder-Express fahren: erfahren, dominant, routiniert.
Eine mannshohe Welle ist der Boden des gilbfarbenen Bühnenraums, eine hermetische Welt mit Oberlicht und Briefkastenreihen im Hintergrund: Durchgang und Warteraum in einem. In die schräge Fläche platziert Regisseurin Klepper die Auseinandersetzungen, oben hin setzt sie jeweils die Richter und Pastoren. Im Vordergrund ist Dreck, ein breites Beet von Torf und Erde. Dorthinein steckt sie die Opfer der Hexenprozesse und des Dorflebens. Da sind sie ausgestellt, beschmutzt, bewegungsunfähig. Was als Illustration besonderer Grausamkeit gedacht war, veranlasste meine Sitznachbarn zu folgendem, geflüstertem Dialog: "Iiih, weisch wie grusig." – "Das isch sicher sehr unagnähm für d'Schauspieler."
21. Februar 2009