Der Euro im Fangnetz der Finanzindustrie
Dass der Euro eine Fehlkonstruktion war, gehört heute zum medialen Einmaleins. Die Folgen sind: Alle drei Monate eine Krise, eine weitere Reparatur, ein neuer Anlauf. Es wird weiter herumgedoktert, aber der nächste Schüttelfrost kommt bestimmt. Dafür haben die Märkte etwas zum Jubeln. Das war ja wahrscheinlich die Absicht. In den vergangenen Tagen sind zwei neue Massnahmen ergriffen worden, um den Euro wieder einmal zu stabilisieren. Mario Draghi von der Europäischen Zentralbank (EZB) hat versprochen, Staats- beziehungsweise Krisenanleihen in unbeschränktem Mass zu kaufen, und das deutsche Bundesverfassungsgericht hat dem Beitrag Deutschlands an den europäischen Rettungsschirm ESM seinen Segen erteilt.
Für eine Weile ist wieder Ruhe eingekehrt. Dabei muss jedem halbwegs aufmerksamen Beobachter einleuchten, dass der Euro solange nicht "gerettet" wird, wie die Voraussetzungen für seine Instabilität weiter bestehen. Und diese Umstände liegen im Finanzmarkt, dessen Vertrauen die Politik herzustellen hat.
Sagt man. In Wirklichkeit ist Euro-Rettung Bankenrettung, genauer gesagt: Begleichung der Schulden liederlicher Banken. Damit fangen die Perversionen an. Dass damit jetzt Schluss sein soll, kann ernsthaft niemand annehmen, der an die 700 Finanz-Lobbyisten in Brüssel denkt.
Dass die Finanzindustrie die Politik bestimmt, wird so bleiben. Wir haben es mit "dem grössten Raubzug der Geschichte" zu tun, wie der Titel des Buchs von Matthias Weik und Marc Friedrich lautet, in dem die beiden Autoren aufzeigen, wie er durchgeführt wird. Andere haben von "Geiselhaft" gesprochen, in die der Finanzsektor die Politiker genommen hat, jedenfalls den grösseren Teil von ihnen.
Die Krisenpapiere übernimmt Draghis EZB nur, wenn die betreffenden Länder, die sie loswerden wollen, eine strikte Spar- und Reformpolitik akzeptieren. Das heisst in einfaches Deutsch übersetzt: wenn der Kapitalumbau erfolgreich weiter betrieben wird, zum Nachteil von Lohnempfängern, Steuerzahlern (ohne Pauschalabkommen), Sparern, auch Unternehmern und Kleinanlegern. Griechenland ist schon aufgefordert worden, die Sechstage-Woche einzuführen, während die gouvernementale Sparpolitik vor aller Augen das soziale Leben ruiniert.
Dies alles sollte mit Vorteil in einem erweiterten Rahmen situiert und nicht den Kommentatoren der "Tagesschau" überlassen werden. Es geht um viel mehr als den Euro, der nur eines von vielen Rädern, Riemen und Pumpen in einer grossen Kapitalzirkulationsmaschine ist.
Draghi hat im Verlauf seiner Amtszeit eine halbe Billion frisches und zinsgünstiges Geld in den Markt geflutet – oder die Banken damit subventioniert, die jetzt "Gottes Werk verrichten" können, wie Lloyd Blankfein von der Bank Goldman Sachs einmal in einem Anfall von Verblendung gesagt hat. Hätte er nur von vernichten gesprochen!
Draghi wusste sehr gut, was er seinen ehemaligen Banker-Kollegen schuldig war. Profitiert hat nicht die Realwirtschaft, sondern die Börse. Bekanntlich war Draghi Vize-Präsident für Europa von Goldman Sachs, bevor er zur EZB kam. Der "Goldmann" Robert Rubin hatte unter Bill Clinton den US-Finanzmarkt dereguliert, ein anderer, Henry Paulson, hat unter Bush II als umstrittener Finanzminister während der Krise von 2008 die Fäden gezogen. Goldman Sachs ist ein Lobby-Netzwerk, Christopher Whalen, Direktor von Institutional Risk Analytics, hat das Unternehmen "eine politische Organisation, die sich als Investmentbank tarnt" genannt. Überall hat sie ihre Leute in der Politik untergebracht.
Jawohl, alles greift ineinander. Keine Verschwörung, keine Geheimnisse. Nur innovative Buchhaltung. Business as usual. Der normale Lauf der Welt eben. Darin liegt die ganze Ungeheuerlichkeit.
Finanzindustrie, Politik, Regulierungsbehörden und akademische Welt sind heute zu einem Klumpen miteinander verflochten. Wir schleppen einen Klotz am Bein mit. Der Film "Inside Job" von Charles Ferguson (bei Amazon für 10 Euro zu haben) gibt erschöpfend Auskunft. Weik und Friedrich ebenfalls.
Nur werden leider vor lauter medial verbreiteter Unterinformation die einfachsten Ursachen, Hintergründe und Zusammenhänge übersehen oder vergessen. Der Fehler ist nicht der Euro, sondern die unkontrollierbare Freiheit und Unverschämtheit der Finanzindustrie. Den Preis dafür müssen andere bezahlen. Wundern sollte sich niemand.
17. September 2012
Es braucht Mut, den Mut nicht zu verlieren"
Vielen Dank Herr Schmidt für den Klartext. Wenn wir neben Ihren präzisen Schilderungen auch gleich noch die weltumspannenden Verbrechen von Jean Ziegler, ehemaliger Sonderberichterstatter der UNO für Recht auf Nahrung, aufgezeigt erhalten, so brauchts ein rechtes Stück Mut, den Mut nicht zu verlieren.
Eines Tages würde ich mich freuen zu lesen, was denn Sie persönlich mit soviel Einblick unternehmen. Wie richten Sie Ihr Leben ein, um an diesem Anblick nicht zu verzweifeln. Was können wir an all den Situationen verändern, so standfest wie sie in der Welt etabliert sind und wir ihnen so machtlosen gegenüber stehen oder besser knien oder liegen!
Viktor Krummenacher, Bottmingen