Theater Basel, Foyer Schauspielhaus
Uraufführung
"Der Berg, über den kein Vogel fliegt"
Autor: Kai Grehn
Regie: Marie Bues
Bühne: Philipp Berweger
Musik: Tarwater
Mit Oliver Amsteg, Inga Eickemeier, Satoshi Ito, Vincent Leittersdorf, Wolf Lutz, Oliver Zgorelec
Doppel-Uraufführung mit dem Badischen Staatstehater Karlsruhe
Koproduktion mit dem SWR
Tödliches Bergdrama
Ein "Bergführer" führt das Publikum in Gruppen auf den "Gipfel", die Dachterrasse des Hauses. Dort steht ein grosses Kreuz. Auch der Japaner fehlt nicht, der einen photographiert. Wieder im Zwischenstock (angeschrieben mit "Basislager") sehen wir ein junges Mädchen im Fernseher, das folgende Begebenheit vorliest: Im Sommer 2004 nahmen fünf deutsche Berglaien zwecks "Sinnsuche in extremen Situationen" mit erfahrenen Bergführern an einer sogenannten "Kunstexpedition" in den Himalaya teil. Einer dieser sächsischen Bergsteiger verunglückte am Achttausender Nanga Parbat tödlich, nachdem die Gruppe den Gipfel erklommen hatte. So. Und an dieser Expedition hatte nun der Autor des Stückes, der Berliner Kai Grehn, teilgenommen.
Die Dramatik der damaligen Ereignisse hat er in einen Text übersetzt, der eine aussichtslose Lage in der Todeszone oberhalb von 7'000 Metern schildert, wo der Mensch ohne technische Hilfe nach ein paar Stunden von allein stirbt: Der Bergsteiger Hermann (Leittersdorf) ist auf eine Felsenterrasse gestürzt. Er ist schwer verletzt, eingeklemmt von einem Eisblock, kämpft gegen Kälte, Sauerstoffmangel, Halluzinationen, Durst. Und er ist mutterseelenallein.
Das Publikum sitzt nach dieser Einstimmung im Foyer. Vincent Leittersdorf klebt auf vier Metern Höhe an einer Säule und sagt: "Scheisse, das also ist der Tod." Eine falsche Bewegung und er fällt runter von seiner kleinen Nische in die Tiefe. Auf seinem Bein liegt der mächtige Eisblock. Der Boden zittert von schweren, brausenden Basstönen. Etwa so stellen wir uns eine Lawine vor. Draussen, durch die Scheiben, sehen wir das 6er-Drämmli vorbeirumpeln. Auf einem IWB-Kasten auf der anderen Strassenseite, unter einem Riesenkinoplakat mit Angelina Jolie, sitzt der dicke Expeditionsleiter (Lutz) mit oranger Bergjacke. Und dieser funkt den Hermann an, endlich den Abstieg in Angriff zu nehmen, denn es nahe ein Sturm, den er nicht überleben könne.
Aber Hermann stammelt von Lichtschaltern, Hausschlüsseln, Blutergüssen und Chimärenküssen. Hundertmal will er sich zusammenreissen, Tee trinken, runtersteigen. Träumt er, was er erlebt? Leittersdorf haspelt, hustet, stottert, stöhnt, schreit, zittert, klammert sich an der Säule fest. Und er kämpft mit den langen Monolog-Passagen, die sich so unbeugsam wie ein Berg jeder szenischen Wirkung versagen: Ein geschraubtes, humorloses, langfädiges Textmonstrum aus aufgetürmten Erörterungen, Selbstermahnungen, selbstgefällig ausgebreiteten Erinnerungen gespickt mit akademisch-spitzfindigen Wortwitzeleien. Es bringt den erfahrenen Akteur an seine Grenzen, und die junge Regisseurin Marie Bues konnte nicht weiterhelfen.
Hermanns toter Partner seilt sich draussen hinter der Scheibe herab, und sagt: "Ich residiere auf dieser steinernen Trutzburg und wühle in den Schatzkammern meiner Erinnerung. Der Ausblick ist herrlich. Ein Blick für Götter. Keine Zeitvermesser weit und breit. Keine Menschenfresser. Keine Versicherungsvertreter. Keine Schnäppchenpreisjäger. Keine Gehwegbegradiger."
Zum Höhepunkt des Trips wird der Auftritt der eiskalten Journalistin Dakini (Eickemeier), die ihren Wagen draussen vor der Scheibe parkt und mit ihren Fragen Hermann dazu antreibt, über seinen Bergsteigerdrang zu philosophieren. Denn plötzlich steigt sie aus, die Glastüre öffnet sich und zur Göttin Tashi Tseringma verwandelt lässt Eickemeier diese seltsame Aussenwelt mit den Drämmli und der Angelina Jolie in Hermanns Innenwelt hinein.
Der Regie-Einfall mit der Welt hinter Glas die Mehrschichtigkeit von Hermanns Erleben darzustellen, ist nachvollziehbar. Aber die Konkurrenz für den mit dem Text kämpfenden Leittersdorf ist gross, zu gross: Jedes Mal, wenn Passanten hineinschauen, auf die zusammengekauerte Figur weisen, lacht jemand aus dem Publikum. Selbst das draussen vorbeifahrende Auto wird zur Attraktion. Immerhin: Was klar durchkommt, ist, dass der sensible Autor Grehn einen irrsinnigen Schock aus dem tödlichen Bergdrama mitgenommen hat.
26. Februar 2009